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Bettina Abarbanell.

© Andreas Klaer

Interview mit Bettina Abarbanell: „Es gibt immer eine Lösung“

Hinter jedem großen Autor steht jemand, der ihn für die Massen zugänglich macht: der Übersetzer. Bettina Abarbanell bringt den Deutschen seit Jahren Jonathan Franzen näher. Sie kennt die Tücken und die Schönheit seiner Sprache - und weiß, warum sich sein neuer Roman "Unschuld" leichter liest, als er ist.

Frau Abarbanell, Jonathan Franzens neuer Roman „Purity“ – also Reinheit – heißt auf Deutsch „Unschuld“. Warum?

Das entstand so im Gespräch zwischen uns allen – meinem Mitübersetzer Eike Schönfeld, dem Verlag und Franzen selbst. Es spielen beim Titel ja immer noch andere Aspekte als rein übersetzerische eine Rolle. Wir hatten zuerst überlegt, es auch „Purity“ zu nennen, weil es ja eben nicht nur Reinheit bedeutet, sondern auch auf die Hauptfigur anspielt, die so heißt. Aber der Roman, das war klar, wird von so vielen Menschen gekauft werden, dass darunter bestimmt einige sind, die sich scheuen, das im Laden – womöglich falsch – auszusprechen. Also überlegten wir, ihn ganz direkt mit Reinheit zu übersetzen – was aber eben nicht funktioniert, weil „Purity“ ein bisschen etwas anderes meint. Bei Reinheit denke ich auch an reine Wäsche, Ariel, porentief rein. Das ist nun wirklich nicht gemeint.

Also haben Sie sich von der Originalbedeutung gelöst.

Ja. Wir haben überlegt – worum geht es eigentlich in diesem Buch? Und da ist Schuld ein ganz zentrales Thema. Wie, warum und auf welche Weise laden Menschen Schuld auf sich, sowohl im Privaten als auch auf gesellschaftlicher Ebene? Purity, die Hauptfigur, ist die einzige, die ein wenig die Unschuld vom Lande ist. Deshalb fanden wir den Titel eigentlich ziemlich genial. Aber viele haben sich darüber aufgeregt, waren der Ansicht, Reinheit wäre der passende Begriff. Jonathan Franzen selbst hat bei der Lesung am vergangenen Samstag allerdings auch gesagt: ’Ich verstehe, dass Reinheit im Deutschen ein schwieriger Begriff ist’.

Jonathan Franzen spricht selbst ziemlich gut Deutsch – wie sehr mischt er sich in Ihre Übersetzungen ein?

Solange man ihn nicht fragt, hält er sich komplett raus. Monatelang haben mein Co-Übersetzer Eike Schönfeld und ich also erst einmal übersetzt – da hatten wir eher damit zu tun, dass Franzen mit dem Schreiben noch nicht ganz fertig war und sein amerikanischer Verlag ihm auch immer noch Änderungsvorschläge geschickt hat – und wir somit auch immer wieder Seiten mit Korrekturen bekamen. Dann aber kommt immer irgendwann der Moment, an dem wir Fragen haben. Bei knapp 1000 Seiten gibt es einfach Stellen, an denen ich wissen will: Meint er das so – oder so?

Wie reagiert er dann?

Ich habe jetzt ja schon so viel mit ihm zusammengearbeitet – neben den beiden Romanen auch Artikel und Essaysammlungen übersetzt –, dass ich weiß, man kann ihn immer fragen. Wenn nicht gerade der Zeitunterschied dazwischenfunkt, kommt sofort eine tolle, kundige Antwort von ihm. Eben weil er Deutsch kann, versteht er auch sofort, was gemeint ist.

Er hat in Deutschland ja gerade auch selbst aus „Unschuld“ gelesen – quasi die Feuerprobe für Ihre Übersetzung?

Er hat sehr positiv reagiert, aber doch – und das kann natürlich kein anderer, nur er – an einigen Stellen gefragt: ’Ist das jetzt wirklich genau das richtige Wort oder gibt es nicht noch irgendetwas, das ein bisschen schmissiger, witziger ist?’ Da geht es aber nur noch um den Tonfall. Aber er ist schon wirklich sehr nett und kooperationsbereit.  

Es ist aber doch eher ungewöhnlich, dass der Autor die übersetzte Fassung so gut verstehen kann?

