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Bunte Vielfalt. Anat Geller malt das Leben in ihrer Heimat Israel. Ein Motiv sind ihre Nachbarn auf dem Markt der Drusen.

© H. Davenport

Israelische Künstlerin in Potsdam: Wie durch die Augen eines Kindes

Noch bis Sonntag ist die Schau „Innere Widersprüche“ der Israelin Anat Geller im Museumshaus „Im Güldenen Arm“ zu sehen.

Von Helena Davenport

Kinder spielen, Frauen wiegen ihre Babys, andere schlafen oder waschen sich und weiter links stehen zwei Männer munter quatschend vor dem Pissoir. Das Bild von Anat Geller zeigt ein kunterbuntes Gewusel – auf den ersten Blick zumindest. Tritt man näher, bemerkt man, dass hier alles seine Ordnung hat, jeder Raum eine Funktion besitzt. Und erst dann sieht man auch die drei Raketen, die fast parallel zueinander auf den Alltag dieser Menschen zusteuern. „Das Leben im Bunker“ heißt das Bild der israelischen Künstlerin, das derzeit neben vielen weiteren im Museumshaus „Im Güldenen Arm“ hängt. Zunächst mögen Gellers Arbeiten naiv wirken, möglicherweise sogar kindlich. Aber dann geben sie doch mit großer Härte wieder, wie eng Alltag und Krieg in ihrer Heimat miteinander verzahnt sind. „Innere Widersprüche“ ist eine unbedingt sehenswerte Schau, die das Museumshaus noch bis Sonntag zeigt.

Ihr Vater wollte mit Deutschen nichts zu tun haben

Ihr Vater, der aus einer osteuropäischen jüdischen Familie stammt, habe sich bis zu seinem Tod vehement dagegen gesträubt, mit Deutschland in Verbindung zu geraten, sagt Geller. Bei Flugreisen habe er sogar riesige Umwege in Kauf genommen, um nicht den deutschen Luftraum zu schneiden. Umso paradoxer klingt es, dass seine Tochter nun ihre Werke in Potsdam präsentiert. Schuld trägt gewissermaßen die Familie ihres Mannes. Ihr Schwiegervater, ein jüdischer Berliner, musste als Kind ebenfalls fliehen, aber liebte bis zum Ende seines Lebens die deutsche Kultur. Eine Freundin der Familie aus Deutschland wurde schließlich auf Gellers Arbeiten aufmerksam und vermittelte sie an Kulturschaffende aus Potsdam.

Erst mit 49 Jahren hat die studierte Pädagogin angefangen zu malen. Es hatte sich etwas in ihr angestaut, und das musste raus. „Ich wusste erst gar nicht, wie ich anfangen soll“, erzählt die heute 63-Jährige lachend. Auf Leinwand male sie bis jetzt nicht, sie sehe sich schließlich nicht als Künstlerin. Was Farben anbelangt, nehme sie alles, was sie finden kann: von Bootslack bis zu Glasfarben. Ihre Bilder entstehen in ihrer Küche – immer dann, wenn es sein muss. In diesen Momenten könne sie stundenlang ohne Pause durcharbeiten, und wenn Bilder dann fertig seien, könne sie nicht mehr erklären, wie diese entstanden sind. Aber der Prozess ist ihr ohnehin viel wichtiger als das Resultat.

Das Malen half ihr, wieder aufzustehen

Geller wohnte lange Zeit mit ihrer Familie in Jerusalem, zog dann in den Norden. In beiden Regionen sind die Auseinandersetzungen zwischen Israel und den arabischen Staaten Normalität. Während des Jom-Kippur-Kriegs 1973 war sie in der Armee. Heute sagt sie, dass sie ein Trauma hat. Vorher hatte sie lange durchgehalten, brach erst dann zusammen, als ihre Kinder schon groß waren. Das Malen half ihr, wieder aufzustehen: „Ich wusste, ich muss meine Freunde malen, die in diesem Krieg gestorben sind.“

In ihren Bildern steckt gebündelte Energie. Ob sie Landschaft abbildet – bestellte Felder etwa bis in unendliche Weiten – oder ihre Nachbarn, die Mitglieder verschiedener ethnischer Gruppen. Diese haben sich gegenseitig geformt. Auf Gellers Bildern greifen ihre großen Körper teils wie Puzzleteile ineinander. Auch den Alltag von Soldaten bildet die Künstlerin ab. Einer ruht sich aus, während vor der Kaserne ein Panzer feuert – das zeigt der Blick durch ein Fenster, über dem ein Playboy-Plakat hängt. Übel nehmen kann man dem Soldaten weder Plakat noch Nickerchen. Aber Geller zeigt hier, wie skurril Alltag sein kann. Darüber hinaus setzt sich Geller in ihren Bildern mit dem Thema Sexarbeit auseinander. Auf massigen, rosigen – weiblichen oder männlichen – Körpern, verlieren sich schmale, dunkle Gestalten, gehen fast unter zwischen den Wellen aus Fleisch und Fett.

Ihr größtes Vorbild sind ihre Schützlinge

Einmal wollte Geller einen Bus gleichzeitig von außen und von innen darstellen, aber dachte sich im selben Moment, dass das nicht möglich sei. „Dann habe ich mir gesagt: Wenn ich ein Kindergartenkind wäre, dann wäre es möglich.“ Das farbenfrohe Ergebnis ist in der aktuellen Schau zu sehen.

Gellers Arbeiten können an die Werke von europäischen Expressionisten erinnern, gleichzeitig könnten sie von islamischen Miniaturen inspiriert sein. Sie habe sich immer viel mit Kunstrichtungen beschäftigt, sagt Geller. Die Pädagogin arbeitete auch an einem arabischen College, an dem sie Muslimas von den Miniaturen erzählte. Aber ihre Schülerinnen kannten diesen Teil der islamischen Kultur nicht. „Ihnen wurde nie beigebracht, auf ihre Kultur stolz zu sein“, sagt Geller. Aber wenn es um ihre eigene Arbeit geht – wichtige Künstler hin oder her – bleiben ihre Schützlinge aus dem Kindergarten ihre größten Vorbilder: „Ich werde niemals gut genug sein, um malen zu können, was sie malen“, sagt sie.

„Innere Widersprüche“, Anat Geller, Museumshaus „Im Güldenen Arm“, Hermann-Elflein-Straße 3, bis zum 12. August

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