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„Das ist ein sehr gutes Ensemble! Darauf bin ich sehr stolz.“ Intendant Tobias Wellemeyer.

©  A. Klaer

Interview: „Unser Konzept ist ein starkes Ensemble“

LANGVERSION. Tobias Wellemeyer, Intendant des Potsdamer Hans Otto Theaters, über die Ursachen für das Defizit von 240 000 Euro.

Herr Wellemeyer, mit einem Minus in Höhe von rund 240 000 Euro wird das Hans Otto Theater das diesjährige Geschäftsjahr abschließen. Eine Nachricht, die für Aufsehen in der Stadt und in der Politik für Diskussionen gesorgt hat. Warum dieses Defizit?

Am HOT wurde durch viele Jahre hindurch das Eigenkapital, das auch als eine Art Reservetank funktioniert, aufgebraucht. Kommt es jetzt zu Schwankungen in irgendeinem der vielen Bereiche unseres Theaters, droht sofort die Insolvenz. Selbstverständlich versuchen wir, im Wirtschaftsplan Risiken und Preisentwicklungen einzukalkulieren, Unvorhergesehenes, wie die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst, geschieht trotzdem. Wenn der Gesellschafter dann nachschießen muss, entsteht öffentlich eine große Unruhe und leider regelmäßig auch eine prinzipielle Debatte zum Thema Kulturförderung.

Welche Schwankungen haben in diesem Jahr zu einem Defizit von rund 240 000 Euro geführt?

Die Tarifaufwüchse sind in diesem Jahr mit 3,5 Prozent deutlich höher ausgefallen, als wir es vorausberechnen konnten. Das macht den Löwenanteil der Summe aus. Im Frühjahr hatten wir mit vielen Ausfällen durch Krankheit zu tun. Wir konnten weniger Karten verkaufen, mussten aber zugleich den Aushilfs- und Gästeetat sehr stark belasten, um den Spielplan zu halten. Es gibt aber auch Teuerungsprozesse im betriebswirtschaftlichen Alltag, wie in allen Branchen. Allein für unsere Kollegen in der Holzwerkstatt haben sich in den letzten Jahren die Preise verdoppelt!

Aber im vergangenen Jahr hatten Sie mit einem Plus abgeschlossen.

Selbst in sehr guten Jahren kommen keine Überraschungssummen in die Kasse. Zum Beispiel 2011, in einem starken Jahr ohne überdurchschnittliche Zusatzkosten – das Jahr 2012 ist ja noch nicht abgeschlossen – betrug das Plus keine 5000 Euro. Selbst unter idealen Begleitumständen kann es also nicht gelingen, frisches Eigenkapital zu generieren.

Warum fehlt es an dem entsprechenden Eigenkapital?

Über viele Jahre mit knapp bemessenem Haushalt musste das Theater seine Reserven angreifen, ohne dass es eine adäquate Anpassung in der finanziellen Ausstattung gab. Irgendwann ist die „Sparbüchse“ alle. Daran sieht man, dass es da eine Schieflage gibt in der Grundausstattung.

Im Augenblick liegt die Auslastung der Vorstellung bei nur 70 Prozent.

Es ist uns gelungen, die Auslastung in den letzten drei Jahren zu steigern. Das Jahresresultat 2011 ist sehr gut und markiert in etwa das, was das Theater in Potsdam leisten kann. Wir müssen darum kämpfen, dass möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Erwartungen und Theaterglücksvorstellungen zu uns kommen. Das Bedürfnis nach Vielfalt wird wachsen. Und wir versuchen mit unserer Arbeit, sensibel und ambitioniert darauf einzugehen.

Das Eigenkapital fehlt, regelmäßig haben Sie mit finanziellen Problemen zu kämpfen – kommt man als Intendant da nicht irgendwann an den Punkt, sich doch der Quote zu beugen und auf solche Erfolgsinszenierungen wie „Der Raub der Sabinerinnen“ mit einem Star wie Katharina Thalbach in der Hauptrolle zu setzen, wie es Ihr Vorgänger Uwe Eric Laufenberg gemacht hat?

