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Heute und Vorgestern. In der 25. Ausgabe des Festivals Unidram ist auch die russische Gruppe Akhe dabei.

© Alexander Kasanskiy

Interview zu 25 Jahren Theaterfestival Unidram in Potsdam: „Dass es uns heute so gibt, ist ein Wunder“

Das Potsdamer Theaterfestival Unidram wird 25 Jahre alt. Wie ging es los, wo steht es heute? Ein Jubiläumsgespräch mit den drei Gründern.

Franka Schwuchow, Thomas Pösl, Jens-Uwe Sprengel, seit 25 Jahren kuratieren Sie drei jetzt gemeinsam das Festival Unidram. Wann haben Sie denn künstlerisch das letzte Mal so richtig gestritten?
 

PÖSL: Wir können unsere einzelnen Eitelkeiten ganz gut zurückstecken. Ich identifiziere mich nicht mit jedem Stück, kann aber trotzdem das Programm als ganzes immer mittragen. Weil wir als Kuratorium ähnlich gucken. Wenn wir uns auseinandersetzen, ist das immer konstruktiv, auch wenn das nach einer Phrase klingt.

SPRENGEL: Der Vorteil daran, dass wir das jetzt 25 Jahre machen, ist ja, dass man weiß, worauf man sich bei dem anderen verlassen kann oder worauf man eingeht. Deswegen ist man zu Kompromissen bereit, wenn man spürt, dass zwei von uns etwas sehr stark verfechten. Oft sagt dann jemand: Gut, ist jetzt nicht mein Favorit. Aber ich kann damit leben.

SCHWUCHOW: Es passiert nicht oft, dass wir streiten.

Da fliegen nie die Fetzen? Streit kann ja auch konstruktiv sein.

PÖSL: In den ersten Jahren war das stärker ausgeprägt, ja. Da mussten wir uns als Kuratoren und als Festival erst einmal finden. Da stand man dann auf, ging raus, kam wieder rein und weiter ging’s.

SCHWUCHOW: Manchmal braucht es auch einfach Zeit, um die anderen zu überzeugen. Für „Artica“ von Ponten Pie, das letztes Jahr eingeladen war, habe ich zwei Jahre gekämpft. Es war immer wieder verschoben worden, weil die Produktion sehr teuer war – es musste ein ganzes Holzhaus aufgebaut und aus Spanien hierher transportiert werden. Außerdem passten jeweils nur 25 Zuschauer rein, daher mussten wir das oft zeigen.

Alles begann in den frühen 1990er-Jahren mit „Jelisaweta Bam“ (r.), einer Inszenierung der Gruppe DeGater’87. 
Alles begann in den frühen 1990er-Jahren mit „Jelisaweta Bam“ (r.), einer Inszenierung der Gruppe DeGater’87. 

© Beate Wätzel

Wie gut kannten Sie sich damals, als Sie 1994 das erste Festival kuratierten?

SCHWUCHOW: Jens-Uwe war im ersten Jahr ja „nur“ als Workshop-Leiter dabei. Die Ursprungsidee kam damals von mir und Thomas Pösl und Studienkollegen aus unserer Seminargruppe. Das waren alles Studierende, wir kannten uns also relativ gut – in DDR-Zeiten haben ja alle die gleichen Seminare besucht. Wir hatten auch schon drei Stücke zusammen gemacht. Man muss allerdings sagen, dass im ersten Jahr die Auswahl an Stücken nicht sehr groß war. Wir hatten zwar eine Ausschreibung verschickt. Die ging aber nicht an freie Gruppen, weil wir keine Adressen hatten...

PÖSL: Wir hatten nüscht!

SCHWUCHOW: Wir haben bei Null angefangen. Wir hatten uns zwar von einem Kölner Festival in Sachen Organisation ein bisschen was abgeguckt, aber Geld und Gruppenkontakte, das mussten wir uns alles selbst besorgen. Daher war das Programm der ersten Jahre auch eher unterdurchschnittlich. Ich kann mich an eine Studentenproduktion aus Litauen erinnern ...

PÖSL: ... die wurde von der Kritik damals total vernichtet. Dass aus dem, was wir damals hatten, überhaupt das Festival wurde, so wie es heute ist, ist ein Wunder.

Woher überhaupt die Idee, ein Festival zu machen – obwohl Sie nüscht hatten?

SPRENGEL: Thomas Pösl und Franka Schwuchow hatten die Theatergruppe „DeGater’87“, in deren Produktion „Elizaveta Bam“ von Daniil Charms ich auch mitspielte. Damit sind wir auf Festivals getourt, eine völlig neue Situation für alle damals. Das gab uns enorme Impulse. Eine Woche mit anderen Theatern zu feiern, die Energie, das hat uns sehr befeuert.

