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Unter Druck: Becky (Ricarda Seifried) und Tommi (Thomas Schubert) bei Schießübungen in "Wintermärchen".

© W-Film

Interview mit Regisseur Jan Bonny zu seinem Film "Wintermärchen": „Es gibt kaum einen Moment, der nicht sexualisiert oder gewalttätig ist“

Regisseur Jan Bonny spricht über die extremen Bilder in seinem Film „Wintermärchen“, der in Potsdam eine Vorpremiere hat und die Zukunft des deutschen Kinofilms. 

Von Sarah Kugler

Herr Bonny, „Wintermärchen“ ist angelehnt an die Fälle des NSU-Terrors, fiktionalisiert aber Protagonisten und Taten. Warum?

Ich hatte immer das Gefühl, ich muss etwas über den Narzissmus von Tätern erzählen, über die Verschränkung von Gewalt und Sexualität. Ich habe in München die NSU-Prozesse besucht und habe dort begriffen, wie konkret und auch irgendwie banal diese Täter waren. Genau das, diese private, banale Ebene wollte ich erzählen. Und das Radikale und Perverse, das dort drinsteckt.

Also geht es Ihnen um eine allgemeine Sicht auf Täter?

Könnte man so sagen. Der Film ist auf jeden Fall kein Versuch, den NSU im Detail erklären zu wollen. Das muss ein einzelner Film auch gar nicht versuchen zu leisten, glaube ich. Er versucht vielmehr, den Abgrund an Hand seiner drei Figuren aufzuzeigen, ohne dabei vollständige Täterbiographien zu erzählen.

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Sie zeigen die Beziehung zwischen zwei Männern und einer Frau, die geprägt ist von ständiger Gewalt. Wie nähert man sich solchen Figuren als Filmemacher an?

Das ist tatsächlich eine komplizierte Geschichte, denn als Autor muss man seinen Figuren nahe kommen. Viel wichtiger ist aber, sie zu kennen und das hat nichts mit Sympathie zu tun. Das Schreiben des Drehbuches und letztendlich auch der Dreh und Schnitt waren somit eine Gratwanderung. Inwieweit bin ich bereit, diese Figuren zu begleiten, wie kann ich mich diesem Druck, der von ihnen ausgeht, entziehen und bleibe trotzdem an ihnen dran.

Erzählen Sie „Wintermärchen“ deswegen als Beziehungsdrama?

Genau. Über die Dynamik der Dreiecksbeziehung bekommt man Zugang zu den Figuren. Das ist zunächst etwas Vertrautes. Und dann geht man mit diesen Figuren an Orte, an die man gar nicht gehen möchte, sieht Dinge, die man gar nicht sehen möchte.

Im Film wird ständig geschrien, gepöbelt. Die Morde sind blutig, die Sexszenen heftig. Müssen Filme so sein, um zu fesseln?

Ich glaube, dieser Film muss so sein. Den Druck konstant aufrecht zu erhalten, war mir wichtig. Der Film hatte in Locarno Premiere, dort haben natürlich auch ein paar Zuschauer den Saal verlassen, das ist aber auch vollkommen in Ordnung. Es ist nicht einfach, sich zu dem Film zu verhalten, das ist keiner zu dem man sagt: „Das war nett.“ Er ist vielmehr als Erfahrung angelegt.

Die Sexszenen des Films sind nicht so harmonisch wie es hier aussieht. 
Die Sexszenen des Films sind nicht so harmonisch wie es hier aussieht. 

© W-Film

Die vielen Sexszenen sind sowohl körperlich als auch verbal nie ganz gewaltlos.

Das stimmt, es gibt kaum einen Moment, der im Film nicht sexualisiert oder gewalttätig ist, oder beides. Ich wollte beide Seiten filmisch gleich behandeln, sie direkt zeigen. Ähnlich wie das Beziehungsdrama, ist auch das Körperliche zunächst etwas Vertrautes, auf das sich der Zuschauer einlassen kann. Auf der anderen Seite ist es natürlich eine Zumutung. Aber es geht hier auch um drei sehr narzisstische Figuren, die ständig in einem physischen Rausch sind. Sowohl bei ihren Gewalttaten als auch beim Sex geht es um das sich Spüren, ums Gesehen werden, um Anerkennung.

Sie haben passend dazu als Abspannsong „Ein stummer Schrei nach Liebe“ von den Ärzten gewählt. Sind Ihre Protagonisten auch auf der Suche nach der Liebe?

Auf eine sehr verdrehte Weise kann man das wohl so sehen, wir haben den Song aber eher als ergänzenden Kommentar zum Film ausgewählt. Während der Film einen mit sich selbst zurücklässt, ist der Song eine konkrete Geste. Er ist aber auch ein gesellschaftlicher Kommentar.

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Wie meinen Sie das?

Das Lied ist 1993 erschienen. Die Frage ist, wie stand man damals zu dem Song und wie stehen wir heute dazu. Es ist quasi ein Geisterlied aus der Vergangenheit, das durchaus fragt, ob die Botschaft dieses politischen Liedes sich vielleicht gar nicht verfangen oder sich schon wieder verflüchtigt hat.

Braucht das deutsche Kino politischere, radikalere Filme?

Wir müssen uns als Filmemacher schon fragen, welches Kino die Gegenwart braucht, welches Kino jetzt aufregend ist. Das trifft für alle Genres zu, nicht nur für den politischen Film.

Was ist denn aufregendes Kino?

Kino, das genau ist, unverschämt auch. Ich glaube, wir müssen viel unverschämter werden. Etwas erzählen, das uns als Zuschauer wirklich überrascht, das kann eine intellektuelle Herausforderung sein, eine körperliche, eine komödiantische.

Regisseur und Drehbuchautor Jan Bonny.
Regisseur und Drehbuchautor Jan Bonny.

© Alexandra Wey/KEYSTONE/dpa

Derzeit wird viel über das Verhältnis von Kino und Streamingplattformen diskutiert. Glauben Sie, das Kino wird verdrängt?

Ich glaube, alles hat seinen Platz, alles wandelt sich und verändert sich auch gegenseitig. Früher liefen viel mehr Gebrauchsfilme – und ich meine damit etwas Gutes – im Kino, amerikanische Thriller, französische Polizeifilme. Solche Formate sind aktuell oft ins Streaming oder in das, was wir landläufig Fernsehen nennen, gewandert. Unterschiedliche Geschichten verlangen nach unterschiedlichen Formaten. Für mich lebt der Kinofilm einfach auch so stark von der Ellipse, von der mutigen Verdichtung, das unterscheidet ihn weiterhin von der Serie. Das Kino wird es weiterhin geben, da bin ich mir sicher.

Die Fragen stellte Sarah Kugler

>>Jan Bonny stellt „Wintermärchen“ am morgigen Samstag um 20 Uhr gemeinsam mit Darsteller Jean-Luc Bubert und Produzentin Bettina Brokemper im Thalia vor

ZUR PERSON: Jan Bonny ist in Düsseldorf geboren und 40 Jahre alt. Er studierte von 2000 bis 2006 an der Kunsthochschule für Medien Köln und arbeitet als Regisseur sowie Drehbuchautor.

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