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Schöne Aussicht? Staudenhof und FH (im Hintergrund) spiegeln sich in den Fotos der Ausstellung auch als Lebensort wieder.

© A. Klaer

Interview über Kulturräume in Potsdam: „Noch sind nicht alle Messen gelesen“

Die Künstlerin Annette Paul spricht über die Rolle der Kultur bei der Debatte um die neue Stadtmitte. Sie plädiert für den Erhalt des FH-Gebäudes und sieht einen neue Aufbruchstimmung in der Stadt.

Frau Paul, Sie haben am Wochenende auf der Ausstellung „Ist das Stadt oder kann das weg“ Künstler Alternativen zum Abriss der Fachhochschule zeigen lassen. Doch der Abriss ist beschlossene Sache. Ist das nicht ein wenig rückwärtsgewandt?

Ich glaube, dass die Wertschätzung für diese Anlage ganz wichtig ist. Ich finde das nicht rückwärtsgewandt. Selbst wenn das jetzt alles schon beschlossen ist. Für mich sind diese Fachhochschule, der Staudenhof und das Mercure so da wie noch nie. Dadurch, dass das Gelände so ins Bewusstsein gerutscht ist und ständig darüber diskutiert wird, sind diese Gebäude so präsent wie nie zuvor.

Jetzt sind sie noch präsent, aber nächstes Jahr soll die FH weg

Das werden wir mal sehen. In Berlin hat man gerade rund um die Friedrichwerdersche Kirche gebaut und da ist man zu tief in den Boden gegangen. Es wackelt alles, die arme Schinkelkirche hat jetzt Risse. Das sollte man hier auch bedenken. Wenn man in der Fachhochschule in den Boden geht, muss man weit runter. Unter dem Gelände der FH und des Staudenhofes gibt es Atomschutzbunker. Und wir haben daneben auch eine Schinkelkirche stehen. Ich bin zwar keine Architektin, aber ich finde es nicht so abwegig, zu prüfen, ob das dem Alten Markt überhaupt zuträglich ist.

Wie sollte denn Ihrer Meinung nach die Suche nach Alternativen aussehen?

Ich finde es wichtig, die Diskussion zu führen, was in anderen Städten zeitgleich passiert. In Rom und Paris hat man aktuell Gebäude aus den 1960ern und 70ern umgebaut, von ähnlicher Größe wie die Fachhochschule. Da gehen jetzt Künstler rein, die mit kreativen und zeitgenössischen Ideen die Kreativwirtschaft voranbringen. Es ist schon gut, da mal hinzugucken. Es gab in unserer Ausstellung ein paar Beispiele dazu. Um zu sehen, das wäre an dieser Stelle auch möglich gewesen.

Sie sprechen in der Möglichkeitsform der Vergangenheit

Ja. Wobei ich das Gefühl habe, alle Messen sind noch nicht gelesen. Auch wenn jetzt Entscheidungen getroffen werden – für mich ist noch so viel möglich. Und selbst wenn es ein Ende geben wird, werden wir auch das Ende zelebrieren.

Woraus ziehen Sie Ihre Hoffnung?

Weil ich das Gefühl habe, dass in den Köpfen der Potsdamer Bewohner gerade so viel passiert. Es ist eine ganz interessante Spannung in der Stadt, was die Politikverdrossenheit anbelangt, aber auch das Verständnis davon, was Verwaltung alles nicht leisten kann und dass Prozesse durch sie behindert werden. Dafür gibt es in der Bevölkerung gerade ein Aufwachen und ganz stark den Willen, zu gestalten, sich zu beteiligen. Daran kommt die Politik nicht vorbei: dass sich Potsdamer trotz der vielen offiziellen Beteiligung sich nicht beteiligt fühlen. Ich spüre wirklich einen Aufbruch, und das fühlt sich so ein bisschen an wie zur Nachwendezeit.

Welche Rolle spielt dabei die Kultur?

Kultur hat dabei für mich die Aufgabe, zu zeigen, dass sie Räume braucht. Das ist in Potsdam ganz dringlich, weil Orte für kurzfristige Projekte benötigt werden und nicht nur für Leuchttürme und bereits etablierte Projekte. Dieser Raum, in dem die Ausstellung stattfand, wäre ein fantastischer Raum für Projekte aller Art. Generell ist es bedauerlich, wenn Räume, die für so etwas nutzbar wären, verloren gehen.

Das Rechenzentrum in direkter Nachbarschaft reicht Ihnen nicht?

Wo ist da ein Raum dieser Größenordnung? Und wie lange gibt es das Rechenzentrum noch? Es gibt in der Stadt einiges, was man teuer mieten kann. Man kann ins Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, ins Potsdam-Museum, man kann auch in der Bibliothek Räume mieten. Die entsprechen in der Anlage aber nicht dem, was Kulturleute brauchen. Die brauchen eher einen Rohbau, in dem sie sich ausdrücken und gestalten können. Man braucht es urbaner und nicht so verwaltungsmäßig. Und diese Räumlichkeiten fehlen – oder sie sind preislich so weit oben angesiedelt, dass sie für Leute, die noch nicht irgendwo angedockt haben, nicht zur Verfügung stehen.

