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Interview mit Dietmar Elger: „Das Gegenständliche im Abstrakten“

Kunsthistoriker Dietmar Elger über „Zwitterbilder“, Marktpreise und die Gerhard-Richter-Schau im Barberini

Herr Elger, Sie waren der Sekretär von Gerhard Richter. Wie haben Sie ihn bei der Arbeit erlebt?

Das war vor 35 Jahren. Gerhard Richters grundsätzliches Problem war aber schon damals, dass er viele Dinge zu erledigen hatte und oft Besucher empfing, sodass er viel weniger zum Malen kam, als er sich das gewünscht hätte. Das war schon damals die Bürde des Erfolgs.

Seine Werke sind die teuersten eines lebenden Künstlers. Was hat dazu geführt?

Ab 1985 setzte sich das Werk von Gerhard Richter auf dem internationalen Kunstmarkt durch. Schon bald waren seine Ausstellungen immer ausverkauft. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Die wichtigste ist sicherlich, dass die Bedeutung seines Werkes allgemein erkannt wurde, dass er in vielen wichtigen Ausstellungen vertreten war. Das sehen auch die Sammler.

Welche seiner Bilder erzielen besonders hohe Preise?

Abstrakte Bilder, die vor allem groß sind und eine attraktive Farbigkeit aufweisen. Graue Bilder sind beispielsweise sehr viel günstiger, oft aber kunsthistorisch wichtiger. Vor einigen Jahren waren die Kerzenbilder noch am teuersten. Aber diese Motive kommen jetzt nicht mehr auf den Markt.

Wenn man weiß, was geht, könnte man schnell zu einem gefälligen Maler werden?

Das wäre tödlich und Richter gelingt es auch, das zu vermeiden.

Was malt Gerhard Richter, der gerade 86 Jahre alt geworden ist, zurzeit?

Im Moment arbeitet er an einer Gruppe von abstrakten Bildern, die sehr komplex und vielfarbig sind.

Und die auch in der Potsdamer Ausstellung zu sehen sind?

Die Auswahl lag mit in seiner Hand und es werden Bilder zu sehen sein, die zum Teil noch nie gezeigt worden sind, frühe Werke und ganz aktuelle von 2017. Wir haben ihm unsere Vorschläge für die Hängung präsentiert und er hat sie noch mal sehr verändert.

Als Richter 1961 aus Dresden in den Westen floh, ließ er seine Kunstwerke zurück, teilweise hat er sie verbrannt. Sind aus dieser frühen Schaffenszeit auch Werke zu sehen?

Ja, wir zeigen seinen „Elbe“-Zyklus: 31 abstrakte Blätter zu einem sehr gegenständlichen Thema. Diese Arbeiten hatte er vor seiner Flucht bei einem Freund zurückgelassen. Entstanden sind sie bei einem Druckkursus, an dem er 1957 teilgenommen hatte. Damals spielte Abstraktion kaum eine Rolle für ihn, bis auf diese Ausnahme. Sie wurden öffentlich nie gezeigt. Das ist ein sehr früher Vorläufer für seine spätere intensive Auseinandersetzung mit der Abstraktion.

Woher bekam er seine Anregungen in der auf sozialistischen Realismus getrimmten DDR?

Richter konnte damals mehrfach in den Westen reisen, so auch 1959 zur 2. documenta in Kassel. Er hat sich schon immer mit Abstraktion auseinandergesetzt, aber auch erkannt, dass er sie offiziell in Dresden nicht zeigen konnte. Deshalb blieb diese Arbeit im Verborgenen.

Spielt die DDR-Zeit darüber hinaus in der Ausstellung eine Rolle?

Nein, es geht in unserem jetzigen Symposium und dann auch in der Ausstellung um das Thema Abstraktion. Wir legen unseren Fokus auf den Zeitraum von 1964 bis heute.

Seine erste Ausstellung im Westen hatte Richter bereits ein Jahr nach seiner Flucht: 1962 in Fulda. Viele Werke daraus zerstörte er danach. Warum?

An einen Freund in Dresden schrieb er später: ,Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich damals mit diesen Bildern Erfolg gehabt hätte.’ Er hatte viele Objektbilder in der Ausstellung: Kleidungsstücke, die er in Gips einlegte, aushärten ließ und schwarz übermalte. Offensichtlich war er damit nicht zufrieden. Danach begann er mit seiner Fotomalerei. Aber schon ab 1964 erfolgten die erste Versuche, wieder frei zu arbeiten, ohne fotografische Vorlagen: Bilder, die man gegenständlich wie abstrakt lesen kann. Vorhänge-, Gitter- und Schattenmotive. Mit diesen Bildern setzt unsere Ausstellung im Museum Barberini ein.

Es gab parallel zu seinen abstrakten Werken immer auch gegenständliche Bilder?

Ja, das ist auch Thema meines Vortrages auf dem Symposium: wie sich beide Stilarten bedingen und Bezug aufeinander nehmen. Es gibt gegenständliche Bilder, die viel Abstraktes haben und umgekehrt. Dieser Aspekt im Werk Richters wurde bisher noch kaum beachtet.

Es gibt auch Auseinandersetzungen mit der deutschen Geschichte, wie in seinen Birkenau-Bildern. Ist Richter ein politischer Maler?

Das würde ihn zu sehr reduzieren. Er ist auch dies, aber nicht nur. Er hatte 2008 das Buch ,Bilder trotz allem' von Georges Didi-Hubermann gelesen, das zum Auslöser für seine Birkenau-Bilder wurde. Im August 1944 gelang es einer Gruppe von Häftlingen heimlich vier Fotos vom Vernichtungsprozess in Auschwitz-Birkenau aufzunehmen und sie aus dem Lager rauszuschmuggeln. Die Häftlinge gehörten zu einer Spezialeinheit, die die Verbrennung der zuvor in den Gaskammern ermordeten Juden auszuführen hatte.

Erst 2004 erfuhr Richter, dass seine Tante Marianne Opfer der Euthanasie wurde: durch NS-Ärzte ermordet. Richters erster Schwiegervater war Verantwortlicher für die Zwangssterilisationen in Dresden und gehörte zu den Tätern. Beide, Opfer und Täter, hatte er mehrfach porträtiert.

Er hat sie gemalt wie auch andere Familienmitglieder, wie seinen Onkel Rudi als Soldat. Es waren Motive aus seinem privaten Fotoalbum, die ihn beschäftigten. Dass sich dann alles so verdichtet und so eng zusammenhängt, hat er nicht gewusst. Es wäre aber spekulativ zu sagen, dass diese familiären Verstrickungen mit zu seinen Birkenau-Bildern führten.

Sie arbeiten seit 2002 an einem Werkverzeichnis Gerhard Richters. Wie weit sind Sie inzwischen gekommen?

Vier von sechs Bänden sind erschienen, zwei stehen noch aus. Der nächste erscheint 2019 und umfasst die Werke von 1994 bis 2007.

Wie viele Werke umfasst grob geschätzt Richters Oeuvre?

Ungefähr 3 500 Bilder. Es kommt aber auch darauf an, wie man zählt. Dazu kommen dann noch die Arbeiten auf Papier und natürlich das grafische Werk.

Das Interview führte Heidi Jäger

Zur Person: Dietmar Elger wurde 1958 in Hannover geboren. Der Kunsthistoriker leitet das Gerhard Richter Archiv und ist Kurator für die Kunst nach 1945 in der Galerie Neue Meister Dresden.

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