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Geschichten erzählen. Die griechische Tänzerin und Choreografin Kat Válastur arbeitet in der „fabrik“ an ihrem neuen Stück.

© promo

Interview mit Kat Válastur: „Neues entsteht nur, wenn man sich leert“

Sie mag es, ihr Publikum zu foltern und will bei jedem neuen Stück alles vergessen, was sie vorher gemacht hat: Kat Válastur probt zehn Tage lang in der „fabrik“ an einem neuen Tanzstück

Frau Válastur, Sie waren mit Ihrem Stück „Corpus III“ bei den Tanztagen im Juni in der „fabrik“, jetzt kommen Sie für eine Residenz, einen kurzen Arbeitsaufenthalt, zurück. Worum geht es in Ihrem neuen Stück?

Um eine Gruppe von Menschen, die die Stadt hinter sich gelassen haben und neu anfangen. Ich stelle mir das ein wenig vor wie nach einem Weltuntergang, eine postapokalyptische Welt. Aber wie immer gilt auch hier: Wenn etwas endet, beginnt etwas Neues. Dahinter steht natürlich die elementare Frage, wie man eine Gesellschaft aufbaut. Die Menschen in dem Stück haben, so ist meine Idee, ihre alte Art zu leben aufgegeben und suchen nun nach neuen Wegen des Zusammenlebens – oder eben des Zusammen-Tanzens.

Was bedeutet das formal, wie sieht die Choreografie aus?

Es geht in dem Stück um ein zeitgenössisches Ritual, so heißt es auch: „Ah! Oh! – A contemporary ritual“. Konkret geht es darum, gemeinsam einen Reigentanz aufzuführen. Natürlich gibt es auch persönliche Rituale, etwas, das Menschen für sich tun. Für mich war es aber eine logische Entwicklung, jetzt etwas mit einer größeren Gruppe zu machen, weil ich kurz davor ein Solo-Stück gemacht habe. Dazu sollte das eine Art Gegenstück werden. Ich habe es gern, wenn zwischen meinen Arbeiten ein Pfad – oder besser eine Art Dialog – entsteht, wenn sie aufeinander reagieren. Eine soll ein Kontrapunkt zur anderen sein. Dieser Dialog zwischen Individuum und Gruppe – das spiegelt ja auch die Art, wie wir leben.

In „Corpus III“ ging es stark um den Dialog zwischen zwei Gruppen: den Tänzern und dem Publikum.

Ja, und diesmal geht es um einen Dialog zwischen den Tänzern selbst, das Publikum wird diesmal eher Beobachter sein, der das Ritual von außen betrachtet. Ich vergleiche das mit Anthropologen, die auf ein Dorf stoßen, das bislang unbekannt war.

Oder eben auf eine postapokalyptische Gesellschaft, die neu anfängt. Derzeit müssen wir Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten beobachten – spielte das eine Rolle für die Entwicklung des Stücks?

Das ist ja immer merkwürdig, wie wir mit solch schrecklichen Nachrichten umgehen. Wir leben hier in Berlin ja sehr beschützt – und auch ein wenig isoliert. Wir sind sicher. Doch zugleich geschehen diese Kriege, nur eben anderswo. Das ist alles nur eine Frage der Wahrnehmung von Raum und Zeit: Es passiert genau jetzt, und wenn man die räumlichen Parameter verschiebt, dann passiert es auch genau hier: auf der Erde. Zu realisieren, wo und wie wir leben, das soll in dem Stück schon aufgegriffen werden.

Klingt da auch Kritik an der Art, wie unsere heutigen Gesellschaften leben, mit?

Tatsächlich arbeite ich an diesem Punkt noch – das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Eigentlich lebe ich gerne in dieser Gesellschaft, die wir uns geschaffen haben, aber natürlich gibt es noch offene Fragen. Nicht nur zu alternativen Lebensweisen, sondern einfach zu der Frage, wie ich mich in dieser Gesellschaft fühle. Wenn ich ein neues Stück beginne, muss ich mich jedes Mal von allem, was ich zuvor gemacht habe, befreien, sonst würde ich mich selbst wiederholen. Stattdessen versuche ich, meinem eigenen Pfad zu folgen, weiterzugehen. Ähnlich geht es den Menschen in „Ah! Oh! – A contemporary ritual“. Sie sind in gewisser Weise voll, erfüllt von allem Möglichen – und dieses Gefühl kann einerseits schön, aber eben auch erstickend sein. Für mich kann Neues nur entstehen, wenn man sich leert. Um diese Entleerung geht es bei dem Tanz.