SCHWUCHOW: Wir hatten auch das Glück bei einem Festival zusammen mit Forced Entertainment eingeladen zu sein, die damals noch keiner kannte. Das war eine andere Dimension von Theater – keine Studentenproduktion, die sich Mühe gibt. Das hat uns inspiriert. Eine Rolle spielte auch, dass es in Ostdeutschland nicht gerade eine große Festivallandschaft gab. Es gab in der DDR nur wenige freie Theater, viele begannen gerade erst, sich zu gründen. So wie auch die Festivals, etwa Euroscene Leipzig, die Tanztage. Das war eher eine Brache, die wollten wir mit eigenen Impulsen füllen.

Für wen dachten Sie sich das Festival?

SPRENGEL: Der Begegnungscharakter war zu Anfang extrem wichtig für uns. Als im 3. oder 4. Jahr der Publikumszuspruch sehr groß wurde, gab das dann den Impuls, das Festival stärker nach außen zu denken. Das Festival für das Publikum, für Potsdam zu machen.

PÖSL: Das hört sich vielleicht doof an, aber für mich war das Festival zunächst aus Eigeninteresse da. Gucken, was es gibt, wo man lernen, woran man sich erfreuen kann. Die heutige Dimension hätten wir uns damals nicht träumen lassen. In der Nachwendezeit fühlte sich das so an: Es gab zwar eine Perspektive – aber es gab auch keine. Die finanziellen Unterstützer konnten jederzeit abspringen, was dann auch passiert ist. Das Studentenwerk war in erster Zeit stark dabei, dann war es irgendwann weg.

Eine Zeit des Aufbruchs.

SPRENGEL: Ja, es gab in den 1990er Jahren eine positive Energie des Ausprobierens. Wir haben einfach losgelegt. Es ging aus einem gemeinsamen Was-wollen-wir und Was-ist-möglich hervor.

PÖSL: Und gearbeitet wurde ehrenamtlich, so würde man das heute nennen. Und zwar Vollzeit.

Unidram wurde über die Jahre immer professioneller. Heute sind Studierende im Programm die absolute Ausnahme.

SCHWUCHOW: Im vierten Jahr gab es eine Krisensitzung, bei der wir uns fragten: Wollen wir weiter ein Studentenfestival sein oder wollen wir Theater zeigen, das wirklich etwas mit uns macht? Damals haben wir entschieden: Wir wollen nichts, an dem nicht unser Herzblut hängt.

PÖSL: Und wir selbst waren inzwischen ja auch der Studentenszene entwachsen.

SPRENGEL: Im Programm gab es in der Anfangszeit wirklich große Diskrepanzen. Auf der einen Seite eine Studentenproduktion, die fast vom Publikum ausgebuht worden wäre. Auf der anderen Seite Falk Richter, der mit Bibiana Beglau und Marc Hosemann eine eigene kleine Gruppe gegründet hatte. Oder auch sehr starke, sehr professionelle Stücke mit visuellem Theater von Gruppen aus Polen oder Russland. Sowas ging mit einer Produktion des Augsburger Germanisten-Theaters nicht mehr zusammen.

Sie drei wollten eigentlich Lehrer werden. Thomas Pösl ist der einzige, der heute noch an der Uni arbeitet. Sie, Herr Sprengel und Frau Schwuchow, haben sich ganz für das Theatermachen entschieden, leiten seit 1998 auch das T-Werk. Wann fiel die definitive Entscheidung für diesen Weg?

SCHWUCHOW: Ich denke, das war um 2001 als die ABM-Stellen und deren Verlängerungen ausliefen. Damals mussten wir entscheiden: Wollen wir kämpfen, um Gelder von Stadt und Land. Für mich selbst kann ich sagen, dass ich zwar immer mal wieder ans Hinschmeißen dachte, wenn mal wieder bis zum Festival selbst die Finanzierung nicht stand. Aber das war nie so ernsthaft, dass ich mich ums Referendariat beworben hätte.

SPRENGEL: Als wir das T-Werk gründeten, passierte das schon mit dem Gedanken, perspektivisch auch eine Basis für das Festival zu schaffen, um dann über Fördermittel das Festival besser zu finanzieren. Mit dem Umzug des T-Werks vom Waldschloss in die Schiffbauergasse 2004 festigte sich das noch einmal. Seitdem mussten wir aber auch zusätzlich ganzjährig in anderer Größenordnung als zuvor einen Spielplan für ein Haus aufstellen. Das erzwang eine große Professionalisierung.