Inszenierungen wie „Der nackte Wahnsinn“ oder „Außer Kontrolle“ sind großartige Komödien, handwerklich und spielerisch auf hohem Niveau, die dem Publikum und uns selbst Spaß machen. Wir müssen Stadttheater allerdings als einen künstlerischen Raum begreifen, als einen geschützten Raum für Kunst beschreiben – das ist unsere Aufgabe. Kunst und Unterhaltung schließen sich in unserem Verständnis natürlich nicht aus. Die Subventionen von Stadt und Land dienen der Produktion von künstlerischer Wirklichkeit. Das ist etwas sehr Kostbares, Besonderes und vor allem Unverzichtbares für ein modernes Gemeinwesen. Jede Stadt ist stolz, einen solchen Kunstraum zu haben, einen eigenen Ort, an dem produziert wird, an dem ein Ensemble wie in Potsdam arbeitet. Die Schauspieler arbeiten hart, proben mit ihrer geistigen und emotionalen Kraft, und nach acht Wochen ist ein Theaterabend entstanden, der Neues über uns erzählt und den es nirgendwo sonst gibt.

Es sind aber immer wieder Stimmen zu hören, die vor allem von der Finanzierbarkeit eines Theaters sprechen.

Es gibt Kommunalpolitiker, die fragen: Wozu brauchen wir ein eigenes Theater? Wir können doch Gastspiele einladen! An Städten, deren Theater geschlossen worden sind, kann man leider sehr deutlich sehen, wohin das führt. Es gibt keine Fördervereine mehr, keine Schauspieler mehr, die man auf der Straße trifft, keine Jugendclubs mehr, keine Öffentlichkeitsarbeit mehr, keine Theaterpädagogen mehr – nichts! Und irgendwann gibt es auch kein persönliches Verhältnis zum Theater mehr. Theater heißt: bürgerliche Identität, künstlerisch-soziale Phantasie, ästhetische Bildung, überregionaler Austausch. Dafür stehe ich, dafür bin ich hier.

Zu Beginn Ihrer ersten Spielzeit in Potsdam vor drei Jahren haben Sie gesagt, dass Sie auf Talente und nicht Stars setzten wollen. Aber ist jetzt nicht der Punkt erreicht zu sagen, wir gehen da Kompromisse ein, holen uns da mal zwei Stars, die jeder kennt, damit mal ordentlich Geld in die Kasse kommt?

Wir haben mit Bruno Cathomas zusammengearbeitet, mit Tina Engel, mit Jutta Hoffmann – diese Arbeitspartnerschaften mit Künstlern, die uns durch ihre Präsenz helfen, auch überregional wahrgenommen zu werden, werden wir immer anstreben. Unser Konzept ist ein starkes Ensemble. Ich denke, dass man das auch sehen kann. Der Prozess geht weiter, wir sind unterwegs. Mittlerweile kommen Regisseure wie Markus Dietz, Stefan Otteni, Barbara Bürk oder Michael Talke, die an den großen deutschen Bühnen arbeiten, nach Potsdam. Nicht, weil wir ihnen einen besonders guten Inszenierungsetat oder etwa eine hohe Gage geben können, sondern weil sie sehen: Das ist ein sehr gutes Ensemble! Darauf bin ich sehr stolz. Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Kraft eines Theater aus seinem Ensemble kommt. Das muss man sorgfältig entwickeln und schützen, das kann man nicht einfach zusammenkaufen.

Sehen Sie Potenzial, um das Theater wirtschaftlicher zu machen?

Allein 40 Prozent unserer Vorstellungen spielen wir im Kindertheater bei sehr niedrigen Eintrittspreisen. Wir zeigen im Jahr fast 570 Vorstellungen – eine große Verausgabungsleistung für alle am Theater. Mehr geht nicht, aber dennoch stehen wir da und müssen das Gefühl haben, dass am Ende die Einnahmen nicht reichen. Hinzu kommt, dass wir pro Spielzeit im Rahmen des Theaterverbundes mit 50 Gastspielen im Land Brandenburg unterwegs sind. Diese Verpflichtungen und Termine führen dazu, dass wir in der monatlichen Spielplanung nicht so flexibel sind, wie es wünschenswert wäre, auch im Hinblick auf eine geschäftliche Einnahmeorientierung. Wir erfüllen als Theater soziale Aufgaben. Die sind in der Satzung unserer GmbH verankert.

Es werden aber auch Eigeneinnahmen vom Theater verlangt. Gibt es aktuelle Zahlen?

