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Traurig. Der Film „24 Tage“ von Alexandre Arcady aus dem Jahr 2006 hat mit den antisemitischen Anschlägen infolge des „Charlie Hebdo“-Attentats noch einmal an Aktualität gewonnen.

© Promo

Israelische Filme im Filmmuseum Potsdam: „Von Sünde kann keine Rede sein“

Frank Stern hält ein Seminar zu Religion und Sexualitäten im jüdischen und israelischen Film. Warum das alles zusammengehört, zeigt die parallel laufende Filmreihe

Herr Stern, Sie bieten im kommenden Semester ein Seminar am Moses Mendelssohn Zentrum an zum Thema Tradition, Religion und Sexualitäten im internationalen jüdischen und israelischen Spielfilm. Das klingt nach zwei Enden einer langen Skala – warum haben Sie sich dafür entschieden?

Die Lehrveranstaltung soll dazu dienen, jüdische Lebenswelten im Film der letzten 25 Jahre genauer zu beleuchten. Indem man sich mit dem Spielfilmschaffen der letzten Jahrzehnte beschäftigt, beschäftigt man sich auch mit einer jüngeren Generation – vor allem einer wachsenden Zahl von jüdischen Regisseurinnen, Kamerafrauen, Drehbuchautorinnen. Da haben sich wirklich kulturelle Veränderungen im visuellen Bereich vollzogen. Die Erfahrungen und der Hintergrund jüdischer Filmschaffender wirkt sich natürlich sehr oft auf die Geschichten aus, die erzählt werden, und manchmal auch auf die Ästhetik, auf die Art und Weise, wie publikumswirksam aktuelle Stoffe filmisch umgesetzt werden. Und das sind heute keine Geschichten vom Rande der Gesellschaft, sondern Mainstream-Themen. Und, um auf Ihre Frage direkt zu antworten, was könnte mehr Mainstream sein als Sexualitäten?

Im Christentum ist der Einfluss auf die Sexualität traditionell sehr restriktiv, da schließt das eine das andere fast aus.

Nun, die jüdische Religion ist ja eine sehr lustvolle Religion. Das Handbuch für eine offene, freie und erfüllte Sexualität ist das „Lied der Lieder“ in der Bibel – man muss es nur richtig übersetzen, und keine Liebe ist ausgeschlossen. Verfilmt ist das noch nicht, aber viele Filme mit jüdischen Themen lassen sich vom Lied der Lieder – auf Hebräisch Schir HaShirim – inspirieren. Aber sicher ist das auch eine Frage der Interpretation, gibt es doch auch religiöse Restriktionen. Doch jenseits aller Interpretationen gibt es ja dieses schöne Einverständnis, dass der Freitagabend auch ein Abend der sinnlichen Liebe ist. Also von Sünde kann da kaum die Rede sein.

Und das schlägt sich im jüdischen und israelischen Film nieder?

Jemand in Hollywood hat mal gesagt: „Was ist ein Film - A girl and a gun!“ Das trifft natürlich bei Weitem nicht auf alle Filme heute zu, aber es ist nach wie vor so, dass der Film als einem Bereich der visuellen Kultur von Gender, von Geschlechterbeziehungen, lebt. Auch von der Provokation. Oft ist es so, dass Spielfilme mit jüdischen und israelischen Themen Dinge aufgreifen, die in der Literatur in dieser explizit sichtbaren Form gar nicht so vorhanden sind. Die Rolle der orthodoxen Frau etwa, die Frage der zunehmenden Emanzipation, des zunehmenden Selbstbewusstseins von Frauen, die aus traditionellen religiösen Verhältnissen ausbrechen oder diese verändern. Oder denken Sie an die Filme mit homosexuellen Themen aus Israel, die in Berlin ungemein beliebt sind.

Also ist das Thema Sexualität vor allem im jüdischen und israelischen Film wichtig?

Nein, das wäre in jedem Seminar zur Filmkultur wichtig, weil es einfach zum Spielfilm gehört. Der Film ist oft dem Traum sehr nahe, er visualisiert Dinge, die wir verdrängen, die wir vergessen wollen und die wir begehren. Er ist Traum und Spiegel zugleich. Das aber ist keine Stärke des jüdischen Films im deutschsprachigen Bereich. Es ist eher eine Stärke des französischen, des israelischen und des amerikanischen Films. Der deutschsprachige Film mit jüdischen Themen ist unwahrscheinlich vergangenheitsbehaftet, wobei Vergangenheit sehr selten die reiche und differenzierte jüdisch-deutsche Kulturgeschichte betrifft. Und wenn er in die Gegenwart springt, wird er meist peinlich.

Warum peinlich?

Weil in TV-Filmen und Serien und Kinofilmen einfach zu oft antijüdische Vorstellungen bedient und Klischees reproduziert werden, etwa wenn plötzlich alle zu Tätern werden, oder es nur schöne Jüdinnen und weise Juden gibt.

Wie schaut es denn mit der manchmal ebenfalls als Klischee fungierenden Verbindung von Juden und Psychoanalyse aus? Spielt das in den Filmen auch eine Rolle?

Ja, das spielt eine große Rolle, und sicher gibt es eine psychoanalytische Entwicklungslinie in der Geschichte des Judentums. Der erste Traumdeuter, also sozusagen ein früher Psychoanalytiker, war Josef am Hof des Pharaos. Er deutet die Tiefenschichten der Träume, und Freud konnte mit Ironie auf Josef zurückblicken. Die Suche den Gründen, den Ursachen betrifft ja nicht allein die Geschichte unserer Gesellschaft, sondern auch die höchst individuelle Suche nach dem Woher, dem Warum, der Geschichte der Familie und der eigenen Identität. Das spielt auch in den Filmen, die wir im Kino im Filmmuseum Potsdam zeigen und mit dem Publikum diskutieren, immer eine Rolle.

Gibt es unter den acht Filmen, die Sie für das Seminar ausgewählt haben – und die parallel im Filmmuseum gezeigt werden – etwas wie einen roten Faden, etwas, das sie verbindet?

Ja, es geht um Erinnerung in heutigen unterschiedlichen jüdischen und israelischen Lebenswelten, um individuelle Verantwortung, um Leidenschaften. In den Filmerzählungen ist immer auch – und wenn es noch so verborgen ist – ein wenig Geschichtsvermittlung vorhanden, oft von Dingen, jüdischen Erfahrungen, Widersprüchen in der israelischen Kultur, die hier unbekannt sind. Und: Es gibt immer einen Aktualitätsbezug, etwas, das uns heute betrifft.

Ein gutes Beispiel dafür ist ja „24 Tage“.

Ja, er schildert den ersten antisemitischen Mord nach der Shoah in Frankreich. Vor wenigen Jahren wurde ein junger französischer Jude entführt, gefoltert und ermordet. Nach den Ereignissen in Paris vor wenigen Wochen hat der 2014 produzierte Film eine unwahrscheinliche Aktualität. Wenn ich an das Zündeln von Flüchtlingsheimen, den alltäglichen Rassismus und den Mainstream-Antisemitismus denke, können die Filme in der Reihe im Filmmuseum zum notwendigen gesellschaftlichen Gespräch beitragen. Film kann eingreifen, intervenieren.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Das Programm zu allen 8 Filmen der Reihe im Filmmuseum finden Sie unter www.filmmuseum-potsdam.de

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