Kat Válastur wurde als Katerina Papageorgiou in der griechischen Hauptstadt Athen geboren. Dort studierte sie auch Tanz an der Hellenic School of Dance. Im Jahr 2000 ging sie mit einem Fulbright-Stipendium zum weiteren Studium nach New York.

Heute lebt Kat Válastur als Choreografin und Performance-Künstlerin in Berlin.

Sie sprechen von dem Pfad zwischen Ihren Stücken. Gibt es eine Verbindung zwischen „Corpus III“ und dem neuen Stück?

Naja, „Corpus III“ war der letzte Teil eines Zirkels, der sich mit Homers Odyssee beschäftigte. Ich benutzte diese uralten Geschichten, um herauszufinden, wie wir die Zeit wahrnehmen. Für mich enthüllt das dieses Epos sehr gut. Aber das Ritualstück gehört zu einem neuen Zirkel von Arbeiten, den ich „The marginal Sculptures of Newtopia“ nenne. Darin geht es eher um den Aspekt des Raumes, weniger um den der Zeit. Ich will herausfinden: Wie nutzen wir den Raum, wie verorten wir uns in unbekannten Räumen, Ländern?

„Corpus III“ war für viele Zuschauer beinahe körperlich schmerzhaft, weil die Tänzer sich unendlich langsam, aber permanent zitternd, bewegt haben und man das Gefühl hatte, in Stroboskop-Licht zu blicken. Wie werden Sie Ihr Publikum diesmal foltern?

An meinen Foltermethoden arbeite ich seit Jahren! Nein, im Ernst, das neue Stück wird eher eine Geschichte erzählen, es geht weniger um den Zustand des vereinzelten Individuums, das keine Verbindung zu den anderen herstellen kann. Diesmal geht es ja darum, eine Gesellschaft aufzubauen. Klar, philosophisch gesehen ist der Mensch immer allein, aber in meiner Arbeit geht es schon immer darum, wie der Einzelne mit anderen Vereinzelten zusammen interagiert. Ich halte es aber nicht für gegeben, dass aus dem Zusammenleben automatisch Glück entsteht. Aber in „Ah! Oh! – A contemporary ritual“ geht es schon darum, diesen Kreis wieder zu schließen.

Das heißt aber, dass das neue Stück für die Zuschauer weniger schmerzhaft als „Corpus III“ wird?

Nun, Folter beinhaltet auch immer den Aspekt der Zeit, um den es in dem Stück ja ging: Manches wird zur Folter erst über seine Dauer, anderes über bestimmte Bewegungen. Als Choreografin frage ich mich immer: Wie kann ich ein aktives Publikum schaffen? Ich benutze ja keine Sprache, kann also nicht mit den Zuschauern kommunizieren. Damit sie trotzdem interagieren, musste ich einen Weg finden, sie zu stimulieren. Ich beschäftige mich also viel damit, wie wir Dinge wahrnehmen, damit das, was das Publikum dann sieht, auch Gefühle auslöst. Und selbst Folter ist ja eine Art von Gefühl. Ich möchte, dass die Menschen das, was sie bei mir auf der Bühne sehen, mit ihren Körpern wahrnehmen, ohne darüber bewusst nachzudenken.

Wie lange werden Sie insgesamt am Stück arbeiten? Die Residenz in der „fabrik“ geht ja nur über zehn Tage.

Das stimmt, wir beginnen in der „fabrik“ am 18. August, dann gibt es eine öffentliche Probe. Das Stück werden wir in dieser Zeit natürlich nicht vollenden, aber zu der Residenz „Etape Danse“, die ein Kooperationsprojekt zwischen der „fabrik“ und dem „Bureau du Théâtre et de la Danse“ ist, gehört dann ja auch noch ein Aufenthalt in Frankreich. Im Dezember soll es dann fertig sein. Bisher habe ich viel Zeit damit verbracht, die Tänzer zusammenzubekommen. Es soll ein echtes Gruppenstück werden, ideal wären zehn Tänzer gewesen, das war finanziell aber nicht möglich. Jetzt habe ich sechs Tänzer, was auch in Ordnung ist. Mir war es wichtig, Tänzer mit unterschiedlichen Körperlichkeiten zusammenzubringen, mit unterschiedlichen biografischen Hintergründen, verschiedenen Gesichtern und so weiter. Sie zu finden hat viele Monate gedauert. Für gewöhnlich arbeite ich gerne mit derselben Gruppe von Menschen zusammen, aber bisher umfassten meine Stücke maximal vier Tänzer – so war es ja auch in „Corpus III“.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Zu sehen ist „Ah! Oh! A Contemporary Ritual“ am Freitag, dem 29. August, um 11.30 Uhr in der fabrik, Schiffbauergasse. Der Eintritt ist frei.

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