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Als die Kinder aus dem Haus waren, entdeckte Stephan Abarbanell die wunderbar-therapeutische Wirkung des Schreibens.

© A. Klaer

Interview mit Stephan Abarbanell: „Nichts war an seinem Ort“

Stephan Abarbanell ist Kulturchef beim rbb und hat seinen ersten Roman „Morgenland“ veröffentlicht. Ein Gespräch über die innere Verortung, seine jüdische Familiengeschichte, das Ringen mit Israel und Schreiben als Beruhigungsmittel.

Herr Abarbanell, fühlen Sie sich in Potsdam gut verortet und zu Hause?

Ja, ich fühle mich hier verortet, wir fühlen uns sehr wohl. Wir sind 1997 hierher gekommen, da war es noch ein bisschen anders. Es hatte noch das Flair der DDR und vieles war im Umbruch.

Heute sind die Dinge hier in der Stadt an ihrem Platz?

Ja, hier sind die Dinge an ihrem Platz. Wir hatten selber mal überlegt, uns umzutopfen und in Berlin wunderbare Wohnungen gesehen in den schönsten Ecken, mein Gott, kann man in Berlin großartig wohnen. Wir haben uns dann tief in die Augen geblickt und gesagt: Nein, wir sind Potsdamer, Babelsberger und wir bleiben es auch mit vollem Herzen.

Ihr Buch „Morgenland“ handelt von Personen und Dingen, die nicht an ihrem Platz sind. Die Protagonistin Lilya Wasserfall 1946 will in Palästina helfen, einen jüdischen Staat aufzubauen. Sie wird aber nach Deutschland geschickt, im Auftrag des Schriftstellers Elias Lindt, um nach dessen Bruder Raphael, einem Wissenschaftler, und den Büchern der Familie zu suchen. Lilya begibt sich in Deutschland in die Lager für die Heimatlosen, die „displaced persons“. Dort herrscht ein heilloses Durcheinander. Die Suche nach der eigenen Verortung in diesen Zeiten scheint wie ein Grundmotiv zu sein. Wie kamen Sie darauf?

Dass tatsächlich in dem Buch nichts an seinem Ort war, hat sich im Laufe der Handlung ergeben. Ich habe selber irgendwann erstaunt festgestellt, dass alle Figuren, die auftauchen, in irgendeiner Weise nicht da sind, wo sie sein wollen - oder die Gefühle nicht am rechten Ort sind. Lilya Wasserfall liebt ihren Halbbruder – eine unglückliche Liebe. Ihre Liebe ist sozusagen auch displaced, Gegenstände ebenso. Aber das stand am Anfang des Prozesses noch nicht fest.

Wie hat er angefangen?

Ich habe mich mit dem Thema Israel und dem Vorläufer Palästina auseinandergesetzt. Bis heute bewegt mich diese Region und diese Zeit. Ich wollte etwas über diese Zeit schreiben und ich wollte nicht 1945 beginnen, sondern in einem gewissen Abstand. 1946 ist ein Jahr des Umbruchs, der Veränderung. Ich habe gemerkt, dass die Signatur dieser Zeit damals war, dass Menschen nach der großen Katastrophe umherziehen und ihren Ort suchen, ihre Heimat verloren haben – nicht ahnend, als ich mit dem Schreiben begann, dass dieses Thema heute auf ganz andere Weise wieder Relevanz bekommt.

Wie sind Sie auf diesen Stoff gekommen? Ist es Ihre eigene Geschichte?

Es gibt darin Motive der eigenen Geschichte. Abarbanell ist ja ein sehr ungewöhnlicher Name, es ist eine alte, jüdische sephardische Familie, die im Mittelalter eine große Rolle gespielt hat, 1492 Spanien verlassen hat und sich über Nordeuropa verteilt hat. Es gab einen kleinen aber doch sehr munteren Zweig in Deutschland, auch in Berlin. Wenn Sie heute auf die Friedhöfe in Berlin-Weißensee, Prenzlauer Berg gehen, finden Sie Gräber der Abarbanells. Einige haben eine sehr typisch deutsch-europäische Karriere durchgemacht, aus dem Ghetto in die Emanzipation. Dann kam das Kaiserreich, das Gefühl, akzeptiert und assimiliert zu sein, der Mehrheitsgesellschaft anzugehören. Und dieses Motiv spielt in dem Buch eine große Rolle, bei dem einen der beiden Brüder, der genau dies lebt. Das ist im Grunde genommen mein Urgroßvater, der christlich geheiratet hat und praktisch ein kaisertreuer Deutscher sein wollte. Er ist glücklicherweise 1930 gestorben und hat die Zeit, die dann kam, nicht mehr mitbekommen.

