zum Hauptinhalt
Brachte Groove ins Palais Lichtenau. Jazz-Musiker Jacky Terrasson.

© Klaus Hellenthal

Jazz in Potsdam: Chopin mit Blue Notes

Weltklasse-Jazzer auf Stippvisite: Jacky Terrasson spielte im Palais Lichtenau

Solch einen Groove haben die altehrwürdigen Wände im Potsdamer Palais Lichtenau noch nicht erlebt. Wie noch keiner zuvor brachte Jacky Terrasson am Mittwochabend den Konzertflügel mit fast zwei Stunden feinster Jazz-Piano-Musik zum Klingen und Schwingen. Hingerissen lauschten die Zuhörer und forderten schließlich mehrere Zugaben. Abgesehen von einer freundlichen Begrüßung „Good Evening, Bonsoir, Guten Abend“ sprach Terrasson kein Wort. Es schien so, als würde die Musik zur zweiten Natur des freundlichen, schmächtigen Manns. Noten braucht er nicht, ihm scheinen die Töne aus den Händen zu fließen.

Wie Terrasson altbekannte Melodien liebevoll zerpflückt, um sie dann auf verschlungenen Wegen, fragmentarisch und mit vielen Arabesken wiederaufzunehmen, das macht ihm so keiner nach. „Warum soll man einen Standard-Titel überhaupt spielen, wenn man ihm nicht einen eigenen Dreh verpasst?“, fragte der in Berlin geborene Sohn einer Afroamerikanerin und eines Franzosen einmal. Diesen Dreh, ein Stück so zu verwandeln, bis das Original kaum noch zu erkennen ist, beherrscht er genial.

Nach spritzigen Improvisationen, Tremolo-Eruptionen, Tonwirbeln mit überkreuzten Händen blitzt immer wieder ein melodisches Fragment hervor. Sei es „Somewhere over the rainbow“ mit fetzigen Synkopen garniert oder der melancholische „Lover Man“ mit funkigen Einlagen, sei es ein sonniges „Smile“ von Charlie Chaplin oder „La vie en rose“ als kreiselnde Spieldosenmusik – das Klavier wird Rhythmus- und Melodieinstrument zugleich.

Mit schnellem Drive, springenden Upbeats oder als Walking Bass im Bluestakt ziehen die Klangströme mal gerade, mal kurvig, mal breit, mal schmaler vorbei. Dazu leuchten impressionistische Tonfarben in allen Mischungen – an fantasievollen, immer wieder überraschenden Einfällen herrscht wahrlich kein Mangel. Manch eine Ballade klingt so verträumt, als sei sie von Chopin mit Blue Notes. Doch allzu romantische Schmuseklänge werden gerne mit frechen Strichen übermalt. Dazwischen spielt Terrasson eigene Stücke, wie den dunklen, schweren „Tragic Mulatto Blues“ oder den berührenden Song „Mother“, eine Hommage an seine kürzlich verstorbene Mutter.

Ja, wahrscheinlich kam Jacky Terrasson schon mit der Musik im Blut auf die Welt. Nach Jahren in Paris und einem Studium am renommierten Berklee College of Music lebt er schon seit langem in New York City. Dass er auf seiner derzeitigen Tour durch Europa eine Stippvisite in Potsdam machte, ist dem rührigen Pianisten und Organisator Alexander Untschi zu verdanken. Als er vor Jahren Terrasson bei einem Auftritt mit der NDR-Bigband hörte, war er so begeistert, dass er den Kontakt zu ihm herstellte.

Schade, dass dieses frische, überaus lebendige Konzert nur von so wenigen Zuhörern geteilt wurde. In Potsdam wäre Jacky Terrasson bestimmt ein gern wieder gehörter Gast – nicht nur unter den hellen Kronleuchtern im Festsaal vom Palais Lichtenau. 

Babette Kaiserkern

Zur Startseite