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Kultur: Jazz auf Jobsuche

Zwei Bands spielten zu Ehren von Charles Mingus im Hans Otto Theater

Früher, sagt eine ältere Dame beim Blick auf die leeren Ränge im Neuen Theater, da war bei Jazz in der DDR immer die Hölle los. Und heute? Gealterte Jazzpuristen sitzen neben wenigen ganz jungen Musikfreunden in Sportjacken. Schade, da ist offenbar mindestens eine ganze Generation abhanden gekommen.

Das Abschlusskonzert des von der Jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg organisierten Festivals zu Ehren der Jazzlegende Charles Mingus kann Antworten geben. Denn hier spielen zwei Bands in gleicher Formation. Ein direkter Vergleich des Verständnisses von Charles Mingus und von Jazzmusik allgemein zwischen Europa und den USA ist so möglich. Denn Mingus Moves kommt aus Wuppertal und die Mingus Dynasty Band, die nach der Pause auftritt, aus New York. Ihre Aufgabe ist es, das Vermächtnis des 1979 verstorbenen Bassisten und Komponisten hoch zu halten.

Sue Mingus, rüstige Witwe der Jazzlegende, schickt diese wie andere Formationen durch die Welt, um die enorme musikalische Hinterlassenschaft bekannter zu machen. Das kompositorische Werk der für seine cholerischen Ausfälle bekannten Jazzlegende wäre das zweitgrößte in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts der USA, sagt Mingus dritte Ehefrau in einer kurzen Ansprache im Neuen Theater. Nur Duke Ellington überbiete hier ihren Mann. Als Komponist stand Mingus allerdings immer im Schatten seiner Karriere als Bassist, in der er mit allen Jazzgrößen zusammen auftrat, so mit Lionel Hampton, Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und Charlie Parker.

Die Unterschiede in der Interpretation kann man schon aus den Namen ablesen. Mingus Moves unter Bandleader und Saxofonist Wolfgang Schmidtke sind um Fortentwicklung bemüht. Bis auf ein Stück spielen auch sie ausschließlich die Kompositionen von Charles Mingus, nur klingen sie akademischer, gehen härter in die ausgefeilten, teilweise gegenläufigen Improvisationssequenzen und klingen weitaus ernster. Deutsch ist die Ehrfurcht vor der verblichenen Größe, deutsch klingt die puristische Haltung durch. Mingus Moves gehen in manchen Stellen an die Grenze der Kakophonie, als ob sie beweisen wollten, dass trotz des vermeintlichen Klangchaos noch immer unerbittlich die geheime Ordnung des Jazz vorherrscht.

Stephan Meinberg treibt seine Trompete in aufreizende Schrillheit, seine ganze Körpersprache signalisiert dabei Ungeduld.

Auch Dynasty spielen manchmal wild durcheinander, aber hier ist allzeit eine angenehme Lässigkeit zu hören. Ob im Bluesmuster, mit dem Pianist David Kikoski das Ganze mit ausdrücklicher Spielfreude unterlegt, oder in den vergoldeten Sahnehäubchen, die hier die Trompete von Alex Sipiagin als sanfte Zierde einwirft. Während Schmidtke seine Gruppe mit einer stillen Lehrerautorität vorsteht, die das Eingeübte von seinen Leuten einfach erwarten darf, geht von Wayne Escoffery, dem schwarzen Lead-Saxofonisten auf der anderen Seite, ein ruhiges, aber sehr aufmerksames Charisma aus. Er kommuniziert mit den drei weiteren Bläsern und der Rhythmusformation aus Klavier, Bass und Schlagzeug, als ob er wirklich gerade erst die Soli zuteilt. Interessant auch, dass die Wuppertaler Mingus Instrument, dem Bass, keine Freiheit zur alleinigen Darstellung geben wollen.

Die Amerikaner würdigen ihren Meister zumindest durch kunstvolle Beiträge ihres Bassisten Hans Glavischnig direkter. Mingus Dynasty können sogar die Frage beantworten, warum Jazz nicht unbedingt Musik für exzentrische Individualisten sein muss. Sie lassen die politische Facette von Charles Mingus erklingen, die er im aufwühlenden „Haitian Fight Song“ und in „Oh Lord, Don“t Let It Happen Here“ kämpferisch tonal verfasst hat. Mit diesen Stücken holen Mingus Dynasty den Jazz in die Mitte der Gesellschaft zurück. Als Musik, die eine Haltung und Aussage besitzen kann, die weit über die Kunstfertigkeit des A-Rhythmischen hinaus geht. Würde das in Deutschland in Zukunft besser gelingen, könnten die Ränge wieder voller werden.

Matthias Hassenpflug

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