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Kultur: Kängurus, Scheißtage und Eichhörnchen

Dichterwettstreit „Potslam“ im Kuze war wieder gut besucht

Schon eine halbe Stunde vor Beginn war der Theatersaal in den Elfleinhöfen bis auf den buchstäblich letzten Platz besetzt. Schüler, Studenten und Azubis mit Bierflaschen, Döner essend, häkelnd oder diskutierend, hatten sich in dem urigen Backsteingemäuer versammelt. Wer erst kurz vorher kam, musste mit dem Fußboden oder der Bühne vorlieb nehmen. Für den zweiten „Potslam“ des neuen Jahres hatten sich neun Slamer angemeldet. Sie waren aus Adlershof, Hamburg, Itzehoe, Köln, München und sogar der Schweiz angereist, um ihre Potsdamer Fangemeinde wieder in die Welt der zeitgenössischen Performance-Dichtung zu entführen.

Deren nahezu weltweite Verbreitung vor 25 Jahren in den USA begann und die vor allem junge Menschen nicht nur in Großstädten als Protagonisten und Zuschauer gleichermaßen in ihren Bann zieht. In Potsdam präsentieren den Slam allmonatlich die Berliner Marc-Uwe Kling und Sebastian Lehmann, die selbst dichtend und singend durch die Lande ziehen und in Berlin mehrere Lese-Events veranstalten. Slammaster Marc-Uwe Kling, mit in der Szene obligatorischem Dreitagebart und dunkler Sweatjacke, gab zum Auftakt skurrile politische „Liebeslieder“ und eine seiner berühmten Känguru-Geschichten zum Besten.

Gleich darauf wurden die ersten drei Kandidaten aus dem riesigen Goldtopf gelost und begeisterten mit Sprachwitz und Alltagshumor ihr Publikum. Auch wenn einem bei Moritz Neumeier und seiner Beschreibung einer Schulsituation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ziemlich schnell das Lachen verging, der Slamer aus Itzehoe, mit Strohhut und Unterlippenpiercing, schaffte es im Stechen gegen seinen Schweizer Kollegen Renato Kaiser, wie dieser dann auch ins Finale. In den kommenden beiden Runden waren vier Frauen vertreten – sie sind bei Slams leider immer noch in der Unterzahl – und brachten ihre Sicht auf die besonderen „Nebenwirkungen“ von Krankheiten oder die neue Berliner Mitte ein.

Schade, dass ihre Vortragskünste oft noch nicht an die ihrer männlichen Kollegen heranreichen! Die scheinen weitaus frecher und selbstbewusster zu sein und trauen sich dann auch mal „freihändig“ – wie Renato Kaiser – seine Ansichten zum „Schlangenwürgegriff der Liebe“ mit größerem schauspielerischem Talent zum Besten zu geben. Oder Alex Burkhard aus München, der seinen ganz persönlichen „Scheißtag“ für jeden im Saal so richtig plastisch werden ließ. Und nicht zu vergessen der scheinbar introvertierte Nico Semsrott, der angetan mit schwarzer Kapuzenjacke und gelben Gummihandschuhen und mit seinen scharfsinnigen „Quallenstudien“, ebenfalls das Finale bestritt.

Und nicht nur mit dem Protokoll der „Erstbesteigung“ seiner Ex-Freundin das Publikum prächtig amüsierte. Das ließ sich dann auch von Moritz Neumeier zum chorischen Mitsprechen animieren und aus seiner skurrilen Hitler-Parodie „Eichhörnchen“ im Handumdrehen ein pädagogisches Lehrstück der gelungenen Menschenverführung werden. Ganz zum Schluss hatte aber doch eine Frau die Nase mit vorn. Victoria Seyfried aus Adlershof begeisterte mit einer treffenden Frauencharakterstudie und gewann im Finale eine der beiden Wasserpistolen. Astrid Priebs-Tröger

Wieder am 4. März im Kuze.

Astrid Priebs-TrögerD

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