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Bloß nicht zu brav. Seitdem sie das Jüdische Filmfest vor 24 Jahren gegründet hat, sucht Nicola Galliner nach Filmen, die die jüdische Tradition fortführen – frech, witzig, ein bisschen bös’. Mit „Jews News Today“ ist sie in diesem Jahr fündig geworden.

© #JewsNewsToday

Interview mit Nicola Galliner: „Das Judentum lebt“

Bald beginnt das 24. Jüdische Filmfestival. Gründerin Nicola Galliner über Vorhaben und Vorurteile.

Frau Galliner, am Dienstag beginnt die 24. Ausgabe des Jüdischen Filmfestes Berlin & Brandenburg. Hätten Sie sich träumen lassen, dass es so alt werden würde?

Überhaupt nicht! Wir haben in einem Kino mit drei Sälen in Berlin begonnen, es dauerte nur wenige Tage. Wir nannten uns zunächst Jewish Film Festival, so heißen auch die jüdischen Filmfestivals in Zürich oder Wien. Bis wir irgendwann Probleme mit den Förderern bekamen, weil es hieß: Warum sollen wir ein ausländisches Festival fördern? Dann gaben wir uns den deutschen Namen. Wir hätten zu Anfang jedenfalls nie gedacht, dass es uns 20 Jahre später noch geben würde.

Seit 2011 findet der Auftakt im Hans Otto Theater statt. Woher die Ehre?

Das Hans Otto Theater ist einfach ein schöner, großer Ort! In den Jahren davor hatte das Festival ja auch in Potsdam begonnen, im Filmmuseum. In unserem ersten Jahr in Potsdam zeigten wir damals ein paar Filme über die Rosenbergs, ein jüdisches Paar, das in den 1950er Jahren in den USA der Spionage für die Sowjetunion bezichtigt und hingerichtet wurde. In Westberlin kannte die beiden keiner, in Brandenburg aber wusste jeder, wer sie waren. Hier waren sie Helden. Das war sehr interessant. Einer der Söhne der Rosenbergs kam auch zum Festival.

Welcher Impuls steht hinter dem Festival?

Das Festival will einen anderen Zugang zu dem Thema Israel, zu Juden und jüdischem Leben. Man kann in Filmen durch die ganze Welt gehen. Wir wollen auch gegen Antisemitismus vorgehen. Wir starten in diesem Jahr ein zusätzliches Bildungsangebot, mit dem wir einige bei uns gezeigte Filme synchronisieren und für Schulen aufbereiten lassen. Ich finde, da muss man anfangen: bei den jungen Leuten. Erwachsene Rechtsradikale werden wir nicht erreichen. Schulkinder aber sehr wohl. Nicht jeder hat die Möglichkeit, nach Israel zu fahren oder Juden kennenzulernen. Da können Filme viel erreichen, um Vorurteile aufzubrechen. Deswegen gehen wir mit dem Programm an Brandenburger Schulen.

2016 waren Sie erstmals in Cottbus.

Ja, allerdings mit einem Konzert. Joshua Nelson war zu Gast, ein schwarzer jüdischer Sänger aus den USA. Er singt alles, jüdische oder christliche Lieder, auch Popsongs. Er ist ein ganz hervorragender Performer. Er hat eine Stimme, da bleibt einem das Herz stehen. Jüdisches gilt immer als traurig, aber er sagte bei einem Konzert in der Synagoge in der Rykestraße zu Besuchern, die das erste Mal da waren: Sie können sich freuen, alles ist noch da! Da war das Eis gebrochen.

Das Jüdische ist immer traurig, sagten Sie gerade. Ist das auch ein Impuls des Festivals: zu zeigen, dass es mehr ist als das?

Ja, in Deutschland wird das Judentum immer mit Tod verbunden. Es ist aber etwas Lebendiges. Es lebt. Wir wollen die Vorurteile aufbrechen und zeigen, dass die jüdische Kultur mit sehr viel Freude und Leben verbunden ist, dass es tolle Geschichten zu erzählen gibt. Wir haben in diesem Jahr wieder Dokumentarfilme über Lebensgeschichten dabei, die einem kein Mensch glauben würde, wenn man sie in einem Spielfilm erzählen würde.

Zum Beispiel?

Wir beginnen am 26. Juni mit „Itzhak“ über den Geiger Itzhak Perlman. Als Kind sagte man über ihn: Er spielt ja ganz gut Geige, aber er ist behindert, das wird wohl nichts. Eine unglaubliche Einstellung, heute würde das niemand mehr sagen. Aber der Film zeigt einen Mann mit unglaublicher Lebensfreude. Ich sage immer, wer diesen Film gesehen hat, hat mindestens drei Tage gute Laune.

Das diesjährige Motto lautet: „No Fake Jews“. Eine Kampfansage an Trump?

Ach, nein, nein. Es ist ganz spielerisch gemeint. Ich sage damit: Wir zeigen das authentische jüdische Leben.

Eine großartige Wiederentdeckung ist Hedy Lamarr, die Filmstar war und auch als eine der Erfinderinnen des W-lan gilt. Warum kennt sie keiner mehr?

