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Glaube, Reue, gute Taten. So entkommt Jedermann dem Fegefeuer.

© Promo

Jedermann in St. Nikolai: Effektvolles Spektakel

Die prominent besetzte erste Jedermann-Inszenierung in Potsdam setzt auf schöne Oberflächen und lautstarke Effekte.

Der „Jedermann“ von Hugo von Hoffmannsthal ist seit fast 100 Jahren in Wien – und bis 2014 auch in Berlin – ein Publikumsmagnet. Jetzt also auch in Potsdam. Am Freitagabend hatte das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ in der Nikolaikirche Premiere – sie war restlos ausverkauft. Vor dem protestantischen Gotteshaus herrschte beinahe Volksfestatmosphäre, nicht nur beim 200 Meter entfernten Oktoberfest im Lustgarten, sondern auch direkt vor der Kirche wurden Getränke und Currywurst feilgeboten und Gitarrenmusik erklang.

Alkoholselig

Nach dem Acht-Uhr-Glockengeläut ging es dann in der ersten Szene der Aufführung kräftig weiter mit dem Feiern. Eine Gruppe alkoholseliger Damen und Herren im Frack oder Anzug tanzte zu unheilvoll dräuenden Orgelklängen auf den Altarstufen, ließen einen Joint kreisen, schließlich Geldscheine regnen und zuletzt orgiastische Gesten folgen. Unter dem in die Apsis projizierten Sternenhimmel fielen danach alle ermattet um.

Zynisch-großmäulig

Wenig später hat der zynisch-großmäulige Gastgeber seinen ersten Auftritt. Jedermann, gespielt von Timothy Peach, schätzt sich selbst und vor allem sein Geld. Was kümmert ihn sein alter mittelloser Nachbar, zart von dem 97-jährigen Herbert Köfer verkörpert, oder die lästigen Ermahnungen seiner biederen Mutter (Dorit Gäbler), sich endlich wieder dem christlichen Glauben zuzuwenden.

Gerade hat der Mann in den besten Jahren nur eines im Sinn: noch mehr Geld zu machen und es mit seiner blutjungen Freundin zu verprassen. Diese wird in der Inszenierung des Michendorfer Volkstheaters unter der Regie von Christian A. Schnell von Larissa Marolt, bekannt aus der Castingshow „Austria’s Next Topmodel“ und Teilnehmerin im „Dschungelcamp“, verkörpert. Mit der Buhlerei nun gibt sie ihr Theaterdebüt.

Vor allem optisch passt dieses Paar perfekt in die heutige Zeit. Und auch ihre oberflächlichen Gesten spiegeln überzeugend das Beziehungsverhalten in bestimmten Gesellschaftskreisen. 

Hysterisch-aufbrausend

Doch die Hoffmannsthalschen Knittelverse sind an manchen Stellen doch zu anspruchsvoll. Zumal die Arbeit mit dem Mikroport oft nicht so viel stimmlichen Druck – beim zeitweise hysterisch aufbrausenden Jedermann – gebraucht hätte und manches in der Kirche nur undeutlich, aber laut widerhallte. Doch es kommt, was kommen muss: Gott (Max Schautzer) schickt effektvoll beleuchtet den Tod (Frank Kirschgens), um Jedermann vor das Jüngste Gericht zu zitieren. Und: Auch der reiche Mann erfährt, dass keiner seiner irdischen „Freunde“ diesen Weg mit ihm gemeinsam gehen wird.

Einsam und bekehrt

Und ab diesem Moment versucht er vieles, um nicht einsam sterben zu müssen. Schließlich hält er sich in seiner Angst dramatisch eine Pistole an den Kopf und in den Mund und nur seine ziemlich gebrechlichen „guten Werke“ (Iris Werlin) und der Glaube, den Schautzer als Doppelrolle verkörpert, begleiten ihn schließlich. Doch die – auch im Hoffmannsthal-Stück etwas rätselhafte – „Bekehrung“ hinterlässt im Potsdamer „Jedermann“ keine wirklichen Gänsehautmomente.

Eigentlich hätte der rücksichtslose Egomane jedoch ins Fegefeuer – das dann in der Teufelsszene (Wolfgang Bahro) als Flammen-Projektion eindrucksvoll über die Bühne flimmert – gehört. Aber, so die Botschaft der (katholischen) Geschichte: (Tiefe) Reue, ein (wiedergefundener) starker Glaube und „gute Werke“ waschen das Sündenregister des reichen Mannes letztendlich doch noch rein. Angesichts aktueller gesellschaftlicher Krisen hinterlässt so ein Finale einen einigermaßen schalen Beigeschmack. Und man fragt sich auch, warum „diese Gruft aus Reimen“ – so Helmut Stadelmaier – sich solcher Beliebtheit erfreut. Auch die Premierenzuschauer in St. Nikolai spendeten langanhaltenden Beifall für ein prominent besetztes Ensemble. Diesen 1. Jedermann-Festspielen in Potsdam sollen weitere folgen.

Weitere Aufführungen in der Nikolaikirche Am Alten Markt Potsdam am 6. 10. um 20 Uhr, 7. 10. um 19 Uhr, am 12. und 13. 10. um 20 Uhr sowie am 14. 10. um 19 Uhr. Karten hier

Astrid Priebs-Tröger

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