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Interview mit Tomer Zirkilevich: „Manchmal muss man brutal sein“

Der Choreograf Tomer Zirkilevich kreiert nicht nur eigene Tanz-Stücke, er gibt regelmäßig Kurse an der fabrik – und diese Woche auch bei „WhatsArt“.

Herr Zirkilevich, Sie sind Choreograf, aber gleichzeitig unterrichten Sie auch, geben Workshops. Sind Sie manchmal versucht, die Teilnehmer nach Ihren eigenen Ideen tanzen zu lassen? Wie leicht ist es, beides zu trennen?

Eigentlich finde ich das ganz leicht, das greift ganz gut ineinander. Für mich ist das Unterrichten sehr inspirierend. Ich arbeite ja mit Kindern, aber auch mit Erwachsenen, mit Laien und professionellen Tänzern. Das hat aber auch mit der Methode zu tun, mit der ich arbeite – als Choreograf und auch als Lehrer.

Die da wäre?

Ich arbeite viel mit der Laban-Yat-Technik – Rudolf von Laban war ein deutscher Choreograf des Expressionismus, er hat Bewegungen für verschiedene Elemente entwickelt, also etwa für Raum, Zeit und Gewicht. Innerhalb dieser Koordinaten kann man dann arbeiten. Ich sage den Leuten also etwa: Lass dich von deiner Hand in den Raum führen. Oder: Konzentrier dich auf die Geschwindigkeit – ich gebe also nur die erste Idee, etwas, worüber die Tänzer dann nachdenken, woran sie arbeiten müssen.

Entscheiden Sie, welche Impulse Sie geben bei Workshops immer erst, wenn Sie die Teilnehmer sehen?

Ja genau. Bei dem Mini-Workshop, den ich bei „Stadt für eine Nacht“ neulich gegeben habe, hatte ich eine kleine Übung für 45 Minuten vorbereitet. Dann kam erst nur ein Vater mit seinen zwei Söhnen, dann immer mehr Leute, und so habe ich einfach improvisiert. Es waren am Ende fast 40 Leute da.

Interessant, dass gerade ein Vater mit zwei Söhnen zuerst kam – in Ihrem eigenen Stück, das Sie bei „Stadt für eine Nacht“ später am Abend gezeigt haben, geht es ja genau darum: Eine Vater-Sohn-Beziehung. Haben Sie Teile aus dem Stück benutzt?

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Ja, das war wirklich lustig. Ich habe „Like Father, likes Son“ aber fast nie mit jugendlichen Teilnehmern gemacht.

Weil es ein sehr erwachsenes Thema ist?

Ja, es geht darin ja um den Prozess des Erwachsenwerdens, sich lösen vom Vater, aber gleichzeitig auch darum, das eigene Kind auf eigene Füße zu stellen und dann auch gehen zu lassen.

Es ist ein sehr zartes – und zugleich sehr brutales Stück, am Ende geht es um die Frage, ob man den Vater töten muss, um erwachsen zu werden.

Das ist ein wenig wie der Kreis des Lebens: Alles beginnt ganz zart, ein wenig naiv. Und dann tritt uns das Leben. Und manchmal ist es eben angebracht, brutal zu sein. Immer sagt man uns, höflich und leise zu sein. Aber manchmal muss man laut werden, schreien, auch mit dem Körper, um zu sagen, wofür man steht. Das gehört auch zum Leben. Und am Ende ist es auch die Gesellschaft, die uns sagt, was brutal ist. Übrigens ist das Ende in dem Stück ja gut, es geht ja darum, sich zu befreien – für beide Seiten.

Generell ist es für Kinder, oder vielleicht für die meisten Laien, eher ungewöhnlich, sich durch Tanz, durch Bewegung auszudrücken statt mit Worten, Bildern, Musik – so sind wir konditioniert. Wie bringen Sie das den Leuten bei?

Zuerst einmal glaube ich, dass jeder tanzen kann. Das sehe ich auch in dem Workshop, den ich an der fabrik gebe. Da habe ich sehr unterschiedliche Teilnehmer, vom Sozialarbeiter bis zur Ex-Tänzerin. Und speziell bei der Methode, mit der ich arbeite, kann jeder selbst entscheiden, wie sehr er sich öffnen, wie viel er preisgeben will. Ich drücke niemandem etwas auf. Deshalb mache ich auch kein Ballett. So können sich die Leute entwickeln.

Gerade 12-, 13-Jährigen ist ihr Körper ja oft peinlich. Wie gehen Sie damit um?

Das Problem haben Ältere doch auch oft noch. Ein bisschen muss man als Tänzer ins kalte Wasser springen. Man muss sich etwas trauen, wenn man ein Künstler sein will – und auch 12-Jährige können schon Künstler sein. Aber es ist beim Tanz natürlich sehr unvermittelt, es gibt kaum etwas, das zwischen dem Körper und dem Zuschauer steht. Und es hängt sehr viel von der Übung ab, man muss immer weiter an seinem Körper arbeiten. Aber deshalb gehe ich ganz langsam vor, besonders bei den Jugendlichen.

Das heißt?

Es wird in dem „WhatsArt“-Workshop um etwas gehen, das die Kinder beschäftig, etwas, das sie sehr glücklich oder sehr traurig gemacht hat. Jeder wird sein eigenes kleines Solo entwickeln. Alle zusammen sollen sich dann zu einem Stück fügen. Jeder bekommt seine fünf Minuten Ruhm. Ich werde ein bisschen mit ihnen daran arbeiten, Beziehungen durch Bewegungen aufzubauen. Also Mittel aus der „Contact Improvisation“ benutzen – wie hebt man sich gegenseitig, wie springt man auf jemanden? Tanz muss für mich gar nichts Lautes sein, es kann auch eine kleine Geste mit der Hand sein, die Traurigkeit ausdrückt. Jeder kann das in sich selbst finden – und es kann sehr bedeutungsvoll sein. Mich interessieren nicht schöne Körper, schöne, vollendete Bewegungen.

Wie finden Sie selbst zu Ihren Ideen?

Ich suche die ganze Zeit. Überall. Für „Like Father, likes Son“ etwa habe ich einen kleinen Jungen auf der Straße gesehen, der seinen Kopf an die Brust des Vaters gelegt hatte. Das fand ich so schön, dass ich es irgendwie verwenden musste.

Wie sind Sie selbst zum Tanz gekommen?

Oh, sehr spät. Ich war schon 18 Jahre alt – und wollte eigentlich Schauspieler werden, bewarb mich an der Schauspielschule in Tel Aviv – und wurde abgelehnt. Das war eine Art Wendepunkt in meinem Leben. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, bis sie mich von der Schule anriefen und sagten, es gäbe einen anderen Platz im Tanz-Departement. Ich wollte erst nicht, sah mich nicht als Tänzer – ging dann aber doch hin – und habe mich sofort verliebt. Mir wurde klar: Sich mit dem Körper ausdrücken, das gibt den Geschichten, die ich erzähle, eine ganz andere Tiefe. Ich benutze immer noch Text, aber das mit Bewegungen, mit Tanz zu verbinden, ist das Höchste für mich.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Tomer Zirkilevich, geboren 1985 in Tel Aviv, studierte Tanz am Kibbutzim College, Tel-Aviv, und arbeitet seitdem als Tänzer, Choreograf und Lehrer. Er lebt in Berlin und gibt regelmäßig Workshops an der Fabrik

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