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Rückzugsort. Hitler blieb nie länger als zehn oder 14 Tage in Berlin und zog sich immer wieder auf den Obersalzberg zurück – auch um Distanz zu der eigenen Partei zu schaffen. Am 22. Oktober 1937 besuchten ihn dort Edward Herzog von Windsor und seine Ehefrau Wallis Simpson.

© EPA/STR UK AND IRELAND OUT/dpa

Interview mit Heike B. Görtemaker: "Speer stilisierte Hitler zum Mephisto"

Historikerin Heike B. Görtemaker über ihr Buch "Hitlers Hofstaat“. Es geht um Mäzene, Lügen und die Zusammenkünfte auf dem Obersalzberg. Am 19. Januar 2020 stellt sie das Buch in Potsdam vor.

Frau Görtemaker, für Ihr Buch „Hitlers Hofstaat“ haben Sie erforscht, mit wem sich der Diktator umgab. Wer waren diese Menschen in Hitlers engstem Umfeld?
Der innere Kreis des Diktators während des Dritten Reiches bestand vor allem aus Vertrauten Hitlers, wie Albert Speer, seiner Freundin Eva Braun oder dem Fotografen Heinrich Hoffmann. Auch die Adjutanten sowie Hitlers Begleitarzt Karl Brandt und sein Leibarzt Theodor Morell gehörten dazu. Die Parteielite der NSDAP und die meisten seiner Minister hielt Hitler hingegen zunehmend auf Distanz.

Außer Hitler selbst und Speer waren keine bekannten Politiker in diesem Kreis?
Doch, Propagandaminister Joseph Goebbels gehörte ebenfalls dazu. Auch Martin Bormann ist hier zu nennen, nach 1941 Leiter der Parteikanzlei. Alle diese Menschen, ob bekannt oder weniger prominent, waren enorm wichtig für Hitler, da sie ihn in seinem Tun und seinen Entscheidungen bestätigten.

Wie Sie in Ihrem Buch schreiben, hatte Hitler schon in der Frühzeit seines politischen Handelns in der Weimarer Republik einen Kreis von Vertrauten um sich geschart.
Dieser erste Kreis entstand 1920, als Hitler anfing, sich als Politiker zu betätigen. Er tritt ja schon Ende 1919 der Deutschen Arbeiterpartei bei. Und er arbeitete in der Propagandaabteilung der Reichswehr, war also ein Agitator. Aus dieser Zeit stammen die frühen Freunde, darunter Alfred Rosenberg, der Student Rudolf Heß und der später in Ungnade gefallene Ernst Röhm. Sie alle waren extreme Antisemiten – von Anfang an. Bis heute wird in der Geschichtswissenschaft dieses Umfeld nicht wirklich wahrgenommen. Stattdessen haben wir immer noch eine hitlerzentrierte Geschichtsbetrachtung, wonach er seinen Aufstieg in der Weimarer Zeit allein seinen eigenen Fähigkeiten verdankte. Aber das stimmt eben so nicht.

Heike B. Görtemaker, 55 Jahre, ist Historikerin und Publizistin. Sie studierte Geschichte, Volkswirtschaft und Germanistik.
Heike B. Görtemaker, 55 Jahre, ist Historikerin und Publizistin. Sie studierte Geschichte, Volkswirtschaft und Germanistik.

© Andreas Klaer

Sind diese Freunde auf Hitler aufmerksam geworden oder hat er sie sich gesucht?
Das weiß man bis heute nicht. Man kann aber sagen, dass Hitler bereits in der Deutschen Arbeiterpartei als ein Redetalent auffiel und einen Kreis von Vertrauten um sich scharte. Erst recht galt dies in der NSDAP ab 1925. Er wurde immer von seinem engsten Umfeld begleitet und betreut. Hitler ging nie irgendwo alleine hin.

Sie schreiben in Ihrem Buch auch, wie wichtig die Mäzene für Hitler waren.
Ja, der Klavierhersteller Edwin Bechstein und seine Ehefrau Helene gehörten zu den frühen Gönnern Hitlers. Auch Richard Wagners Sohn Siegfried Wagner mit seiner Frau Winifred engagierten sich für ihn. Und es gab noch viele weitere Förderer. Diese Freunde und Mäzene ermöglichten Hitlers Aufstieg. Man versorgte ihn mit Geld und Kontakten. Von 1924 bis zu seiner Ernennung zum Reichskanzler wurde er also massiv finanziert. Viele derjenigen, die ihn so lange unterstützt hatten, waren deshalb elektrisiert, als er schließlich Reichskanzler wurde. Man feierte ihn – und damit auch sich selber, weil man auf ihn gesetzt hatte. Tatsächlich war Hitler die Projektionsfläche für ihre nationalen Träume.