Im vergangenen Jahr hatten wir 13 Prozent Eigeneinnahmen. Das ist eine gute Zahl, auf die wir stolz sind.

Wie sehen Sie das Potsdamer Theaterpublikum?

Es ist ein sehr interessiertes und selbstbewusstes Publikum mit hohen Erwartungen. Auch ein heterogenes Publikum dadurch, dass sich hier Biografien kreuzen und mischen. Menschen mit ostdeutscher Geschichte, Menschen mit West-Erfahrung, mit Migrationshintergrund. Das ist anderswo durchaus ähnlich; die Stadttheater werden darauf reagieren. Ich war kürzlich in Ingolstadt auf der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins. Es gibt in Ingolstadt Familien, die seit 40 Jahren in Besitz eines Theateranrechts sind. Mittlerweile geht die Kinder- und Enkelgeneration ins Theater, es ist Familientradition, dass man sein Stadttheater regelmäßig besucht. Es ist für beide Seiten schön und immer wieder bestätigend, aus so einer Kontinuität, aus so einer Gemeinsamkeit, so einem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus miteinander Theater zu machen. In Potsdam ist jedes neue Stück ein bisschen wie ein Neuanfang, für die Zuschauer ebenso wie für die Schauspieler.

Ein Kampf, den Sie vielleicht auch bei bestimmten Besuchern verloren haben?

Da gibt es, in jedem Theater, ganz natürliche Wandelprozesse. Wir bekommen euphorische Zuschriften und beglückende Resonanz, aber es hat auch Abschiede gegeben, die ich persönlich sehr bedauere. Unser Jugend-Abo wächst; auch das Erwachsenen-Abo hat zugelegt. Wie an allen Theatern gibt es Bewegung.

In der Diskussion um das Hans Otto Theater heißt es sehr oft, das Programm sei zu ernsthaft.

Unser Programm ist sehr breit. Wir zeigen Weltliteratur und Bearbeitungen, Klassisches und Zeitgenössisches, aktuelle Projekte, musikalisches Theater und immer wieder hochwertige Komödie – denn die guten Komödien sind Spiegel unseres Lebens. Einige pointierte ästhetische Angebote unserer Anfangszeit wirken vielleicht immer noch nach. Sie werden nach wie vor immer mal wieder polemisch zum Gegenstand gemacht.

Gibt es seitens der Stadt Signale hinsichtlich der schwierigen finanziellen Situation am Hans Otto Theater?

Ich hatte die Gelegenheit, mit dem Oberbürgermeister ein Gespräch zu führen, in dem es um die zukünftige Arbeit des Ensembles hier in Potsdam ging. Ich hatte den Eindruck, dass er sehr daran interessiert ist, Angebotsbreite, Personalstärke und Niveau des Potsdamer Theaters zu halten. Wir sind uns einig, dass dazu die Unterstützung des Gesellschafters erforderlich ist. Es geht einerseits um die Auffüllung unseres Reservetanks. Wir benötigen eine Eigenkapitalsituation, mit der wir inhaltlich arbeiten können, ohne ständige Angst vor der Insolvenz. Darüber hinaus erarbeiten Volkmar Raback als Geschäftsführender Direktor und ich einen realistischen Wirtschaftsplan für die nächsten fünf Jahre. Wir beschreiben die Zuschusssituation, auf die wir angewiesen sind, wenn unser Theater so erhalten bleiben soll, wie es ist. Man muss sehen, dass das HOT schon Resultat einer sehr hart durchgeführten Strukturveränderung ist. Wir haben keine Reserven, wir haben keine überbesetzten Abteilungen. Ganz im Gegenteil! Die Theaterkollegen gehen wirklich an ihre Grenzen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Tobias Wellemeyer, 1961 in Dresden geboren, ist Intendant am Hans Otto Theater und Regisseur.

Wellemeyer studierte Theaterwissenschaft in Leipzig und war von 1989 bis 2001 Regisseur am Schauspielhaus Dresden. 2001 wurde er Intendant der „freien kammerspiele“ Magdeburg und 2004 Generalintendant des Theaters Magdeburg. Seit Sommer 2009 ist er Intendant am Hans Otto Theater.

Tobias Wellemeyer ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt in Potsdam. PNN

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