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Liebe gefährlich. „Past Life“ von Avi Nesher ist eine der Entdeckungen, die das diesjährige Jüdische Filmfestival bietet: Es geht um Schwestern, Musik – und die Liebe. Das Festival eröffnet am Samstag im Hans Otto Theater mit der deutschen Erstaufführung von „Die Geschichte der Liebe“.

© Jüdisches Filmfestival 2017

Jüdisches Filmfestival Berlin & Brandenburg: Liebe die Grenzüberschreitung

Beim Jüdischen Filmfestival geht es in diesem Jahr um alles, was nicht ganz koscher ist. Am Sonntag wird es im Potsdamer Hans Otto Theater eröffnet

Potsdam - Man liebt ja oft besonders die Menschen, die sich nicht an die Regeln halten. Ganz gleich, welche gerade gelten. Regeln machen die Welt klein, wer in den vorgeschriebenen Bahnen stapft, verpasst die ganze Landschaft, wer alles richtig macht den ganzen Spaß. Belohnt wird die Orthodoxie außerdem nicht, weder von Gott noch vom Chef noch von der Gesellschaft – allen sind wir als Individuen mutmaßlich herzlich egal, austauschbare Verhandlungsmasse.

Weil Gott als Maßregler aber zuerst da war – und der jüdische Gott als Allererster –, messen wir die Richtigkeit noch immer in seinen Parametern. Was nicht richtig ist, ist nicht ganz koscher. Und genau darum gehts beim Jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg in diesem Jahr. Etwas ist in all den 21 Spielfilmen nicht ganz koscher.

So muss es sein, oder, wie es der junge deutsch-polnische Komponist seiner jungen israelische Kollegin Sephi in „Past Life“ (2016)  von Avi Nesher sagt: „Ich gebe dir einen Rat - hör nie auf einen Rat.“ Kunst entsteht nie, solange man sich anderen anpasst, fremde Erwartungen erfüllen will. Wer das sein lässt, ohne dabei die Liebe zu den anderen zu verlieren, der schafft mühelos etwas Schönes.

Um Kunst, die Kraft der Musik geht es in „Past Life“ – aber eigentlich nur nebenbei. Eigentlich geht es um Sephi und ihre ältere Schwester Nana und den alten Schmerz, der in der Schwesternliebe immer mitschwingt. Als Nana (Nelly Tagar), jung, brilliant schlau und todkrank im Bett liegt, erzählt sie Sephi (Joy Rieger) folgende Geschichte: „Meine erste Erinnerung an dich ist, wie sich dich nach deiner Geburt nach Hause brachten. Du warst so wunderschön, dass ich in dein Bett geklettert bin und auf dich gepinkelt habe.“ Warum, fragt Sephi. „Ich hatte Angst, dass sie mich jetzt nicht mehr lieben.“

Aber Avi Nesher hat nicht nur einen Film über Musik gedreht, nicht nur einen über Schwesternliebe, einen über die Verletzungen, die Eltern ihren Kindern zufügen, sondern vor allem einen darüber, wie wir Schuld weitervererben, indem wir schweigen. Aus Scham. Trotz all des Dramas – jeder Kritiker würde das überzogen finden, sagt Nana an einer Stelle, kurz nachdem sie ihre Diagnose bekommen hat – ist Neshers Film in jeder Sekunde echt. Jedes Gefühl mitfühlbar. Nie zu viel, nie genug.

Trotzdem eröffnet das Filmfestival am Sonntag im Hans Otto Theater mit einem anderen, weitaus weniger echten Film. Auch hier geht es ums ganz Große. „Die Geschichte der Liebe“, basierend auf einem Roman von Nicole Krauss – der Exfrau von Jonathan Safran Foer, einem Autor, der nun wirklich in jedem einzelnen Satz ganze Universen von Wahrheit, Leben und Schmerz unterbringt und dabei noch lässig-lustig ist. Vielleicht schafft das auch Nicole Krauss in manchen ihrer Sätze. Der Film aber – gedreht von Radu Mihäileanu – hält sich zu sehr an die Regeln Hollywoods. Weiches Licht, rau-sanfte Erzählerstimme, alles überzuckernde, an Herz und Nerven zerrende Musik, stetiger Spannungsaufbau. Hier ist leider alles koscher. Allein das Motiv: Leo verliebt sich in Alma, in den 1930er-Jahren in einem polnischen Schtetl. Und verspricht, was jeder verknallte 15-Jährige verspricht: Ich bring dich ein Leben lang zum Lachen.“ Als ob das nicht auch so schon scheitern müsste, verlieren sich die beiden im Krieg. Und natürlich hört Leo trotzdem nie auf, sie zu suchen. Um dann, in unserer kalten Gegenwart, einem jungen Mädchen zu beweisen: Die Liebe existiert wirklich.

Viel schöner ist da „Praise the Lard“, eine Dokumentation von Regisseur Chen Shelach, die das Tabu ums Schweinefleisch – das nun wirklich gar nicht koscher ist – als Geschichte eines Kulturkampfs in Israel erzählt. Und damit die Tausendschichtigkeit des Landes mit nur einem einzigen Beispiel aufblättert. Klar, jeder weiß, Juden essen kein Schwein. Aber wer weiß schon, dass es trotzdem – schon seit der Staatsgründung – eine florierende Schweinefleischindustrie gibt? Der Kibbuz Mizra ist der größte Produzent, Widerstand gibts natürlich auch. Und einen IDF-Soldaten, der wegen eines Sandwichs seiner Oma ins Gefängnis muss. Besser, schneller und einfacher kann man kaum vom Konflikt zwischen säkularen und orthodoxen Juden erzählen. Manche israelischen Soziologen betrachten ihn als gefährlicher für den Staat als den Konflikt zwischen Juden und Palästinensern.

Was wäre das Leben schon ohne Widerspruch, ohne Tabubruch, ohne Streit? Koscher vielleicht, aber blutleer. Dafür ist das Leben viel zu kurz und kostbar. Auch das schwingt beim Jüdischen Filmfest, das zwar vor allem Berlin stattfindet, aber wie jedes Jahr in Potsdam eröffnet wird, immer mit. In diesem Jahr ist, anlässlich des Jubiläums zu 100 Jahren Ufa, auch eine Sonderreihe im Filmmuseum geplant. „Dem Vergessen entrissen“ heißt sie, mit ihr soll all den Filmschaffenden gedacht werden, die die Ufa überhaupt erst zu dem machten, was sie war. Regisseure wie Fritz Lang und Billy Wilder etwa, aber auch Schauspieler, Drehbuchautoren, Komponisten und Kameraleute, die den Glanz der Filmindustrie schufen und dann von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Einer, der überlebte, war der jüdische Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Emeric Pressburger. Eine Sonderreihe im Filmmuseum widmet sich speziell ihm.

Das Jüdische Filmfestival Berlin & Brandenburg eröffnet am Sonntag um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater mit einer Gala und dem Eröffnungsfilm "Die Geschichte der Liebe"

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