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KAP-Konzert in Potsdam: Vollwertkost für Herz und Verstand

KAP-Pfingstkonzert mit dem Pianisten Igor Levit

Potsdam - An Pfingsten ist es für die einen schöner Brauch, Haus und Hof mit frischen Birkenzweigen zu schmücken. Für andere dagegen Erinnerung an die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die einst in Jerusalem versammelten Apostel. Für viele jedoch ein willkommener Anlass, über die großen Dinge des Lebens, über gesellschaftliche Utopien nachzudenken. Komponisten, wenn sie denn Gipfel stürmen wollen, bilden darin keine Ausnahme. Und so steht das von Antonello Manacorda geleitete Pfingstkonzert der Kammerakademie Potsdam am vergangenen Samstag im Nikolaisaal thematisch ganz im Zeichen dieser „Gipfelstürmer“.

Zunächst erhält Richard Strauss mit seiner Sonatine für 16 Blasinstrumente Nr.1 F-Dur als Erster das Startrecht. Jenseits aller metaphysischen Durchforschungen huldigt er darin dem Wunder der Melodie und Mozart. Mehrfach besetztes Holz und vierfache Hörner garantieren ein schwelgendes Opus, das sich sinfonische Wirkungen nicht versagt. Kaleidoskopartig entstehen neue, überraschende Bilder. Getragene Klänge werden von heftigen Böen durchwirbelt: Da hat sich der Tonsetzer zum zügig und kraftvoll ausschreitenden Bergwanderer gewandelt. In Ruhepausen hüllt er sich in kapriziöse Gewänder, spielt mit Scherzo-Motiven und alpenländlerischen Klangzutaten. Dazu beschwört samtiger Hörnerschall pure Naturidylle. Viele prickelnde Soli sorgen für viele Schlagoberstupfer. Pointiert und in kecker Till-Eulenspiegel-Manier endet die dreisätzige Vergnüglichkeit.

Vom Gestus des Schmerzes beherrscht

Szenenwechsel. Nun suchen 25 Streicher die tiefgründigen Gedanken des „Adagio“, erster Satz der unvollendet gebliebenen 10. Sinfonie von Gustav Mahler in der entsprechenden Fassung (Hans Stadlmair), in Klang zu verwandeln. Er ist vom Gestus des Schmerzes beherrscht, der sich jedoch langsam in Abgeklärtheit, Reife und Erleuchtung auflöst. Entstanden ist es in der Zeit von Mahlers größter seelischer Krise. Ein stimmungsdichtes Bratschensolo eröffnet das Werk, dann ergießt sich ein Strom voller schmerzlicher Elegie, leidenschaftlich aufwallend als Aufschrei der verwundeten Seele. Viel Gefühl und Verstand ist in die von drängender Intensität erfüllte Wiedergabe eingeflossen. Jähe Stimmungswechsel und wiederkehrende Klagesoli der Bratsche inklusive. Wohldosierter Vibratogebrauch sorgt für hellen bis spröden Klang, der langsam verlöscht. Doch mit Ludwig van Beethovens 5. Klavierkonzert Es-Dur op. 73, entstanden zur Zeit der napoleonischen Besetzung Wiens anno 1809, kommt der zuversichtliche Gegenentwurf. Kraftvoll, ungestüm und voller Abenteuerlust bricht man zum Gipfelstürmen auf, angeführt und befeuert vom pianistischen Reiseführer Igor Levit.

Nach dem Orchester-Akkordschlag, der als Startschuss für Pathos und sinfonisches Konzertieren dient, steht den militärisch-energischen Themen stets innige Lyrik zur Seite. Ein dialektisches Prinzip, von allen Beteiligten konsequent befolgt. Fern der Routine wird straff artikuliert, paukenpenetrant phrasiert. Gestochen klar und brillant Levits Anschlag: verführerisch zart, dann wieder zeigt er die Pranke des Tastenlöwen, geradezu von überbordendem kämpferischen Elan erfüllt. Analyse und Emotion bestimmen seinen orientierungssicheren, faszinierenden Bergwanderplan. Als der Gipfel erreicht ist, tobt der Beifallsorkan. 

Peter Buske

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