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Ihren Film „Lasset die Kindlein“ drehte Evelyn Schmidt als Meisterschülerin Konrad Wolfs 1976 an der HFF.

© Ottmar Winter

Interview mit Defa-Regisseurin Evelyn Schmidt: „Ich war nicht die Fahnenträgerin“

Regisseurin Evelyn Schmidt zu ihrem 70. Geburtstag über die Frauenpolitik der alten Defa-Männer und kaschierte Verbote. Am Freitag ist sie im Potsdamer Filmmuseum zu Gast. 

Frau Schmidt, Sie gehören zu den wenigen Frauen, die im Defa-Studio Babelsberg Spielfilme drehen durften. Und das trotz der damals vielgepriesenen Gleichberechtigung. Warum?
 

Im Studium an der Filmhochschule Babelsberg waren wir noch genauso viele Frauen wie Männer, die Regie studierten. Christa Mühl, Karola Hattop und ich sind letztlich aus diesem Jahrgang von den Frauen übriggeblieben. Das war die normale Entwicklung. Viele sind wieder weg vom Film. Damals war die Ausbildung hauptsächlich aufs Fernsehen gerichtet. Die Abteilung Schauspiel wurde an der HFF gerade abgeschafft, weil das Fernsehen der DDR ein zweites Programm aufbaute und dazu viele flexible Mitarbeiter brauchte. Ich studierte von 1969 bis 1973 an der Schule.

Was war am zweiten Programm anders als am ersten?

Gar nichts. Aber im Westen gab es schon zwei Programme und da wollte man nachziehen. Wir waren also Kaderschmiede fürs Fernsehen. Ich hatte bereits mein Volontariat dort gemacht und sollte auch wieder zurück.

Wären Sie lieber zur Defa gegangen?

Dafür musste man in Prag oder Moskau studiert haben. Von der Filmhochschule Babelsberg sind selten Absolventen in die Studios für Spielfilme gewechselt. Ich wollte zum Fernsehen zurück, doch dann kam das Angebot für eine Meisterschülerausbildung bei Konrad Wolf. Man hatte festgestellt, wenn im eigenen Land ausgebildet wird, müsste man doch auch mit den Absolventen der eigenen Schule arbeiten können. Und dann wurde das Meisterschülerprinzip erfunden. Ich war die erste und einzige Schülerin von Konrad Wolf. Und als diese Zeit nach drei Jahren endete, wollte mich das Fernsehen nicht mehr, weil ich überqualifiziert war.

Elsa Grube-Deister (Foto) und Herwart Grosse spielen darin Eltern, die nur schwer akzeptieren können, dass ihr Sohn (Jörg Panknin) eine Frau heiratet, die bereits mehrere Kinder hat.
Elsa Grube-Deister (Foto) und Herwart Grosse spielen darin Eltern, die nur schwer akzeptieren können, dass ihr Sohn (Jörg Panknin) eine Frau heiratet, die bereits mehrere Kinder hat.

© Defa-Stiftung

Wurden Sie arbeitslos?

Es bestand die Gefahr, dass ich auf der Straße lande: als Meisterschülerin von Konrad Wolf! Und das in der aufgeheizten Stimmung der Biermann-Unterschriftenzeit. Um das zu verhindern, wurde die Meisterschülerzeit verlängert. Und dann kam ich zur Defa-Spielfilmproduktion, wo Hans Dieter Mäde gerade neuer Generaldirektor wurde. Und gleich eine Frau einstellte: Was für eine tolle Leistung! Ich war nunmehr neben Iris Gusner und Hannelore Unterberg die dritte im Bunde. Iris Gusner kam aus Moskau und Hannelore Unterberg drehte Kinderfilme. Da konnte sich eine Frau ja gut beweisen.

Wurden die Frauen belächelt?

Vielleicht schon. Aber damals habe ich das nicht so empfunden. Im Nachhinein denke ich mir: Klar, die Männer hatten ihre festen Verbindungen. Es gab zwar das Frauenförderprogramm. Aber beim Film gab es keine Gleichberechtigung. Die Gehälter der Frauen waren niedriger, die Leitungspositionen sowieso in Männerhand.

Wurmte Sie das nicht?

Für mich stand gar nicht so sehr die Frauenfrage, sondern die Generationenfrage. Im Studio gab es etwa 30 festangestellte Regisseure. Und nun kam eine neue Generation von Regisseuren: Die war Anfang 30 und wollte endlich loslegen. Doch bei 15 Filmen im Jahr war es schwierig, alle zu beschäftigen. So passierte es, dass Kollegen erst 40 werden mussten, um etwas machen zu können. Das war absurd.

Und was machten die Kollegen so lange?

