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Comedians. Michael Gerlinger und sein Sidekick Stefan Groß.

© Ronny Budweth

Kultur: Katzenkorb als Nikolaikirche

Der Schauspieler Michael Gerlinger moderierte die erste Potsdamer Late Night Show im Kunsthaus Sans Titre. Sie könnte mehr Tempo vertragen

Was auffällt, ist das Bühnenbild. Im Schummerlicht des kleinen Saals strahlt es eine Magie aus. Bunte Kommoden und Schränkchen stehen da übereinandergestellt an der Wand. Kunstvoll arrangiert. Ein kopfüber stehender Klavierhocker und ein Katzenkorb gesellen sich dazu. Die Gegenstände bilden zusammen so etwas wie die Skyline von Potsdam. Sollen sie jedenfalls – stark verfremdet. Nicht eins zu eins. Und mit ein bisschen Fantasie kann man erkennen: Der Katzenkorb ist die Nikolaikirche, die Beine des Klavierhockers bilden den Atlas auf dem Alten Rathaus.

Der Tisch auf der Bühne, direkt vor der Skyline, wirkt irgendwie, als sei er jenes unergründliche Gerät, in dem Zauberer bisweilen Frauen durchsägen, die hinterher doch wieder putzmunter sind. Und ist das hier nun wirklich so ein Ding, so ein Menschenzersägetisch? Hausherr Mikos Meininger will noch nicht zu viel verraten. Ja, es könne sein, dass da heute Abend jemand zersägt wird, sagt er nur.

Gleich soll hier im Kunsthaus Sans Titre in der Französischen Straße die erste Potsdamer Late Night Show starten. Rund 30 Leute sind an diesem Samstag gekommen und warten auf Late Night Talker Michael Gerlinger. Der kommt schließlich säuselnd und singend, versteckt unter einem schwarzen Schleier auf die Bühne. Musikalisch begleitet vom Gitarristen Schorre Mittelmaas alias Stefan Groß. Der trägt ebenfalls einen Schleier. Gerlinger macht sich Sorgen um die saudi-arabischen Frauen. Denn die dürfen ja bald Auto fahren. Aber ob das auch gut geht mit dem Schulterblick, wenn frau verschleiert ist?

Gerlinger ist jetzt angekommen. Auf der Showbühne und im Hier und Jetzt. In Potsdam. Dann ruft er durchs Mikro den 30 Zuschauern zu: „Guten Abend, Potsdam!“ War das jetzt reichlich überdreht oder ein Seitenhieb auf den Konzertbetrieb? Gerlinger fabuliert nun über den Barock in Potsdam. Ba-rock, klar, da steckt Rock drin und Mittelmaas greift passend dazu in die Saiten. Naja, ein netter Einfall, aber eben auch nicht viel mehr. Ihre Schleier haben die beiden Unterhalter da längst abgelegt. Gerlinger schaut durch sein Manuskript für den nächsten Text, fächert dabei die Blätter auseinander – und spannt den Bogen zu Schabowski, 9. November ’89, Ost-Berlin: „Nach meiner Kenntnis tritt das sofort, ist das unverzüglich...“, schauspielert der Potsdamer das Gestammel. Was folgt, ist ein dadaistisch geprägter Text, selbstgeschrieben.

Später dann übt Gerlinger subtile Kritik an den unzähligen recht gesichtslosen Neubauten, die in den letzten Jahren in Potsdam entstanden sind. Während der Show mäandert er immer wieder in Wort und Schritt durchs Bühnenbild. Gerlinger erklärt die Chose mit den Schränken an der Wand. Ein Zauberbühnenbild sei das Ganze, sagt der Schauspieler, der heute Abend den Late Night Talker geben will.

Ein Tisch und eine Skyline – das sind die klassischen Zutaten für eine Late Night Show. Dirty Harry, Harald Schmidt, lässt grüßen, sagt man sich so als Zuschauer. Doch bei Gerlinger geht es viel gemächlicher zu. Für ein Format wie dieses spricht er einfach zu langsam, hat zu wenig Tempo. Der Potsdamer Regiestudent Jonas Walter stellt in der Show seinen Spot zur Kampagne „Lieber sicher. Lieber leben“ vor. „Ja, mir gefällt ja so was“, sagt Gerlinger, „ja, mir ooch“ antwortet Walter. Irgendwie erwartbar. Dirty Harry lässt eben doch nicht grüßen. Muss ja eigentlich auch nicht – wenn denn ein anderes Konzept tragen würde. Aber das tut es hier leider nicht so recht.

Immerhin, John Apart und die Potsdamer Nachwuchsband Planet Obsolescence sorgen live für erfrischenden Sound. Gerlinger singt am Ende den Menschenfresser-Song von Rio Reiser. Das kommt ziemlich cool. Wenn es doch so schwungvoll durch die anderthalb Stunden zuvor gegangen wäre! Zersägt wurde übrigens niemand. Holger Catenhusen

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