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Graziös? Mit seiner Zeichnung „Drei Grazien“ führt Rainer Ehrt Eitelkeit vor – und lässt sie zugleich äffisch aussehen. Das Tier im Vordergrund stiehlt den Damen die Show.

©  Kunst-Kontor

Kultur: Kein Arkadien

Der Künstler Rainer Ehrt erzählt anhand von Tieren und Landschaften virtuos vom Menschsein

Atlas trägt die Welt auf seinen Schultern – und Günther Jauch und Wolfgang Joop schauen ihm dabei zu. Mit Acryl auf Leinwand hat Rainer Ehrt das Potsdamer Figurenpaar gemalt, das derzeit in der Ausstellung „Figurama“ in der Galerie Kunst-Kontor zu sehen ist. Das ist ungewöhnlich für den Künstler, denn meist zeichnet Ehrt auf Papier.

Der papierne Untergrund ist dabei ausgesprochen vielfältig: Architektenpapier, Banknotenpapier aus der DDR, technisches Zeichenpapier. Nur fest muss der Untergrund für die Zeichnungen von Ehrt sein, denn der Künstler arbeitet in vielen Schichten, bearbeitet die Feder-, Tusche-, und Blei- und Buntstiftzeichnungen mit Bürsten, Schwämmen und allerlei anderen Gegenständen. Das Ergebnis sind Bilder, auf denen die dargestellten Personen nahezu greifbar erscheinen und die Landschaften anmuten, als könne der Betrachter unmittelbar darin spazieren. Es ist kein Arkadien, sondern die bekannte Brandenburger Landschaft, die schon Fontane begeisterte und zur Dichtung anregte.

Häufig wendet sich der Zeichner Ehrt historischen Begebenheiten und Figuren zu: Friedrich II., Martin Luther, Heinrich Heine. Die aktuelle Ausstellung im Kunst-Kontor zeigt, dass Rainer Ehrt mehr ist als der versierte Illustrator, der für eine Vielzahl von Magazinen und Zeitungen Zeichnungen fertigt. Rainer Ehrt ist ein vielfältiger Künstler und Grafiker, der Szenarios geschickt zu bebildern weiß, aber auch in der Weltliteratur bewandert ist. Er hat eine ganze Reihe von Künstlerbüchern geschaffen, in denen er den von ihm illustrierten Text handgeschrieben aufs Papier bringt oder in einer sehr kleinen Auflage als Radierung druckt. „Wenn so eine kleine Druckserie mit Schriften und Zeichnungen entsteht, versenkt er sich jeden Morgen konzentriert in die Grafik. Das hat eine sehr kontemplative Note“, sagt die Galeristin Friederike Sehmsdorf. So entstanden Bücher über Ovids „Metamorphosen“, Bertolt Brechts Theaterstücke, über Homers Odysseus. Bei einer Serie zum Brechtschen „Baal“ verknüpft Ehrt mit Graphit- und Farbstiftzeichnungen gegenständliche und tierische Motive mit Schriftelementen. Den Charakter des im Theaterstück ausgesprochen rüpelhaften Baal illustriert Ehrt mit symbolbehafteten Tieren: ein gehörnter Ziegenbock steht für den bösen Gehörnten, der Hahn ist ein eitler Gockel. Was schnell ins Karikaturhafte abgleiten könnte, wird durch die virtuosen Zeichnungen Ehrts ein kondensiertes Weltenpanorama. Der brünstige Stier, als der Baal im Theaterstück erscheint, findet sich auch als holzgehauene Skulptur auf einem Sockel in der Galerie wieder.

Wiederkehrendes Thema ist die Hinwendung, Abwendung, Zuwendung von Mann und Frau, der sogenannnte Geschlechterkampf. In seiner ganzen Vielfältigkeit scheint er in den Zeichnungen und Bildern auf. Die verschiedenen künstlerischen Medien: Zeichnung, Tafelbild, Radierung, Illustration, finden in der Ausstellung zu einem harmonischen Ganzen.

Der 1960 in Elbingerode, Harz, geborene Künstler studierte auf Burg Giebichenste in Halle an der Hochschule für Kunst und Design bei Gudrun Brüne und gewann zahlreiche Preise und Auszeichnungen. 2003 ehrte ein New Yorker Magazin ihn als einen der besten Illustratoren. Der Stil Ehrts erinnert gelegentlich an Horst Jansen oder Werner Tübke, immer aber ist deutlich, dass hier ein Künstler und hervorragender Zeichner Werke schafft, die einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit dem jeweils Dargestellten entspringen. Nicht die Notwendigkeit der eigenen Selbstvergewisserung oder der selbstquälerische Kampf um die eigene Stellung in der Welt ist das Thema, sondern, auf der Grundlage eines virtuos beherrschten künstlerischen Handwerks, die intensive Auseinandersetzung mit den großen Themen der Kunst: die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Geschichte, die Landschaft, in der der Mensch lebt. Richard Rabensaat

„Figurama“, bis 25. November in der Galerie Kunst-Kontor, Bertiniweg 1 A

Richard Rabensaat

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