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Empfing zum Interview auf der MS „Sunshine“. Die Krimi-Bestsellerautorin Donna Leon.

© Andreas Klaer

Interview mit Donna Leon: „Wir sind wahnsinnig“

Krimipäpstin und Potsdamer Writer in Residence Donna Leon über Potsdam, Trump, Umweltschutz und die Vorzüge der Schweiz.

Frau Leon, am Samstag haben Sie im ausverkauften Nikolaisaal gelesen. Ihr erster Besuch in Potsdam?

Nein, ich war schon hier, aber ich wurde noch nie auf einer Yacht herumgefahren. Bisher habe ich ein yachtloses Leben geführt.

Ihre Krimis spielen in Venedig. Potsdam tut auch alles dafür, immer italienischer zu werden. Haben Sie den Palazzo Barberini am Alten Markt gesehen, der durch private Gelder wiedererrichtet wurde?

Nein, den Palast habe ich nicht gesehen, aber generell finde ich Privatpersonen, die die Lücken füllen, die der Staat nicht füllen kann oder will, extrem lobenswert. Vor allem wenn es um die Künste geht, um das Schaffen oder den Erhalt von Schönheit. Jemand muss es tun, und wenn der Staat es nicht tut, dann sollten wir das tun. Das ist mir persönlich sehr wichtig.

Wir, das sind Leute, die die finanziellen Mittel haben?

Ja. Wir sind alle so überfrachtet mit dem Erfolg und dem, was uns gehört. Haltet es euch vom Leib! Gebt es weg! Nicht unbedingt den Schnorrern auf der Straße, sondern gebt weg, damit andere Menschen mehr Freude im Leben haben. Ob man sein Geld nun in Museen oder Tanzkompanien steckt – man gibt Schönheit weiter, und das ist eine gute Sache.

Ihr neues Buch, „Stille Wasser“, ist Commissario Brunettis 26. Fall. Hat er sich verändert?

Ja, seine Sichtweise ist etwas dunkler geworden. Das passiert Leuten, wenn sie älter werden.

Im Original ist der Titel „Earthly Remains“, was so viel heißt wie „sterbliche Überreste“.

Ja, der Titel ist besser, weil eine Doppeldeutigkeit darin steckt. Es bezeichnet auf ziemlich gerissene Art die Überreste eines Körpers, aber auch Reste, die auf der Erde bleiben. Mit Titeln wie diesen treibe ich meinen deutschen Verleger regelmäßig in den Wahnsinn. Im neuen Buch geht es um Bienen. Ursprünglich wollte ich, dass der Bösewicht ein amerikanischer oder italienischer Militär ist, dann hätte ich es „War and Bees“ nennen können. Aber ich habe dann die Armee im Plot nicht unterbekommen.

Das Buch ist Ruth Bader Ginsburg gewidmet, einer Richterin des Supreme Court und scharfen Donald-Trump-Kritikerin.

Ich bin seit Langem befreundet mit ihr, was mir eine große Ehre ist. Sie ist einer von wenigen Menschen zwischen mir und denen.

Denen?

Die neue Verwaltung da drüben. Ruth ist eine der wichtigsten Richterinnen des Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika und als solche stehen ihre Entscheidungen zwischen mir und dem, was die neue Verwaltung meinem Land antun will. Dafür hat sie meinen Respekt. Ruth ist eine außergewöhnliche Frau. Ein Beispiel für echte Prinzipien, Hingabe und Patriotismus. Wir sind beide Demokratinnen, teilen die gleiche politische Vision.

Gibt es eine konkrete Verbindung zwischen der Widmung und „Stille Wasser“?

Nein, nein. Seit Jahren wollte ich ihr etwas widmen, und jetzt ist es so weit.

Kein anderer Grund? Im Buch geht es um sterbende Bienen, um verschmutzte Lagunen, und die neue Regierung ...

...ist nicht sehr bienenfreundlich, ja. Aber es ist ein Zufall.

Kann man Ihr neues Buch als Ihren ersten Ökothriller bezeichnen?

