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In "Weiß ist keine Farbe" geht es um Sophie (Bo-Phyllis Strube), deren Mutter eine dunklere Hautfarbe hat als sie selbst. 

© Thomas M. Jauk

Kindertheaterstück über Rassismus am Hans Otto THeater: Kein egaler Tag

Wie kann man Kindern Rassismus erklären? Wie sieht die richtige Reaktion darauf aus? Das fragt das Hans Otto Theater mit „Weiß ist keine Farbe“ von Christina Kettering.

Potsdam - Der Beginn: märchenhaft. „Es war einmal“, heißt es zu Anfang von „Weiß ist keine Farbe“ - um gleich zu zeigen: Dieses eine Mal gibt es gar nicht. Jede:r wird es anders erinnern, auch die scheinbar unwichtigen Details. War es nun einmal eine „ruhige Wohnsiedlung am Stadtrand“ - oder eine „ruhige, langweilige Siedlung“? Ein gewaltiger Unterschied, der sofort zeigt, wer hier spricht: Lynn (Kira Lorenza Althaler) oder ihre Tochter Sophie (Bo-Phyllis Strube). Beide sind gerade in besagte Siedlung gezogen - und ginge es nach Sophie, wäre sie am liebsten sofort wieder weg.

Zwei, die sich zu Tode langweilen

Irgendetwas ist vorgefallen an diesem warmen Ferientag - kein „egaler Tag“, wie es einmal heißt. Aber was? Jeder und jede ist hier in der eigenen Perspektive gefangen, das macht dieses Stück von Anfang an klar. Das gilt auch, vielleicht mehr noch als für die Neuen in der Wohnsiedlung, für Anna (Johanna Martin) und Berkay (Jonas Breistadt). Die beiden wohnen schon länger hier, kennen die geschwätzige Nachbarin, den maulfaulen Herrn Müller, wissen, was man darf und was nicht (rennen und Blumen zertreten).

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Auf dem abgezirkelten Fleckchen Rollrasen stehen sie brav, wie festgewachsen - und langweilen sich zu Tode. Um diese sichere Insel, den Rollrasen, zu verlassen, wird es später akrobatische Verrenkungen brauchen: ein starkes Bild dafür, wie schwer es sein kann, bekanntes Terrain zu verlassen. Darum geht es hier.

In die sommerliche Langweile jedenfalls kommen die Neuen gerade recht. Zumal sie ein Geheimnis umweht, eine Mischung aus Sophies abweisender Haltung und einer dunstigen Wolke aus Vorstadt-Tratsch - dem Anna und Berkay detektivisch auf den Grund gehen wollen.

Eine Detektivgeschichte um einen rassistischen Übergriff

Vom Es-war-einmal-Erzählmodus kommen die vier auf der Bühne bald ins Spielen - und werden erst später wieder, wenn es brenzlig wird und es tatsächlich beinahe um Leben und Tod geht, die Geschichte wieder unterbrechen. Um sich (und das Publikum, klar) zu befragen, was denn nun zu tun, wie diese Geschichte zu Ende zu bringen sei.

„Weiß ist keine Farbe“ von Christina Kettering ist eine Detektivgeschichte und hat zeitweise etwas von „Emil und die Detektive“ (Kleine gegen Große, gemeinsam Gerechte gegen ungerechten Einzelgänger). Nur dass es hier nicht um gestohlenes Geld geht, sondern um einen rassistischen Übergriff. Denn Lynn hat eine dunklere Hautfarbe als ihre Tochter Sophie. Dafür werden Mutter und Tochter nicht nur heimlich beäugt, sondern Lynn wird auf schlimme Weise angegriffen. Nicht körperlich versehrt, aber erniedrigt. Sophie erträgt nicht, wie stumm ihre Mutter das erträgt - und will selbst zur Rächerin werden.

„Auge für Auge, Hund für Hund“?

Die zentrale Frage, die „Weiß ist keine Farbe“ stellt, ist keine einfache. Wie auf offenen Rassismus von Erwachsenen reagieren - als Kind? Als Sophie den Rassisten zur Rede stellt, zeigen sich schnell die Grenzen dieser Option: Der Mann, ein Nachbar mit Hund, bedroht sie körperlich. „Auge für Auge, Hund für Hund“ also, wie Anna ruft - und Sophie es sich in ihrer Wut ausmalt? Den, der anderen Leid zugefügt hat, leiden sehen? Den Rassisten vor ein fahrendes Auto stoßen, hinterrücks? Das ist der Moment, in dem die vier Spieler:innen wieder aus ihren Rollen heraustreten und Kira Lorenza Althaler als Sophies Mutter fragt: Das soll eure Lösung sein?

Dieser Bruch mag dramaturgisch sinnvoll sein - auf der Bühne wirkt die folgende Debatte mit der herbeidiskutierten Erkenntnis, dass ein Rassist auch als Rassist zu benennen ist, etwas künstlich. Wie viel besser tatsächliche Empathie im Kindertheater funktionieren kann, war kurz vorher zu sehen gewesen: Als Lynn ihre Tochter verzweifelt sucht und Dutzende Kinderhände im Publikum die Richtung weisen - dorthin, wo Sophie gerade die Bühne verlassen hatte.

Von der Mühe, die es kostet, den eigenen Flecken zu verlassen

„Weiß ist keine Farbe“ ist dem Programm des Hans Otto Theaters zufolge für Kinder ab sechs gedacht - ein paar Jahre mehr schaden vielleicht nicht. Inszenatorisch könnte man es als Gegenstück zum diesjährigen Weihnachtsmärchen beschreiben: Wo „Die Weihnachtsgans Auguste“ knallig und laut, comichaft überzeichnet ist, ist die Regie von Petra Schönwald zart und konzentriert, sie kommt fast ohne Musik aus (ein Vogelzwitschern hier und da) und ist ganz aufs Zuhören ausgelegt. 

Wichtiger Mitspieler ist die Bühne von Ragna Heiny: Die große Häuserwand mit den vielen Fenstern lässt ahnen, wie leicht es ist, sich hier „außen vor“ vorzukommen - wie verschlossen so eine Fassade wirken kann, deren Bewohner man nicht kennt. Dass die Spieler:innen eine ganze Weile brauchen, um in diesem Raum wirklich in Bewegung zu kommen, passt: Das eigenen Fensterchen, den eigenen Rasen zu verlassen, kostet eben einige Mühe.

Wieder in der kommenden Spielzeit ab Oktober.

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