Sie waren beim Fernsehen, einige gingen zum Dokfilm, andere assistierten. Es gab viele Assistenten. Ich war es auch oft und lange. Der Ausbildung wurde wenig Glauben geschenkt. Man musste erstmal zeigen, dass man als Assistent gut dienen kann und sich auch ideologisch bewähren.

Wie sah Ihr Start aus?

Mit meinem Film „Lasset die Kindlein“, den ich als Meisterschülerin produzieren konnte und der jetzt am kommenden Freitag im Filmmuseum zu sehen ist, hatte ich etwas Vorschuss. Zudem bot mir die Defa-Dramaturgin Erika Richter Stoffe wie „Seitensprung“ und „Das Fahrrad“ an, an deren textlicher Entwicklung ich mitwirkte. Der erste Film, „Seitensprung“, schaffte es ins Junge Forum bei der Berlinale. Aber mit „Das Fahrrad“ ging wieder alles kaputt und ich fiel nach dem Film „Auf dem Sprung“ in den Status des Assistenten zurück.

„Zu grau“. Susanne (Heidemarie Schneider) schlägt sich in „Das Fahrrad“ allein mit Kind durch.
„Zu grau“. Susanne (Heidemarie Schneider) schlägt sich in „Das Fahrrad“ allein mit Kind durch.

© Defa-Stiftung/ Dietram Kleist

Was ist mit dem „Fahrrad“ passiert?

Er stieß in der Hauptverwaltung Film auf heftige Entrüstung. Dennoch ging er weiter in den Progress Filmverleih: aber nur mit fünf Kopien und einer kleinen versteckten Premiere. Und dann kam die Presse, die in dem Fünf-Zeilen-Verriss von Horst Knietsch im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“, dem ND, gipfelte.

Eine bestellte Kritik?

Möglich. Knietsch war extrem in seiner ideologischen Haltung. Die Kritik zog sich aber beinahe durch die ganze Presse. Vielleicht hing es mit dem Vaterbrief zusammen.

Was heißt Vaterbrief?

Der Kameramann von „Das Fahrrad“, Roland Dressel, hatte zuvor mit Regisseur Rainer Simon „Jadup und Boel“ gedreht. Dann gab es im „ND“ einen Leserbrief aus Thüringen von einem Herrn Vater, der die Haltung der Künstler kritisierte, die alles nur mies machten und gebremst werden müssten. Es gibt die Legende, dass SED-Generalsekretär Erich Honecker diesen Brief selber geschrieben hat. Das Fahrrad folgte zwei Jahre später, als man schon merkte, dass ein Verbot nach außen hin auch nicht gut wirkt. Und so wurde er nicht verboten, aber kaum gezeigt.

Was wurde dem Film vorgeworfen?

Alles sei zu grau. Und die Frau ein bisschen asozial – und zu mager. So stand es im „ND“.

Zu mager?

Es passte nicht ins Frauenbild der Führungskader. Heidemarie Schneider hatte nicht den Busen, den sich die alten Herren erträumten. Und dann störte es, dass der Film zeigte, dass es auch im Sozialismus ein Oben und Unten gab. Mir wurde dann handwerkliche Unfähigkeit vorgeworfen.

Obwohl Sie vorher einen Preis erhalten haben für „Lasset die Kindlein“.

Der Silberne Lorbeer des Fernsehens, das war ein Preislein, wie die goldene Ehrennadel. Aber mit den „Kindlein“ konnte sich das Fernsehen schmücken, weil ein Buch von Wolfgang Kohlhaase unter Mentorenschaft von Konrad Wolf dahintersteckte. Den Goldenen Lorbeer wollten sie uns aber auch nicht geben, weil wir ja bloß Studenten waren. Das wäre zu hoch gesprungen gewesen.

Wie war die Zusammenarbeit mit Konrad Wolf?

Wir arbeiteten eher parallel. Aber er hat mir, was toll war, eine Zeit am Deutschen Theater ermöglicht. Da war ich Hospitantin bei Wolfgang Heinz und Friedo Solter.

Was den Bogen zu heute schlägt. Sie bilden jetzt Schauspieler aus.

Dem Schauspiel galt schon immer mein Interesse. Vor einem Jahr haben wir zu dritt die Schauspielschule Charlottenburg übernommen, wo ich seit 15 Jahren Dozentin bin.

Auch als Regisseurin schauten Sie genau auf Ihre Schauspieler und gaben Ihnen Futter. Umso schmerzlicher war sicher die Kritik am „Fahrrad“?

Na klar. Man versteht es nicht, zumal die Problematik, die wir aufgeworfen hatten, real existierte. Es gab eben alleinerziehende Frauen, die nicht über die Runden kamen.