Wofür steht Unidram heute? „Bloß keine Metaebenen“, sagte Jens-Uwe Sprengel letztes Jahr. Ist das ein Credo, das Sie alle unterschreiben würden?

PÖSL: Ja und nein ...

Schwuchow: Ich denke, was alle eingeladenen Produktionen eint, sind eher die Worte „sinnlich“ und „visuell“. Wenn keins von beidem vorhanden ist, hat eine Produktion bei uns keine Chance.

SPRENGEL: Das war natürlich zugespitzt. „Akhe“ thematisiert den Theatervorgang stark und hat dadurch enorme viele Metaebenen. Aber es gibt nicht so viele selbstreferenzielle Produktionen.

Sie haben 2017 auch den Begriff des Volkstheaters ins Spiel gebracht. Sucht Unidram die Nähe zum Volkstheater?

PÖSL: Ich will, dass wir Vielfalt abbilden, ein möglichst breites Spektrum. Wenn da Elemente von Volkstheater dabei sind, nehme ich das mit. Es gibt so viele Dinge, die würdig sind, gezeigt zu werden – und die hierzulande selten zu sehen sind. Ich würde es nicht „Volkstheater“ nennen, sondern eher „zirzensisch“.

SCHWUCHOW: Ich finde die Frage auch schwierig. Denn was ist Volkstheater? In Deutschland ist das ganz stark mit einer Sprechtheatertradition verbunden. Wir richten uns an ein Publikum, das sich auf Produktionen einlässt, die mehrdeutig sind. Das beinhaltet die Bereitschaft, auf eine Aussage zu verzichten – auf die Frage: Was will der Künstler mir damit sagen? Die Aussage entsteht im Kopf des Zuschauers.

SPRENGEL: Ich wollte den Begriff als eigenständige Kategorie benutzen, vielleicht auch ein bisschen umdefinieren. Es geht nicht darum, Erwartungshaltungen zu erfüllen oder passende Schubladen anzubieten, sondern eher darum zu sagen: Wir haben Produktionen für Familien dabei aber auch ein Altersspektrum bis 80 Jahre. Zuschauer, die extrem vorgebildet sind oder auch Leute, die eher zufällig zu einer Vorstellung kommen. In dem Sinne ist es Volkstheater – nicht im Sinne von massenkompatibel.

Herr Pösl, Sie haben Potsdams neue Kulturbeigeordnete 2017 als „neuen Drachenkopf in der Politik“ begrüßt. Wie sehr will Unidram wider den Stachel löcken?

PÖSL: Es muss eben interessant sein. Ich stehe da seit 24 Jahren und halte die Eröffnungsreden! Stadtpolitisch kommen und gehen die Leute, wir sind immer noch da. Korrigiert mich, aber wir haben nicht vor, gegen den Strom zu schwimmen.

SCHWUCHOW: Vielleicht interessiert uns das, was gegen den Strom gebürstet ist. Ohne dass wir sagen würden: Wir stellen uns gegen irgendwen, gegen irgendwas. Uns interessiert eben etwas Anderes.

PÖSL: Unser Kuratieren ist grundsätzlich nach Innen gerichtet: Was wollen wir sehen, was gefällt mir? Ohne dass wir sagen würden: Jetzt hauen wir’s denen aber um die Ohren. Das spielt keine Rolle.

Was hat sich verändert über die Jahre? Stimmt die Beobachtung, dass es weniger Beiträge aus Osteuropa gibt?

SCHWUCHOW: Das stimmt, wir haben das Gefühl, dass von dort nicht mehr so viele Stücke angeboten werden, die für uns interessant sind, also visuell und sinnlich ansprechend. Unter den 500 Bewerbungen, die wir 2017 zum Beispiel hatten, waren mehr aus Westeuropa dabei.

PÖSL: Was sich für mich über die Jahre auch verändert hat, ist dass das Programm ausgewogener geworden ist. Jedes Jahr ist in sich stimmig, es kommen gegensätzliche Handschriften und Weltsichten zusammen, die sich gut ergänzen – die die gleiche Metaebene haben (lacht).

Machen wir es konkret: Wie zeigt sich dieses Gleichgewicht im Jubiläumsjahr 2018?

SPRENGEL: Schon die drei Produktionen von Akhe zeigen diese Balance. Den Auftakt bildet eine etwas ältere Produktion „Mr. Carmen“, sehr bildhaftes Theater. Dann zeigt Akhe zwei neue Produktionen, die auch in Russland erst zweimal gespielt wurden, die als politische Performances gedacht sind: „Demokratie“ und „Diktatur“. Diese Polarität interessiert uns.