Der rote Info-Container der Stadt verspricht neben Wohnen und Leben auch Kultur. Auch das reicht Ihnen nicht?

Kultur sehe ich da nicht, ganz ehrlich. Ich sehe da Gastronomie. Angeblich soll es ja auch Galerien geben. Wenn da eine Galerie ist, dann wird das ein sehr teures Pflaster sein. Ich hätte mir gewünscht, dass die Stadt einige Grundstücke für sich behält. Hier haben wir Raum für eine große Galerie oder einen, in denen wir Stipendiaten aus aller Welt einladen können, sich mitten in der Stadt zu betätigen. Dass die Stadt Potsdam sich da selbst verkauft und veräußert, finde ich verwerflich.

Wenn schon Abriss, dann durch moderne statt barocke Architektur ersetzen – wäre das eine Alternative für Sie?

Das finde ich auch sehr fraglich. Was die Stadt in den letzten 25 Jahren hat bauen lassen, ist keine gute Architektur. Zum einen will man den Rückbau der historischen Mitte, aber einiges, was neugebaut darauf hinführt, ist so, dass es einem den Magen umdreht.

Welche Architektur meinen Sie konkret?

Ich denke an das IHK Gebäude. Die Achsen dieses Gebäudes führen auf die Mitte hin und man fragt sich: Wie konnte man das zulassen? Und natürlich auch der Bahnhof. Da hat man Fehler gemacht, die der ganzen Mitte sehr abträglich sind.

Was wäre denn Ihre Vision für das Gelände?

Ich würde unheimlich gerne die FH an der Stelle umbauen. Ich würde nach Paris und Rom fahren und mir anschauen, was sie dort gemacht haben, durch solche Gebäude gehen und mich inspirieren lassen. Als ich zum ersten Mal durch den Raum ging, in dem die Ausstellung jetzt war, da habe ich gedacht, es ist ein bisschen wie das Centre Georges Pompidou. Man könnte hier jetzt wirklich Kreativität und Wirtschaft und Wissenschaft zusammenbringen.

Sie sagten kürzlich, dass der Streit um die historische Mitte eigentlich für etwas anderes steht. Können Sie das erläutern?

Mir kommt es vor wie in einer Familie. Wo man auch schwarze Schafe dabei hat, die man nicht dabei haben möchte und wo man Geschichten der Familie löscht. Die werden nicht mehr erzählt, die werden nicht mehr weitergetragen. Aber trotzdem sind die ja energetisch noch da, sie beschäftigen immer noch. Alles, was man jetzt wegnimmt, wird immer im Bewusstsein als etwas Weggenommenes bleiben. Wie auch der Platz der Garnisonkirche ein heiß diskutierter ist, und wenn man an den Platz denkt, hat man dabei die Kirche im Blick und nicht nur den Platz. Das wird man nicht los – wie einen Zahn, den man verliert. Der ist eben trotzdem ein verlorener Zahn und nicht nur ein Loch.

Und an diesen „verlorenen Zahn“ sollte man ihrer Meinung nach erinnern, so wie Sie es mit Ihrem Schriftzug am Landtag – „Ceci n’est pas un château“ – getan haben?

Es gibt für alle großen Bauvorhaben diese Kunst am Bau und ich könnte mir vorstellen, dass man hier auch eine Ausschreibung dafür macht, für jedes Gebäude, das erhalten oder umgebaut wird. Dass man eine Mahnung anbringt, an das, was vorher gewesen ist. Auch gerne eine Aufzählung, was die Geschichte an dieser Stelle nacheinander hervorgebracht hat. Schließlich sollte man auch an damalige Lebensweisen erinnern.

Was meinen Sie damit?

Man darf nicht vergessen, dass diese Stadt eine Garnisonstadt war, die so viele Soldaten beherbergt hat, die gegen ihren Willen in dieser Stadt bleiben mussten, weshalb es eine Mauer gab und nur kleine Tore, durch die man nicht einfach ein- und ausgehen konnte. Die Stadtstruktur hat auch mit diesem Eingesperrtsein zu tun. Das Schöne ist hier ohne das Schlechte nicht zu denken. Jedes hochherrschaftliche Haus hat auch die Bedeutung, dass andere dafür leiden mussten. Jede Pracht hat auch eine Schmach und ein Leid mit zu verantworten.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

Annette Paul (45) ist Konzeptkünstlerin. 2012 gewann sie den Wettbewerb „Kunst am Bau“ für den Landtag mit dem vergoldeten Schriftzug „Ceci n’est pas un château – Dies ist kein Schloss“.

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