Ja, es ist das erste Buch, das sich explizit mit der Umwelt auseinandersetzt. Denn das ist das einzige Thema, das mich wirklich interessiert. Politik, Migration, die Mafia, diese Themen betreffen mich nicht wirklich. Aber die Umweltverschmutzung ist für mich wirklich das Trojanische Pferd. Wir haben nichts dagegen getan, wir haben es hereingelassen. Wir sind wahnsinnig. Wir fördern Wachstum, Expansionen, wir holen den Kohlebergbau – nicht nur wir in den USA. Als seien wir in einem Irrenhaus. Aber ich sage das, weil ich eine Fanatikerin bin, was Umwelt-Dinge angeht. Vielleicht habe ich die falsche Presse gelesen, die linke Presse nämlich. Vielleicht ist das unsere letzte Hoffnung, dass die rechte doch recht hat. Ich glaube es nicht. Daher dieser Groll, diese Verwirrung in mir: Wie kann es sein, dass wir das Pferd vor unseren Toren nicht nur reinholen, sondern auch noch die schützenden Mauern einreißen? Schwierig für mich, denn ich bin in dieser belagerten Stadt, ich gehöre zu denen, die ihren Kopf verlieren werden.

Ist das Buch der Auftakt einer neuen Schaffensperiode?

Nein. Erzähle eine Geschichte, predige nicht – das ist mein Motto. Der Roman ist so nah am Predigen, wie ich nur sein kann. Es ist eine zarte Predigerstimme, weil der Bösewicht „die“ ist – ein amorphes Gegenüber. Wer ist der Bad Guy in diesem Roman? Wir wissen es nicht. Damit komme ich als Autorin nur einmal durch. Ich will nicht als „die Öko-Autorin“ gesehen werden. Mein Job ist es, Leute zu unterhalten. Und dabei vielleicht zu fragen: Habt ihr darüber mal nachgedacht? Mein Job ist es nicht zu sagen: Das oder das solltet ihr denken.

Umweltverschmutzung, Massentourismus, das sind Themen, die im Hintergrund ja schon lange da sind in Ihrem Schreiben. Davor zu warnen, ist das etwas, das Sie antreibt?

Nein. Nichts treibt mich an. Dinge interessieren oder sorgen mich. Ich muss im Kopf behalten, dass ich keine Predigerin bin. Das liegt nicht in meiner Natur. Leute wollen unterhalten werden, keine Messe hören. Sobald man den Zeigefinger hebt, so wie das Obama wiederholt tat und Trump es dauernd macht, irritiert die Menschen das. Ich will nicht irritieren, sondern unterhalten. Und vielleicht den einen oder anderen Gedanken anregen.

Sie sagen von sich, dass Sie uramerikanisch sind. Was heißt das eigentlich?

Es heißt unter anderem, demokratisch zu sein. Kein wirkliches Klassendenken zu haben. Ich habe in Ländern gelebt, wo dieses Denken vorherrschend war, und den Unterschied gesehen. Ein anderer Aspekt ist die Sprache. Ich bin linguistisch gesehen absolut im Englischen verwurzelt, liebe die Sprache und die Sprachspiele. Und das geht nur in meiner Muttersprache.

Sie leben inzwischen vor allem in der Schweiz. Ist Ihnen das von Touristen überschwemmte Venedig zu voll geworden?

Ja, es ist zu voll dort. Ich bin eigentlich eine Frohnatur, sehr ausgeglichen. In Venedig aber muss man sich schon, wenn man sich einfach ein Brot oder ein Stück Käse kaufen will, durch unglaubliche Menschenmengen arbeiten. Schrecklich. Also geht man nur frühmorgens oder spätabends raus. In der Schweiz habe ich einen Garten, was in Venedig unmöglich war.

Und es gibt weniger Menschen.

Ja, dafür sehr viele Kühe. Ich liebe Kühe.

>>Das Gespräch führte Lena Schneider 

ZUR PERSON: Donna Leon, 74, ist eine der erfolgreichsten Krimiautorinnen der Welt. Die in New Jersey geborene Schriftstellerin studierte in den USA, Siena und Perugia und unterrichtete in Italien Englisch und englische Literatur. Danach arbeitete sie unter anderem als Reisebegleiterin in Rom, als Werbetexterin in London, als Lehrerin in der Schweiz, im Iran, in China und in Saudi-Arabien. Von 1981 bis 1995 war sie an der Außenstelle der Universität Maryland auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Vicenza beschäftigt. Weltruhm erlangte Leon mit den Romanen um den Ermittler Guido Brunetti, die in ihrem früheren Wohnort Venedig spielen.

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