Hitler hielt sich in seiner Zeit als Reichskanzler häufig in seinem Berghof auf dem bayerischen Obersalzberg auf. Dort traf er mit seinen engen Vertrauten zusammen. Wie wichtig waren diese Zusammenkünfte?
Sie waren enorm wichtig. Man versammelte sich dort etwa alle zwei bis drei Wochen, weil Hitler ja nie länger als zehn oder 14 Tage in Berlin blieb. Er zog sich immer wieder auf den Obersalzberg zurück und schaffte auf diese Weise Distanz zur Elite der eigenen Partei und auch zu den Größen des Staates. Es gab sogar Rundschreiben, dass er nicht wünsche, dort gestört zu werden. Minister, die ihn auf dem Berg aufsuchen wollten, mussten wochenlang, manchmal über Monate hinweg, Bittbriefe an die Adjutanten schreiben, bis sie irgendwann hinaufgelassen wurden.

Die Minister hatten also nicht viel zu sagen?
Sie waren relativ machtlos. Im Umlaufverfahren, also lediglich auf schriftlichem Wege, trug Hitler vielfach seine Entscheidungen an sie heran. Ein Scharnier war dabei der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers. Er vermittelte zwischen den Ministern und Hitler. Der Obersalzberg war wichtig, weil sich der Diktator vor und nach wichtigen Entscheidungen immer hierhin zurückzog. Auch die unmittelbaren Kriegsvorbereitungen 1939 fanden auf dem Berg statt. Dabei war der Diktator umgeben von den Leuten aus seinem inneren Kreis. Am 22. August 1939 legte Hitler auf dem Obersalzberg vor 50 Generälen seine Kriegsziele dar. Es gibt ein Foto, das am selben Tag kurz nach dieser Besprechung auf dem Obersalzberg entstand. Es zeigt außer Hitler unter anderem Hermann Esser, aber auch Albert Speer und Alfred Rosenberg. Das sind Leute aus seinem vertrauten Kreis. Es handelt sich bei diesem Kreis also nicht nur um Mitwisser, sondern teilweise auch um Täter.

Haben denn diese Hitlervertrauten tatsächlich auch Einfluss auf Entscheidungen genommen?
Das ist im Einzelnen schwierig nachzuvollziehen. Aber diese Leute sind bereits vor Kriegsbeginn insofern Akteure, als dass beispielsweise ein Albert Speer durch seine Architektur Propagandaarbeit betreibt. Der Arzt Karl Brandt und der Hitlervertraute Philipp Bouhler wiederum wurden 1939 mit dem Befehl zur Tötung Behinderter beauftragt. Da ist bis heute unklar, inwieweit das nun tatsächlich von Hitler selbst ausging oder ob er von seinen Ärzten in diese Richtung gedrängt wurde. Entscheidend ist, würde ich sagen, dass jemand, der wie Hitler nie alleine war, auch kaum einsame Entscheidungen traf. Bis in die jüngsten Hitlerbiografien hinein wird der innere Kreis um Hitler auch während seiner Kanzlerschaft als bedeutungslos angesehen. Diese Sichtweise ist jedoch nicht zutreffend.

Wenn Hitler nach den diversen Treffen vom Obersalzberg abreiste, was machten dann seine Getreuen?
Sie reisten auch ab, bis auf diejenigen, die dort ein Haus besaßen, wie Albert Speer und seine Frau Margarete oder Martin Bormann mit seiner Frau Gerda, die alle zum inneren Kreis um Hitler gehörten.

Sie schreiben, dieser Kreis habe mit den Überlebenden nach dem Krieg weiterbestanden. Nahm man Einfluss auf die Nachkriegspolitik?
Nein, soweit wir wissen, nicht. Aber worauf diese Leute, die sich nach dem Krieg als Schicksalsgemeinschaft verstanden, einen großen Einfluss hatten, war die Geschichtsschreibung in der Nachkriegszeit. Es wurde ein Bild von Hitler vermittelt, das ihn als einsamen „Führer“ darstellte, der im Grunde ein sozial gestörtes Wesen ohne wirkliche Freunde gewesen sei – und der natürlich an allem allein schuld war. Es gab daneben auch einige andere Vertraute, die behaupteten, sie hätten von den Verbrechen nichts gewusst, weil auch der „Führer“ nichts gewusst habe.

Besonders berüchtigt sind inzwischen die Entlastungslügen von Albert Speer nach dem Krieg.
Ja, heute wissen wir, dass Speer gelogen hat, als er Hitler zum Mephisto stilisierte und sich selber zu einem unpolitischen Menschen machte, der diesem Teufel machtlos ins Verderben gefolgt sei.

Wäre Speer gehängt worden, wenn man beim Tribunal in Nürnberg schon die ganze Wahrheit gekannt hätte?
Ja, unbedingt. Speer hat bei seinen Vernehmungen natürlich sehr geschickt agiert. Er hat von Anfang an kooperiert und vermeintlich alles erzählt. So berichtete er auch vom Obersalzberg, Hitler habe dort nie über Politik gesprochen. Speer hat auch immer behauptet, von Auschwitz nichts gewusst zu haben. Solche Märchen wurden tatsächlich bis in die 80er Jahre hinein noch geglaubt. Dabei hat Speer selbst für den Ausbau von Auschwitz gesorgt.

>>Buchvorstellung mit Heike B. Görtemaker am 19. Januar um 11 Uhr in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47.

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