Diese typische Sehnsucht nach Akzeptanz, wurde sie Ihnen als Kind auch noch vermittelt?

Das war ein teils offenes, teils unausgesprochenes Familienthema. Mein Vater war nach Nazidefinition ein Vierteljude, mein Großvater Halbjude, beide waren Drangsalierungen ausgesetzt, aber nicht an Leib und Leben gefährdet. Mein Vater hat noch nach dem Krieg antijüdische, antisemitische Äußerungen erlebt. Er hat uns vermittelt: „Seid wachsam!“ Das ist als eine Art Familiencode geblieben. Wir Kinder sind damit unterschiedlich umgegangen, ich habe das sehr ernst genommen und bei mir ist das mit „Morgenland“ dann noch einmal produktiv geworden. Zugehörigkeit, Akzeptiertwerden, manchmal auch die Sehnsucht dazu zu gehören, einer unter Gleichen zu sein – und gleichermaßen Skepsis, das hat sich sehr indirekt auch in dem Buch widergespiegelt.

Sie sind mehrmals nach Israel gereist.

Das ist der andere Strang. Aufgrund der familiären Prägung hat mich das interessiert, mein Großvater, es war sein großer Traum, hat es nie geschafft, ich war dann der erste, der nach Israel gereist ist. Sehr jung, mit 17, bin ich im Kibbuz gewesen, später auch in Krisensituationen. Ich habe das Land in allen seinen Wunderbarkeiten und Unauslotbarkeiten kennen gelernt. Auch dieses Thema habe ich aufgenommen, ich ringe seit dieser Zeit mit diesem Land, das mich nicht loslässt, das mich beunruhigt, dem ich tief verbunden bin, über das ich mir Sorgen mache, das ich in seiner gegenwärtigen politischen Ausrichtung sehr kritisch sehe.

Es ist dennoch ein weiter Schritt von der eigenen Geschichte zu einem fiktiven Roman. Was war der Auslöser für das Buch?

Auslöser für diese Geschichte war, wie so häufig bei Büchern, eine kleine Zeitungsnotiz. Über den berühmten jüdischen Wissenschaftler Gershom Scholem, der in den 1920-er Jahren Berlin verlassen hat, nach Palästina ging, dort Professor war, an die deutsch-jüdische Symbiose nicht geglaubt hat. Er bekam 1946 von der hebräischen Universität den Auftrag, zurück nach Deutschland zu reisen, nach Berlin in seine Heimatstadt, die er lange nicht gesehen hat. Sein Auftrag: Die geretteten Bücher, die herrenlos waren, jüdisches Raubgut, zu finden, zu identifizieren und nach Palästina zu bringen. Es war ein Fehlschlag, er hat eigentlich nichts erreicht, bei einem Autounfall in der Friedrichstraße wurde er zudem schwer verletzt. Das ist also der reale Hintergrund. Dieser Gerschom Scholem hatte einen Bruder, Werner Scholem, der blieb in Deutschland, war Kommunist und Jude und wurde von den Nazis umgebracht.

Sie haben aber als Protagonistin eine Frau gewählt. Warum?

Ich brauchte einen fremden Blick auf die Geschichte. Ich wollte und konnte nicht schreiben, wie ein älterer Jude zurück nach Berlin kommt. Diese Geschichte hätte mich und meine Möglichkeiten überfordert. Also brauchte ich eine Art Brechung, eine Figur, die an den Dingen beteiligt ist und wiederum auch nicht. Da habe ich im Schreibprozess irgendwann gemerkt, dass ich über diese Frau, Lilya, wann immer sie auftaucht, – sie war zunächst nur eine Nebenfigur –, flüssig schreiben konnte. Irgendwann habe ich die Entscheidung getroffen, denn meine innere Stimme sagte mir, wenn es so ist, dass du über diese Frau schreiben kannst, dann mach es richtig. Nach drei Jahren habe ich sie in den Mittelpunkt genommen und praktisch noch mal von vorne angefangen.

Wie lange haben Sie insgesamt an dem Roman geschrieben?

Insgesamt fünfeinhalb Jahre.

Woher haben Sie die Zeit für einen 400-Seiten Roman genommen?

Ich wusste zu Beginn nicht, worauf ich mich da einlasse, ich hatte früher schon Texte angefangen und sie dann immer wieder weggelegt, ich bin sozusagen ein Herr der Anfänge gewesen. Bei „Morgenland“ habe ich plötzlich gemerkt, dass ich es durchhalte und weitermache und nicht mehr aufgeben kann. Also musste ich mein Leben und unser Familienleben so arrangieren, dass es hinhaut. Spätestens, als der Verlag mich aufgenommen hat. Ich hab meinen Beruf beim rbb mit Leidenschaft weiter gemacht, habe aber meine Freizeit radikal umdefiniert. Und ich habe festgestellt, dass man doch mehr Freizeit hat, als man denkt. Natürlich: An den Wochenenden habe ich geschrieben, an den Abenden, ich bin sehr früh morgens aufgestanden. In den Urlauben habe ich um sieben Uhr am Schreibtisch gesessen. Wenn die Kinder um 11 aus den Betten guckten, hatte ich vier Stunden gearbeitet und konnte sagen, jetzt bin ich da.

