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Bekennender Horizontsüchtiger. Reinhold Messner, der Mann in den Bergen.

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Interview mit Reinhold Messner: „Ich bin der Eroberer des Nutzlosen“

Reinhold Messner – der im Januar im Nikolaisaal über sein „Leben am Limit“ spricht – über das Klettern, das Alter und den Tod.

Herr Messner, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie auf dem Gipfel des Mount Everest standen?

Wenn ich jetzt an den Mount Everest denke, den ich zweimal bestiegen habe, muss ich sagen: nicht allzu viel. Es war windig, es war 40 Grad kalt und es ging nur darum, schnell wieder runterzukommen.

Sie waren endlich oben und wollten gleich wieder runter?

Das ist generell so. Denn je schwieriger, exponierter ein solcher Aufstieg ist, umso schneller will man wieder zurück in die Sicherheit. Das ist schon schizophren, wenn sich jemand da drei, vier Wochen hochmüht, am Ende nur noch mit letzter Willensanstrengung, sich dabei größten Gefahren aussetzt und dann, wenn er oben ist, nix wie runter will.

Kein Glücksgefühl auf dem Gipfel?

Je höher der Berg ist, umso weniger gibt es da eine Gipfeleuphorie. All die Klischees, die gern verbreitet werden, dass man dort dem Himmel näher und das Glück absolut sei, das ist alles nur nach dem Mund der unten Gebliebenen geredet. Das Zurückkommen in die zivile Welt ist im Grunde das große Freudenerlebnis.

Trotzdem haben Sie sich immer wieder diesen Gefahren ausgesetzt, Extreme gesucht. Warum?

Das beginnt schon mit meiner Kindheit. Denn ich bin in diese Welt hineingeboren. In eine enge und bescheidene Welt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Und in dem ganzen Tal, in dem ich aufgewachsen bin, gab es weder einen Fußballplatz noch eine Schwimmhalle. Für uns Kinder gab es nur den nahen Wald und die Felsen. Und wie andere Kinder Fußball spielen, so sind wir auf die Bäume und die Felsen gestiegen. Ich habe dabei eine gewisse Geschicklichkeit entwickelt und auch die Herausforderung gesucht. So ging das mein Leben lang, in dem ich immer neue Spielfelder gesucht habe. Zuerst als Felskletterer und dann als Höhenbergsteiger, wo ich nicht nur die höchsten Berge im Himalaya, sondern auch in Südamerika und in der Antarktis bestiegen habe.

Danach kamen die Wüsten.

Ja, als ich beim Bergsteigen alles erreicht hatte und mich nicht mehr weiterentwickeln konnte, es langweilig wurde, weil ich es beherrscht habe, da habe ich etwas Neues gesucht und die Wüsten durchquert.

Sie haben also nicht nur neue Herausforderungen gesucht, sondern wollten sie auch beherrschen?

Ich wollte mein Leben ausfüllen. Wenn ich von einer schwierigen Tour zurückkam, ob aus den Alpen, dem Himalaya oder vom Nordpol, war das immer wie eine Wiedergeburt. Denn oft genug waren die Bedingungen höllisch. Auf dem Weg zum Nordpol hatten wir 52 Grad minus, da darf man nicht die Handschuhe oder die Gesichtsmaske ausziehen, sonst hat man sofort Erfrierungen. Wenn Sie da wieder zurückkommen, haben Sie das Gefühl, das Leben wurde Ihnen geschenkt. Es zählt überhaupt nicht, was Sie haben oder was Sie gemacht haben, sondern nur, was Sie noch machen können.

Aber warum sollte man sich das antun? Welchen Nutzen hat das alles?

Natürlich ist das für die Menschheit nutzlos. Es ist nicht nützlich, durch die Antarktis zu laufen. Aber wir machen das zu etwas Sinnvollem. Denn der moderne Mensch will selbst bestimmen, was er tut und seinem Leben selbst einen Sinn geben. Er will sich diesen Sinn nicht von einer Regierung, einer Religion oder irgendwelchen Spießbürgern vorschreiben lassen.

Nehmen Sie all diese Torturen des Nutzlosen auch stellvertretend für die vielen Menschen auf sich, die nie selbst so weit gehen würden, dafür aber Ihre Bücher lesen, Ihre Vorträge besuchen?