Akhe sind alte Bekannte. Was ist 2018 neu?

SPRENGEL: Wir haben immer schon viel Musik gezeigt, aber der Österreicher Simon Mayer bringt mit „Oh Magic“ eine völlig neue, radikale Facette des Musiktheaters mit ins Festival. Und neu ist auch, dass wir den Kunstraum mit verschiedenen Performances bespielen – und dass wir dort die Fotoausstellung von Göran Gnaudschun mit Bildern aus 25 Jahren Unidram zeigen.

Welche Wünsche sind nach 25 Jahren Unidram noch offen?

PÖSL: Sicherlich würden wir gern mal die eine oder andere Gruppe einladen, die unser Budget sprengt. Wir können viele Dinge aus finanziellen Gründen nicht abbilden. Da gibt’s noch Potenzial.

SCHWUCHOW: Inzwischen bekommen wir Bewerbungen aus der ganzen Welt. Schön wäre, mal eine Produktion aus Südamerika einzuladen ...

PÖSL: ... oder die Gruppe aus Kasachstan, die Heiner Müllers „Bildbeschreibung“ angeboten hat.

SPRENGEL: Was ich toll finden würde, wäre, wenn man hier in der Schiffbauergasse gemeinsam für noch mehr Sichtbarkeit sorgen könnte. Lichtinstallation, Bespielung der Häuser von außen... Man könnte den Charakter des Festivals noch viel stärker in die Freiflächen tragen.

Ihre Wünsche zielen in eine bestimmte Richtung: Stadt und Land, die Förderer.

SPRENGEL: Es ist natürlich immer noch so, dass das Festival nicht ausfinanziert ist. Aber man muss ganz deutlich sagen, dass sich unser Etat in den letzten zwei Jahren stark vergrößert hat. Wir bekommen in diesem Jahr durch die zusätzliche Unterstützung für die Ausstellung im Kunstraum von Stadt und Land insgesamt 190 000 Euro an Förderung. Die Wahrnehmung in der Stadt und im Land hat sich stark verändert. Das ist für uns ein sehr positiver Impuls, das Festival auch weiterzudenken.

Das Gespräch führte Lena Schneider

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ZU DEN PERSONEN: 

Franka Schwuchow, geboren 1968 in Wittenberge, studierte an der Pädagogischen Hochschule Potsdam Germanistik und Geschichte und ist heute Co-Leiterin des T-Werk.

Jens-Uwe Sprengel, geboren 1966 in Cottbus, studierte an der Pädagogischen Hochschule Potsdam Mathematik und Physik, promovierte an der Uni Potsdam. Er ist heute Co-Leiter des T-Werk.

Thomas Pösl, geboren 1966 in Dessau, studierte an der Pädagogischen Hochschule Potsdam Germanistik und Geschichte auf Lehramt und arbeitet heute im Sprachenzentrum der Uni Potsdam.

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11 Länder, 16 Inszenierungen

Die 25. Ausgabe des Festivals Unidram findet vom 30.10. bis zum 3.11. an verschiedenen Orten in der Schiffbauergasse statt. Im Vorfeld läuft heute und morgen von je 14 bis 18 Uhr die Installation „The Need to move forward“ im Kunstraum. Dort ist auch bereits – bis zum 3.11. – eine Schau mit Fotos aus den vergangenen Festivaljahren von Göran Gnaudschun zu sehen. Am Montag um 19 Uhr findet im Kunstraum eine Spezialausgabe von „7Sachen“ statt.

Den Festivalauftakt macht am 30.10. die russische Gruppe Akhe mit „Mr. Carmen“. Akhe ist mit zwei weiteren Stücken vertreten: „Demokratie“ (2.11.) und „Diktatur“ (3.11.). Weitere Höhepunkte sind einige Deutschlandpremieren: „Ton“, eine Soundinstallation von der Schweizer Gruppe Cod.Act (2.,3.11.), „Frame“, visuelles Theater aus Italien von Teatro Koreja (2.,3.11.) und das Tanztheaterstück „Game Changer“ vom Aura Dance Theatre aus Litauen (2.11.). Radikales, betörend-verstörendes Musiktheater gibt es von Simon Mayer mit „Oh Magic“ (3.11.). Und wer es performativer mag, kommt in „Besuchszeit vorbei“, einer Kooperation vom Dresdner theater junge generation und dem israelischen Regisseur Ariel Doron auf seine Kosten (31.10., 1.11.). Insgesamt sind 16 Inszenierungen aus 11 Ländern eingeladen. Das komplette Programm finden Sie unter: www.unidram.de.

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