Wenn Medienmacher im Kulturbetrieb selbst Bücher schreiben, ist der Blick darauf besonders kritisch. Ist das ein besonderer Druck, der beim Schreiben auf Ihnen lastete?

Ohne Zweifel ist das so. Als ich Kulturchef wurde, war ich in meiner noch häuslichen Schreibkarriere ja schon relativ weit. Es war nicht so, dass ich Kulturchef wurde und meinte, auch noch ein Buch schreiben zu müssen. Um Gottes Willen. Ich habe mich eher gefragt, mache ich das weiter? Und ich stellte mir natürlich die Frage, gehe ich mit meinem Namen heraus, wie angreifbar bin ich und mache ich mich vielleicht zum Gespött? Die Gedanken übrigens fast jeden Autors, wie ich bald festgestellt habe. Sorge ist nicht das Privileg von Kulturverantwortlichen. Ich habe mich dann für die Klarheit entscheiden.

Gab es bereits Resonanz von den Kollegen?

Es haben schon eine ganze Reihe von Kollegen und Kolleginnen das Buch gelesen, und die haben in der Regel sehr positiv reagiert. Ich war natürlich immer ein wenig skeptisch, na ja, sagen die das jetzt, weil die mir etwas Nettes sagen wollen? Aber zwei, drei haben es sehr geschickt gemacht, die haben es heimlich gelesen. Und dann gesagt: Hätte es mir nicht gefallen, hätte ich Ihnen vielleicht gar nicht gesagt, dass ich es gelesen habe. Aber nun muss es raus: Ich habe meinen Urlaub damit verbracht und finde es sehr toll. Ja, ich habe sehr ermutigendes Feedback bekommen.

Sie lernten bei Walter Jens in Tübingen, in seinen berühmten Seminaren „Creative Writing“. Was haben Sie bei ihm gelernt?

„Creative Writing“ gab es damals in Deutschland nicht, er hatte das Anfang der 80-er Jahre aus Amerika mitgebracht. Er war als Lehrer unglaublich gut und auch streng. Erste Sitzung: Er war kaum zu sehen hinter dem Bücherstapel. Er sagte, so, das ist die Literatur, die Sie zunächst lesen werden – es ging damals um die Ermordung des berühmten Altertumsforschers Winkelmann. Und die sollten wir in wenigen Wochen einer eigenen Form erzählend bewältigen. Das hat mich total gereizt, ich bin an die Grenzen gegangen. Dann wurden die Texte verteilt und nach dem Ingeborg-Bachmann-Prinzip kritisiert.

Also gnadenlos.

Das war hart. Ich habe damals gedacht, dass ich es eigentlich lieber lassen sollte. Aber ich konnte es nicht. Aber der Respekt vor dem, was Schreiben bedeutet, ist seitdem sehr groß. Walter Jens war ein großartiger Lehrer, sehr genau, empathisch-präzise. Also eine wunderbare Schule.

Was bedeutet Ihnen Schreiben inzwischen?

Es ist für mich eine Art Fokussierung meiner Tätigkeit. Als jemand, der in einem Sender arbeitet, wo immer alles Teamarbeit ist, wo man tausend lose Enden hat, Projekte beginnen, alles gleichzeitig ist, jedes Ende zugleich ein neuer Anfang ist, wo mein kreativer Anteil als Manager des Prozesses oft übersichtlich ist, habe ich so meinen sehr privaten Kreativprozess begonnen. Diese Fokussierung auf diesen einen einzigen Gegenstand, für den ich allein verantwortlich bin, ohne Team, nur der Computer und ich, hilft mir sehr und beruhigt mich. Und es ist eine neue, schöne Erfahrung. Es war zu einer Zeit, als die Kinder aus dem Haus gingen, es einen Umbruch gab und ich praktisch noch einmal mein Leben, auch zusammen mit meiner Frau, neu justieren musste. Da habe ich gemerkt, dass das Schreiben auch eine wunderbar-therapeutische Wirkung hat.

>>Die Buchpräsentation mit Stephan Abarbanell findet am 5. Oktober um 19.30 Uhr in der Bertelsmann Repräsentanz statt, Unter den Linden 1, 10117 Berlin

Grit Weirauch

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