Ich glaube, dass die Leute deshalb zu meinen Vorträgen kommen, weil ich in meinen Geschichten die Widersprüche sehr stark betone. Ich trete oft auf die Bühne und sage: Ich bin der Eroberer des Nutzlosen. Aber ich weiß auch, dass die meisten im Publikum davon geträumt haben, sonst wären sie nicht da. Ich hatte das Glück, all meine Expeditionen überlebt zu haben. Nun kann ich mit einem großen Publikum mein Privileg teilen, was sie nie haben konnten, weil sie etwas Nützliches gemacht haben. Also harte Arbeit, die ich viel mehr schätze, als durch die Antarktis zu marschieren.

Im kommenden Jahr werden Sie 70 Jahre alt. Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf Ihre Eroberungen des Nutzlosen zurück?

Ich blicke im Grunde nicht zurück. Das, was ich gestern gemacht habe, ist Biografie. Das habe ich zu verantworten, das ist mehr Last als Befriedigung. Darum lebe ich von dem, was ich jetzt, im Alter von 70 Jahren, noch gestalten kann.

Wobei Sie sicher Einschränkungen hinnehmen müssen.

Ich muss nicht den elften Schwierigkeitsgrad klettern und auch nicht mehr den Mount Everst besteigen. Das habe ich zweimal getan. Ich mache das, was ich mit meinen Erfahrungen und in meinem Alter machen kann.

Macht Ihnen das Alter zu schaffen?

Langsam komme ich mit dem Altern, was bei mir nicht einfach ist, zurecht.

Weil Sie mit dem Alter gelassener geworden sind?

Das könnte so langsam der Fall sein. Ich bin ja ein ziemlich umtriebiger und auch ungeduldiger Mensch.

War es früher vor allem auch diese Ungeduld, die Sie zu Ihren Expeditionen getrieben hat?

Es war die Sehnsucht, hinter den nächsten Horizont zu schauen. Denn ich bin ein Horizontsüchtiger. Ich bin immer noch neugierig, will wissen, was noch möglich ist. Und Sehnsucht ist ja auch eine Sucht. Nur wenn sich die Sehnsucht einfach auflöst, weil das Einverständnis mit dem begrenzten Leben, dem Nichts am Ende da ist, erst dann ist die Gelassenheit perfekt. Ich versuche täglich, mich dem zu nähern.

In einem Interview kurz vor Ihrem 65. Geburtstag haben Sie gesagt: Ich wünsche mir ab und zu sogar, 70 oder 75 zu sein, um völlig frei zu sein – auch frei von den eigenen Vorsätzen, Zielen, Visionen. Sind Sie dem jetzt nähergekommen?

Dem bin ich sogar ein gutes Stück nähergekommen. Ich werde im kommenden Jahr das letzte der Messner Mountain Museen übergeben. Das war dann das große Projekt der vergangenen 15 Jahre. Danach werde ich sicherlich nicht daheim rumsitzen. Aber ich muss dann nichts mehr beweisen, nichts mehr machen.

Keine Angst vor der großen Leere?

Zweimal in der Woche gehe ich in die Natur hinaus. Ich muss nicht schnell gehen, muss keinen Gipfel erreichen, muss nicht schneller sein als andere. Und solange ich noch Ideen im Kopf habe, werde ich versuchen, die umzusetzen. So war das schon immer. Wenn ich einen Berg gesehen habe und eine Idee von einer möglichen Route für die Besteigungen entwickelt habe, wurde die erst dann konkret und in mir als Erfahrungspotenzial lebendig, wenn ich es versucht habe. Ob ich dann durchkomme oder nicht, das ist nicht so wichtig. Ich bin häufig gescheitert. Ich muss nie mehr Erfolg haben. Aber ich muss es weiterhin versuchen dürfen.

Immer wieder diese Versuch, obwohl der Tod ständig präsent war?

Natürlich war mir als Kind schon beim Klettern klar: Wenn ich da runterfalle, bin ich tot. Aber diese Erkenntnis reicht nicht tief, denn als Kinder haben wir das Gefühl, unsterblich zu sein. Ich habe da schon früh ein gewisses Jung-Siegfried-Gefühl entwickelt. Später haben mein Bruder und ich an die 1000 Klettertouren gemacht. Verrückte Sachen, von denen andere gesagt haben, das schaffen die nie, dafür sind die viel zu jung. Das alles haben wir überlebt. Umso schlimmer war dann der Verlust des Bruders von einer Sekunde auf die nächste. Denn das ganze Jung-Siegfried-Gefühl ist in dem Moment in sich zusammengestürzt.

Trotzdem haben Sie weitergemacht.