Warum wählten Sie nicht „Das Fahrrad“ für Ihre jetzige Ehrung zum 70. Geburtstag im Filmmuseum aus?

Weil er als mein bester Film immer ausgewählt wird. Hier in Babelsberg ist auch so ein kleiner 50-minütiger Film wie „Lasset die Kindlein“, der auf die Filmhochschule verweist, sicher interessant. Die jungen Leute denken, so scheint mir, sie müssten das Rad neu erfinden. Es gibt eine Tradition und die heißt unter anderem Konrad Wolf.

Was lernten Sie von Konrad Wolf?

Haltung. Ich erinnere mich noch genau an das letzte Gespräch mit ihm: etwa vier Wochen, bevor er starb. Er konnte bei einer Vorführung von „Das Fahrrad“ nicht dabei sein, fragte mich aber kurz danach: „Wie war’s?“ Ich sagte: „sehr zwiespältig“. Und er entgegnete: „Ist doch toll.“ Er bestärkte uns in allem, was Konflikte auslöste.

Aber man musste diese Konflikte auch aushalten können.

Nach der „Fahrrad“-Blockade zweifelte ich sehr an mir selbst. Es gab zwar Leute im Studio, die den Film verteidigten. Aber auch Gegner. Nachdem ich wieder im Assistentenstatus gelandet war, sprachen mich einige Kollegen auch wieder anders an. Das war wahrlich nicht schön. Dennoch hatte ich noch immer über Erika Richter Bücher zu laufen, die in den Plan sollten. Und so drehte ich 1984 „Auf dem Sprung“. Das Dumme war, dass er nicht richtig gut wurde, weil ich alles gut machen wollte nach dem Desaster mit „Das Fahrrad“. 1987 konnte ich aber noch einen Kinderfilm drehen: „Felix und der Wolf“.

Gab er Ihnen wieder Auftrieb?

Ja, er ist gut geworden und wurde auch in Gera beim Kinderfilmfestival vom Kulturminister ausgezeichnet. Aber danach wurde mir von Mäde erneut Unfähigkeit nachgesagt. Er wollte mich nicht und behandelte mich so, wie er keinen Mann behandelt hätte. Das war schon übel.

In welcher Form?

Es gab die Aktennotiz: „Sie hat ein Kind.“ Dabei unterstützte mich mein Mann, der damals freiberuflicher Grafiker war, immer bei der Betreuung. Aber ich war nicht der Fahnenträger, den sich Mäde wünschte.

Wie war es für Sie, als die Defa abgewickelt wurde?

Als es langsam mit der DDR zu Ende ging, setzte sich der Künstlerische Rat der Defa noch sehr für mich ein, allen voran Roland Gräf. Und so war es mir möglich, über die Wendezeit „Der Hut“ zu drehen. Das war schon die Zeit, als die Technischen Gewerke der Defa die Regisseure und Leiter als Ideologieträger verstießen. Ich war noch da, weil ich diesen Film drehte, und wurde erst ein Jahr später entlassen. „Der Hut“ mit Rita Feldmeier in der Hauptrolle ist durch alle Stühle gefallen, obwohl er diese besondere Übergangszeit gut einfängt. Aber es ging ja keiner mehr in Defa-Filme. Besonders geschädigt bin ich durch die Zeit mit Volker Schlöndorff, als er sagte, dass für ihn in den Studios Babelsberg nur die Ufa-Zeit zähle. Es war eine so große Beleidigung. Ich glaube, er weiß gar nicht, was er damit anrichtete.

Worauf dürfen sich die Zuschauer am Freitag bei „Lasset die Kindlein“ besonders freuen?

Ich mag diesen Film mit seiner beruhigenden Ästhetik: Es fährt kein Auto, es gibt kaum Musik. Er wirkt etwas weltfremd und melancholisch und zeigt so tolle Schauspieler wie Elsa Grube-Deister und Herwart Grosse, der meistens Nazi-Offiziere spielen musste. Hier ist er der Vater, der nur schwer akzeptieren kann, dass sein Sohn eine Frau heiratet, die bereits mehrere Kinder hat. „Lasset die Kindlein“ ist auch ein Potsdam-Film mit der schönen Allee durch das Golmer Luch und mit Drewitz noch vor der Bebauung. Ich stehe zu meinem Erstling mit all seinen Anfängerfehlern.

Hatten die Defa-Regisseurinnen eigentlich andere Themen als die Männer?

Nein, aber eine andere Wirklichkeitssicht, weniger verschönt, sozial härter. Und sie besetzten die Frauenrollen authentischer.

>>Evelyn Schmidt zum 70. Geburtstag: Freitag, 5. Juli, 19 Uhr, Filmmuseum, Breite Straße 1a/ Marstall

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