Sie war Österreicherin und in den 1950er Jahren ein großer Hollywoodstar. Sie hatte ein ziemlich tragisches Ende, weil sie beim Klauen erwischt wurde. Aber für ihre wissenschaftlichen Errungenschaften hat sie nie Anerkennung erfahren. Man dachte wohl immer: So wie die aussieht, kann sie nicht schlau sein.

Zu hübsch, um klug zu sein?

Ja. Grausig. Im Filmmuseum zeigen wir die Deutschlandpremiere des Dokumentarfilms „Geniale Göttin –Die Geschichte von Hedy Lamarr“, koproduziert von Susan Sarandon, und eine ganze Reihe mit ihren Filmen. Darunter auch „Ekstase“, mit dem sie schlagartig bekannt wurde, weil sie darin als Nackedei zu sehen ist – wenn auch unscharf und im Hintergrund. Damals war das ein Riesenskandal. Eingeführt werden die Filme von dem Wissenschaftler Frank Stern, dem Experten für jüdischen Film – mit Sicherheit alles andere als trocken.

Sie leiten das Festival jetzt seit 24 Jahren. Hat das, was Sie versuchen, Erfolg?

Das ist schwer zu sagen. Man weiß nicht, wen man wie beeinflusst hat. Man hofft.

Gab es denn Begegnungen, die Ihnen vermittelten: Wir haben was bewegt?

Eine gute Frage. Wir haben Leute, die jedes Jahr kommen. Das finde ich ganz toll. Und bei manchen Filmkritikern merkt man, am Anfang hatten sie keine Ahnung, worüber sie schreiben, aber inzwischen sind sie in das Thema reingewachsen. Sie haben die Filme anfangs oft einfach nicht verstanden. Wie auch? Es wurden von den Nazis ja nicht nur die Menschen umgebracht, sondern eine ganze Kultur. Auch deswegen finde ich es so wichtig, das Jüdische im Film wieder zurückzubringen nach Deutschland. Es gibt hier bislang keine Nachfolger von Hedy Lamarr oder Ernst Lubitsch.

Sie sagen, Sie wollen das Jüdische im Film zurückbringen. Was ist das, das Jüdische?

Es ist eine gewisse Frechheit, ein gewisser Witz. Wir haben etwas in diesem Jahr, wo zu sehen ist: Hier wächst etwas in dieser Tradition nach. Es gibt in der Generation der heute 30-Jährigen zwei Künstler, die drei kleine Youtube-Spots gemacht haben. Das ist das erste wirklich witzige Jüdische, das ich gesehen habe, seitdem ich hier in Deutschland bin. Moritz Richard Schmid und Max Czollek haben 2017 für die Radikalen Jüdischen Kulturtage im Maxim Gorki Theater kurze fiktive Nachrichten unter dem Titel „Jews News Today“ produziert, wir zeigen drei davon. Zum Beispiel: Die Deutsche Bank nimmt dreißig Prozent Juden im Personal auf.

Eine Juden-Quote?

Ja, eine 30-prozentige Juden-Quote. Wo die alle herkriegen? Die Deutsche Bank hat sich nie dazu geäußert, sie haben das über sich ergehen lassen. Eine andere Meldung war: Das deutsche Abgeordnetenhaus hat sich entschieden, für das Holocaust-Mahnmal Eintritt zu nehmen.

Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Ja, „Jews News Today“ ist auch böse. Aber auch einfach witzig. Es gibt mit „The last Laugh“ in diesem Jahr einen sehr schönen Film aus Amerika, der die Frage behandelt: Worüber kann man lachen, worüber nicht? Schon bei unserem allerersten Filmfestival war ein Film über die Frage dabei.

Für wen machen Sie das Festival?

Für alle eigentlich. Für die jüdische und israelische Community, aber auch für die Teenager aus Brandenburg. Das Schöne an den Vorführungen ist, dass die Leute dadurch nie alle an den gleichen Stellen lachen, wenn es einen Witz gibt. Bei einem israelischen Film lachen erst die, die Hebräisch verstehen, dann die, die die Untertitel verstehen, und einige lachen gar nicht. Die Mischung finde ich toll. Die jüdischen Filmfestivals in Amerika sind 90 Prozent jüdisches Publikum. Das haben wir hier nicht, das finde ich gut. Ich sage immer, unser Publikum ist der Berliner oder der Brandenburger zwischen 16 und 95.

Frau Galliner, jüngst haben Sie für Ihre Arbeit den brandenburgischen Verdienstorden bekommen. Was bedeutet Ihnen das?

Sehr viel. Ich war selbst sehr überrascht, als ich von der Ehrung erfuhr. Ich finde auch, das Land selbst hätte eigentlich eine Auszeichnung verdient, weil es unser Festival so viele Jahre so treu unterstützt hat.

Sie sagten auch: „Es steht durchaus in der Tradition preußischer Toleranz, Juden Orden zu verleihen ...“

(lacht) Ach ja. Das war als Spaß gemeint. Ich freue mich wirklich über die Ehrung.

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Vom 26. Juni bis 5. Juli in Berlin, Königs Wusterhausen, Brandenburg an der Havel und Potsdam. www.jfbb.de

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Zur Person: Nicola Galliner, geboren 1950 in London, ist die Leiterin des Jüdischen Filmfestivals Berlin & Brandenburg, dessen 24. Ausgabe am 26. Juni in Potsdam beginnt. Sie lebt seit 1969 in Berlin.

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