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Kultur: Kiloweise Fleisch bewegt

Der HFF-Abschlussfilm „Love Steaks“ bringt die Massage in die Küche eines Wellness-Hotels

Die Welt kann auch mal an der Ostseeküste entdeckt werden. Der Abschlussfilm der Reihe „Around The World In 14 Films“ im Thalia-Kino legte das am Samstagabend zumindest nahe. Liebe in einem Hotel? Regisseur und Absolvent der Potsdamer Filmhochschule HFF Jakob Lass hat in seinem Film, der das Abschlussprojekt von Gesa Jäger (Schnitt) und Timon Schäppi (Kamera) ist, genau das inszeniert. Und mit „Love Steaks“ ist dabei ein Film herausgekommen, der einfach nur hinreißend kurzweilig ist.

„Mockumentary“ ist die Bezeichnung für einen Film, der sich der Parodie eines ganzen filmischen Genres widmet: Was sich als Dokumentarfilm kleidet, ist unterm Strich ein Film, der gezielt die Elemente einer Doku nutzt, um aber etwas ganz anderes darzustellen. Jakob Lass geht sogar einen Schritt weiter: Ein richtiges Drehbuch habe er gar nicht gehabt, gesteht er. Dass das aber ein strategischer Vorteil ist, wird schnell klar, wenn man den Film sieht.

Clemens (Franz Rogowski), lispelnder Masseur mit Hasenscharte, kommt in einem Luxushotel an und wird dort in einem Durchgangszimmer abgeparkt, das ihm als Unterkunft dient. Doch er ist nicht der Einzige, der in diesem Film kiloweise Fleisch bewegt: Denn es gibt da noch Lara (Lana Cooper), die in der Küche arbeitet und das absolute Gegenteil von Clemens ist: große Klappe, exzentrisch, mit ausgewachsenem Alkoholproblem – zwei Charaktere, die überhaupt nicht zueinander passen wollen. Diese beiden miteinander zu verkuppeln, das erzeugt Zweifel, aber es klappt – irgendwie.

Während Clemens sich gänzlich unbewaffnet unterordnet, prallt die aggressive Welt der Küche mit voller Kraft auf ihn. Dort herrschen raue Sitten: Man bewirft sich, schiebt sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, inhaliert Lachgas, und es wird gesoffen, was das Zeug hält – herzliche Anarchie also. Für die Protagonistin jedoch bald etwas zu viel: Nach einer Trunkenheitsfahrt findet Clemens Lara stockbetrunken am Strand und schleppt sie zu sich nach Hause, damit sie sich richtig auskotzen kann. Das birgt Zündstoff: Die personifizierte Unbeholfenheit von Clemens trifft in Lara auf die Verkörperung des Chaos.

Sobald sich die beiden Charaktere gefunden haben, wird die Handlung schmutzig: Der Film schafft sich die Intensität durch Distanzlosigkeit, die Kamera holt die Figuren ganz nah ran, zoomt in Close-ups auf die Gesichter, auf die Haut, die Dialoge sind dabei so lebendig, dass sie unmöglich vorher geschrieben werden konnten – der Film schafft letztendlich den Grundsatz der Intimität ab. Dabei wird nicht wirklich viel erzählt: „Love Steaks“ schafft es, durch die Entwicklung seiner Charaktere zu fesseln, ohne den Fokus zu sehr auf das Erzählen der Story zu legen.

Zu Recht hat dieser Film bei Preisverleihungen abgeräumt, in München, in Karlovy Vary, in Montréal. Regisseur Lass merkt man die Überraschung darüber dennoch an: „Ich hasse Preisverleihungen. Die machen doch das Festival kaputt“, sagt er. Man fühle sich richtig scheiße ohne Preise, hinterher reden alle doch nur über den Gewinner. Der Gewinner war in München jedoch sein Film, der in allen Kategorien abräumte: Regie, Produktion, Drehbuch und Schauspiel. Dabei gab es gar kein Drehbuch: „Es gab nur ein Skelett, das auf 18 Szenen herunterkondensiert und dann mit Fleisch gefüllt wurde“, erzählt Produzentin Ines Schiller. Die Improvisation war dabei der Kern der Geschichte – mit starren Dialogen hätte man den Film nicht erzählen können. Das kann aber auch problematisch sein: etwa wenn man Dialoge einfangen will, ohne zu wissen, wer als Nächster spricht. „Das war schon anstrengend, man musste immer hoch konzentriert sein“, sagt Kameramann Timon Schäppi. Verblüffend ist es dennoch, dass ein Spielfilm getarnt als Dokumentation so erstaunlich gut funktioniert. „Authentizität ist ein essenzieller Teil der Arbeit, aber es sollte sich schon wie aus einem Guss anfühlen“, meint Regisseur Lass. „Ich hatte Riesenangst, wollte aber so blind wie möglich da reingehen.“

Auf dem Schneidetisch landeten letztlich 78 Stunden Material, aus dem 90 Minuten Film geschnitten werden mussten. „Das war wie 78 Stunden Weihnachten“, erinnert sich Gesa Jäger, die für den Schnitt verantwortlich war. Dabei spielte auch der Zufall eine Rolle: „Um einige Szenen haben wir gewürfelt.“ Und ein Hotel zu finden, das sei auch gar nicht so einfach gewesen, zumal die gesamte Crew aus Angestellten des Wellnesshotels in Ahrenshoop rekrutiert wurde. „Wir haben viel herumtelefoniert, und am Ende hatten wir vier Hotels, die bereit waren, unser Projekt zu unterstützen“, sagt Produzentin Schiller. Und Glück gehörte auch dazu: „Wir suchten eine Darstellerin für die Massageszene, aber nackt vor der Kamera wollte auch keine sein. Mit jeder Absage wurden wir auf eine jeweilige Freundin verwiesen, die dazu bereit wäre“, erinnert sich Jakob Lass. Mit Ev-Kathrin Weiß sei dann sogar jemand gefunden worden, der ohnehin Urlaub in diesem Hotel machen wollte.

Im deutschen Kino gebe es viele ernste Filme, die fast schon normativ gedreht werden, findet Regisseur Lass. Hinzu kommen kommerzielle Unterhaltungsformate. Da habe es ein Film wie dieser, der nur aus Mitteln der HFF finanziert wurde, schwer. „Wir konnten ja nichts beantragen, da wir auch kein Drehbuch einreichen konnten“, sagt Schiller. Doch der Erfolg gibt ihnen recht: „Love Steaks“ startet im Frühjahr 2014 als regulärer Film in den deutschen Kinos.

Oliver Dietrich

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