Die ersten Monate danach habe ich schon gezögert. Aber mein Bruder und ich, wir hatten so viele Pläne. Und mir war auch klar, dass mein Bruder nicht lebendig wird, wenn ich darauf verzichte. Ich kann nicht eine Tragödie, für die ich auch die Verantwortung trage, rückgängig machen, indem ich etwas anderes mache. Darum habe ich mir gesagt: Ich lebe unsere Träume weiter.

Weitergemacht auch für Ihren Bruder?

Ich würde sagen, auch wenn es eine Ungerechtigkeit ist, dass ich seine Energie mitgenommen habe für die nächsten Projekte. Natürlich ist der Bruder oft mitgestiegen im Geiste. Aber ich konnte ihm damit ja keinen Gefallen tun. Dafür bin ich viel zu sehr Realist.

Wenn Sie von Ungerechtigkeit sprechen, meinen Sie dann auch Schuldgefühle?

Ja, aber nicht in der Form, dass ich vielleicht etwas falsch gemacht habe und mein Bruder deswegen sterben musste. Wir haben beide die Verantwortung getragen. Und ab einem gewissen Punkt, an dem wir überzogen hatten, gab es keinen Ausweg mehr. Ab da war es nur noch Selbsterhaltungstrieb. Warum ist er gestorben und nicht ich, das ist das Schuldgefühl, das bleibt.

Wie sehen Sie heute, mit knapp 70 Jahren, den Tod?

Für mich ist das Ende ein sich Verlieren in Zeit- und Raumlosigkeit. Es gibt keinen schöneren Zustand, obwohl das gar kein Zustand mehr ist. Als ich 60 Jahre alt war, habe ich die Wüste durchquert und erkannt, dass jetzt das Altern als Prozess beginnt. Allein in eine Wüste hineinzugehen und sich dort zu verlieren, das ist ein sehr gutes Bild, das auf das Sterben vorbereiten könnte. Und es gibt Zeiten, da freue ich mich darauf. Ich habe keine Angst vor diesem Nichts.

Aber wenn Sie draußen in der Natur unterwegs sind, haben Sie da manchmal nicht Angst, keinen Ort mehr zu finden, an dem nicht schon Menschen sind?

Unser Hunger nach dem Besonderen hat dahin geführt, dass bestimmte Orte, die früherer Wildnis waren, jetzt regelrecht überlaufen sind. Auf dem Mount Everest geht es heute zu wie auf der Kaufinger Straße in München. Im vergangenen Jahr war ich dort und das Basislager war drei Kilometer lang, ungefähr 500 Meter breit und dort standen rund 1000 Zelte. Alle zwei Tage wurden die Toiletten ausgeflogen, da lag kein Müll, alles war geregelt. Aber umgekehrt gibt es heute mehr menschenleere Flächen als noch vor 50 Jahren. Es gibt Landstriche, so groß wie die Bundesrepublik, die hat seit einem halben Jahrhundert kein Mensch betreten. Und das finde ich großartig. Die Leute gehen alle aufs Matterhorn, auf den Mont Blanc, den Mount Everest und zum Skifahren nach Südtirol. Viele andere Flächen in den Alpen sind dagegen Wildnis. Darum habe ich keine Angst, dass ich in meinem Leben je nach Wildnis suchen muss.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Reinhold Messner mit „Leben am Limit“ am 19. Januar, 19 Uhr, im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Für diese Veranstalung gibt es nur noch Restkarten. Reinhold Messner ist auch am 24. Januar, 20 Uhr, in Berlin im Konzertsaal der UdK zu erleben

Reinhold Andreas

Messner, geb. 1944 in Brixen, ist ein Südtiroler Extrembergsteiger, Abenteurer und Buchautor.

Messner ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten Bergsteiger. Gemeinsam mit Peter Habeler hat Reinhold Messner 1978 als Erster den Gipfel des Mount Everest ohne Flaschensauerstoff erreicht. Auch stand Messner als erster Mensch auf den Gipfeln aller vierzehn Achttausender ohne Flaschensauerstoff. Ebenfalls als Erster hat Messner 1978 mit dem Nanga Parbat einen Achttausender im Alleingang bestiegen. Er durchquerte die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi.

1970 verlor Reinhold Messner seinen Bruder Günther bei einer gemeinsamen Nanga-Parbat-Südwand-Expedition.

Seit 2003 arbeitete Reinhold Messner an dem Projekt eines Bergmuseums unter dem Titel Messner Mountain Museum. Fünf dieser Mountain Museen zu unterschiedlichen Bergthemen hat Messner schon eröffnet. Im kommenden Jahr soll das letzte Museum eröffnet werden.

Reinhold Messner lebt in Südtirol und in München. (PNN)

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