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Kultur: Irritierende Metamorphosen

Er, Sie, Es: Die ae-Galerie zeigt acht Sichtweisen auf das Empfinden des Fremdseins

Wir wissen gern, wen wir vor uns haben. Fremdes irritiert und beunruhigt uns, egal, ob es sich um eine andere Hautfarbe oder ein unklares Geschlecht handelt. Wie viel Frau oder wie viel Mann steckt beispielsweise in den „Amazonen“ von Frank Gaudlitz? Warum haben die jungen Männer auf den Fotos von Yvonne Most so weiche Gesichtszüge? Sind sie ein Er oder eine Sie oder ein Es?

Die Galeristin Angelika Euchner widmet sich in ihrer aktuellen Ausstellung sehr komplex dem Thema „Identitäten – Metamorphosen“. Sie lud acht Künstler dazu ein, ihre ganz spezielle Sicht auf Menschen, die anders sind, zu präsentieren. Es geht nicht nur darum, wie wir dem Anderssein begegnen, sondern wie diese so „Anderen“ selbst mit dem „Fremden“ in sich umgehen.

Der 30-jährige Potsdamer Fotograf Adam Sevens nimmt den Besucher mit auf eine familiäre Spurensuche. In feiner Achtsamkeit nähert er sich seiner inzwischen verstorbenen Mutter, die an Schizophrenie litt. Sie war Künstlerin und malte immer wieder Matroschkas: vielleicht um unter den vielen Schichten dem Kern nahe zu kommen. Eine dieser Matroschkas hängt in der Ausstellung: mit kaltsezierendem Blick und sich auflösender Kontur. Das naiv-folkloristisch anmutende Motiv bekommt plötzlich eine neue Dimension. Das vom Sohn mit Fotos angereicherte Tagebuch der Mutter liegt ebenfalls aus und darf mit Handschuhen vorsichtig durchblättert werden. Das titelgebende Zitat „Harald Schmidt hat gesagt, ich darf heute nur drei Gummibärchen essen“ erzählt auch von der tragikomischen Seite der Krankheit. Dann lesen wir weiter: „Ich wollte nicht mehr zu Hause bleiben. Weil ich doch keins mehr hatte ohne die Kinder.“ Adam Sevens selbst ist ebenfalls im Bild: Einmal als kleiner Junge in den Armen seiner jungen, noch gesunden Mutter, die ihn am Strand von Fuerteventura glücklich durch die Luft wirbelt. Das gleiche Foto stellte er fast 30 Jahre später nach: mit sich und seinem kleinen Sohn.

Diese aufwühlende, wohl auch therapeutische Rückbesinnung – vorerst ein Zwischenergebnis – war für Angelika Euchner der Anlass für den vielschichtigen Blick hinter Schein und Sein, Wunsch und Realität, Würde und Verletzung, Ächtung und Isolation. Letzteres erlebten die transsexuellen „Amazonen“, die der Potsdamer Fotograf Frank Gaudlitz an den Ufern des Amazonas traf. Sie mussten sich ihre neue Identität, ihr Frausein schmerzvoll erkämpfen: Mit Operationen und seelischen Wunden, die bis heute in den Gesichtern eingeschrieben sind. Herausgeputzt in schönen Kleidern, stark geschminkt und auf hohen Plateausohlen wirken sie wie eingefroren, um Jahre älter als in Wirklichkeit. Was haben sie durchgemacht, als sie und die Familien ihre Andersartigkeit bemerkten? Viele wurden verstoßen und arbeiten heute als Prostituierte. Manche haben es geschafft, einen Frisier- oder Kosmetiksalon aufzumachen. Die Idee für diese Porträtreihe hatte Gaudlitz, als ihm auf seinen Südamerikareisen auffiel, dass es in Peru ganz besonders viele Transsexuelle gibt. Die Einheimischen führen es auf eine besondere exotische Frucht zurück, eine andere These richtet sich auf die Verunreinigung des Flusswassers durch hormonhaltige Medikamente. Die jungen Frauen wirken jedenfalls verunsichert, ja verloren, in ihren spärlichen Fummeln und zurechtoperierten schmalen Körpern.

Die jungen Männer vis-à-vis mit den weichen fraulichen Zügen, die die Fotografin Yvonne Most ins rechte Licht rückte, scheinen indes mit sich im Reinen zu sein. Diese androgynen Schönheiten leben offensichtlich ohne Probleme mit ihrer besonderen Identität, die Weibliches und Männliches vereint. „ErSieEs“ überschrieb die Fotografin aus Halle ihre analog und ohne Kunstlicht aufgenommenen Porträts, die fast zärtlich anmuten in ihrer sinnlichen Verträumtheit.

Sie fliehen nicht vor sich selbst, vor ausgrenzenden oder begehrenden Blicken, so wie einst Daphne vor Apollon. Die ließ sich in einen Lorbeerbaum verwandeln, um sicher zu sein vor den Nachstellungen des Ungeliebten. Auch darüber erzählt die Ausstellung: in gemalten Bildern von Martin Noll. Der im Potsdamer Rechenzentrum arbeitende Künstler zog sich für diese Serie in die Bibliothek des Schlosses Hundisburg bei Magdeburg zurück und kopierte historische Holzschnitte. Er adaptierte die Metamorphosen und bannte sie in Öl auf Papier, ohne ihnen ihr Geheimnis zu entreißen. Noll lässt die sich rätselhaft wandelnden Gestalten aus Gott, Mensch, Tier und Pflanze lustvoll nach seiner eigenen Pfeife tanzen. Zwitterwesen eben, wie sie das Leben und die Kunstgeschichte bis heute immer wieder gebärt.

Das „Dazwischensein“ ist viel mehr Normalität, als es uns unsere Vorstellung davon suggeriert“, schrieb Yvonne Most. Und ihre Kolleginnen Frauke Danzer und Anja Isabel Schnapka „kommentieren“ diese Sicht mit märchenhaften Papierskulpturen und maskenhaften Gesichtern. Die eine lässt aus „Prinzessinnen“ Schmetterlinge fliegen, die andere zeigt verhärtete Gesichter, die ihre Verletzungen zu verstecken versuchen. Es bleibt die Irritation. Heidi Jäger

„Identitäten – Metamorphosen“ in der ae-Galerie, Charlottenstraße 13, die Finissage findet am 1. März um 17 Uhr im Beisein der Künstler statt

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