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Kultur: Jeder kann erzählen

Suse Weiße will in Potsdam die Erzählkultur befördern / Heute ist sie im Kunstgriff 23 zu hören

Es ist noch gar nicht so lange her. Da saß man abends in den Familien zusammen und erzählte sich gegenseitig etwas: Erlebnisse des Tages, von anderen Gehörtes, aber auch Märchen, Witze oder Bibelgeschichten. Doch seit Radio, Fernsehen und Computer massenhaft in die Haushalte Einzug gehalten haben, gehört diese persönliche Zwiesprache vielerorts der Vergangenheit an. Aber es gibt auch eine andere Entwicklung: Seit einigen Jahren lassen sich immer mehr Menschen zu professionellen Erzählern ausbilden.

Die Potsdamerin Suse Weiße gehört zu ihnen. Nach einem Studium der Psychologie, der Erwachsenen- und Grundschulpädagogik entschloss sich die 1962 in Wolfsburg Geborene, noch ein Studium der Theaterpädagogik dranzuhängen und kam an der Berliner Hochschuel der Künste in der ersten Erzählklasse von Christin Wardetzky 1995 mit dem professionellen Erzählen in Berührung. Und diese Kunstgattung fiel bei ihr – sie liebte früh die Geschichten ihrer Großmutter und wollte selbst immer zum Theater – auf fruchtbaren Boden.

Ein anderer Lehrer, der Regisseur Horst Havemann, empfahl ihr, nach dem Studium am Kammertheater Neubrandenburg zu arbeiten. In diesen unruhigen Nachwendejahren hat sie dort viel über Theater, Erzählen und Märchen gelernt, sagt sie heute noch dankbar. So dass ihr Entschluss, als Geschichtenerzählerin in die Freiberuflichkeit zu gehen, sich gleich danach in die Tat umsetzen ließ. Mit Unterstützung des Arbeitsamtes kaufte sie sich vor acht Jahren „einen Computer und einen schönen Mantel“, erinnert sie sich. Und erzählt seitdem Geschichten für Erwachsene und Kinder. Auf Deutsch, Englisch, Spanisch oder Platt.

Und das mit Leib und Seele. Allein oder im Ensemble. Unter anderem mit einer Französin und einer Finnin. Oder in Begleitung von Musikern. Und wer die zierliche Frau mit der markanten Stimme und den ausdrucksvollen Händen schon mal live erlebt hat, wird sie nicht so schnell vergessen. In Potsdam konnte man das mehrmals bei der Märchennacht im T-Werk. Und ihren wunderbaren Präsentationen der Märchen vom „Machandelboom“, vom „König Lindwurm“ oder vom „Eisenhans“ lauschen. Dabei ist es immer wieder faszinierend mitzuerleben, wie Suse Weiße es schafft, sowohl große als auch kleine Zuhörer in den Bann der Geschichten zu ziehen. Ihr Erzählen aus dem „eigenen Bauch, Herz und Kopf“ lässt diese hin- und herschwingen zwischen sich und dem Publikum. Und gerade das macht auch ihr den größten Spaß. 2005 wurde sie dafür mit dem Märchen- und Sagenpreis des Landes Thüringen ausgezeichnet.

40 bis 50 Geschichten hat Suse Weiße abrufbereit im Kopf, darunter viele Märchen, Göttersagen oder Schöpfungsmythen aber auch Texte von Kafka oder Puschkin. Die findet sie vor allem durch eigenes Lesen. Aber: „Am schönsten sind die, die ich nur höre“, sagt sie im Gespräch. Dann mache sie sich schnell Stichpunkte und erzähle sie bei nächster Gelegenheit weiter, denn dadurch könne sie sich sie selbst gut einprägen. Außerdem bringe sie „eigene Schleifen“ rein, die sie dann, wenn sie Glück habe, zwei oder drei Jahre später beispielsweise auf internationalen Erzählfestivals wieder hört.

„Dadurch bleiben sie lebendig“ und nicht nur das macht einen großen Reiz der mündlichen Wiedergabe aus. Sie kann gerade auch Kindern mit Geschichten „direkt was rübergeben“, wie sie bei ihrem jüngsten Erzählprojekt in einer Kreuzberger Schule merkt. In Klassen mit einem großen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund werden Fragen wie „Hast du jemals einen Helden gekannt?“ oder „Bist du als Kind mal verloren gegangen?“ gemeinsam mit Eltern und Großeltern bearbeitet. Daraus entstehen dann ganz eigene mutmachende und Ich-stärkende Geschichten, die nicht nur die Sprach- und Sprechfähigkeit der Kinder verbessern.

Solche Projekte würde Suse Weiße, die in diesem Jahr unter anderem auf Erzählfestivals in Rumänien, Luxemburg oder Belgien unterwegs ist, auch gern in Potsdam anbieten. Denn als Geschichtenerzählerin lässt sich ihr Wunsch, etwas mit und für Menschen zu tun, für sie am besten verwirklichen. Außerdem will sie mehr Erwachsene, beispielsweise in Elternworkshops, wieder für die zutiefst menschliche Fähigkeit des Erzählens begeistern. Astrid Priebs-Tröger

Suse Weiße ist heute um 20.30 Uhr sowie am 4. Mai im Kunstgriff 23, Carl- von–Ossietzky-Straße 23, zu erleben.

Astrid Priebs-Tröger

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