Total! Ich hatte das bei keinem anderen Autor bisher – was einem ja auch eine gewisse Freiheit beim Übersetzen lässt. Aber so hat es auch einen besonderen Reiz. In „Freiheit“, dem Vorgänger-Roman etwa, kam ganz oft das Wort „competitive“ vor, was ja bedeutet, in Konkurrenz mit jemandem zu sein. Es gibt im Deutschen aber kein Adjektiv dafür. Deshalb mussten wir uns immer wieder etwas anderes ausdenken, etwa ein Substantiv daraus machen, was aber wiederum den Satz verändert. Darüber haben wir mit ihm auch viele E-Mails ausgetauscht. Er fand das total interessant, hat viel darüber nachgedacht, ob das einen philosophischen Grund hat, dass es im Deutschen kein Adjektiv dafür gibt.

Es – wie es im alltäglichen Sprachgebrauch ja funktioniert – als Anglizismus stehen zu lassen, kam für Sie nicht infrage?

Das ist schon ein bisschen die Übersetzerehre, das nicht zu tun. Und meine Erfahrung ist auch: Es gibt immer eine Lösung, man muss nur länger nachdenken.

Gleichzeitig verleiht es dem Text ja einen besonderen Klang, wenn der Autor ein Wort wie „comeptitive“ immer wieder verwendet. Das geht dann ja verloren.

Das muss man eben versuchen, trotzdem hinzubekommen. Das Wort „purity“ kommt natürlich im neuen Roman auch ganz oft und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen vor. Weil wir es jetzt nicht im Titel hatten, wurde es tatsächlich zum Übersetzer-Problem. Wir haben uns oft gefragt: Müssten wir jetzt nicht eigentlich „unschuldig“ schreiben, damit es den Bezug zum Titel hat? Das passte dann aber natürlich sinngemäß nicht immer.

Wie haben Sie das aufgelöst?

Die ganze Idee von Unschuld und reiner Seele ist ja nicht nur von dem einen Wort abhängig. Das kann man als Leser schon nachvollziehen. Wir haben aber immer dieselben Wörter benutzt: Reinheit, Sauberkeit, Unschuld, nicht zuletzt, weil auch der Klang bestimmter Wörter einen Text charakterisiert.

Warum gab es diesmal eigentlich zwei Übersetzer?

Ideal ist es, wenn man alleine übersetzen kann. Die „Korrekturen“ habe ich noch alleine übersetzt. „Unschuld“ aber sollte – das war der Wunsch von Rowohlt – gleichzeitig mit dem Original erscheinen. Und alleine hätte man das in der kurzen Zeit – wir haben im November angefangen, im Juni waren wir fertig – nicht geschafft, ausgeschlossen. Das ist ja anspruchsvolle Literatur.

Warum dieser Druck?

Weil der Verlag – ob das so stimmt, kann ich nicht überprüfen – der Meinung ist, dass ihm sonst Leser verloren gehen. Weil die Franzen-Begeisterung so groß ist, dass soundso viele Tausend Leute es dann im Original lesen würden.

Wie haben Sie die Kapitel aufgeteilt?

Das war relativ einfach, weil Franzen hier ja die so genannte Figurenrede betreibt, er versetzt sich in die vier Hauptfiguren hinein, schreibt dann jeweils aus ihrer Perspektive, also haben wir gesagt: einer macht die beiden Männer, einer die beiden Frauen.

Welche der Figuren haben Sie also übersetzt?

Die Männer! Das war eine spontane Entscheidung, ich war aber ganz froh darüber, weil Tom und Andreas für mich die interessanteren Figuren sind.

Warum?

Weil sie in der Handlung beide teilweise in Deutschland angesiedelt sind. Und weil ich die Beziehung zwischen Tom und Annabelle – so schrecklich sie ist – literarisch unheimlich gut finde. Man leidet mit, wie sie sich da gegenseitig das Leben zur Hölle machen, aber nicht voneinander loskommen. Die Stellen, in denen es um Pip und Leyla geht, sind moderner. Sie spielen im Hier und Jetzt, haben etwas Zeitgeistigeres in der Sprache – und ich weiß, dass Eike Schönfeld das besonders gut kann, diesen Jugendslang übersetzen. Das hat er auch super gemacht.

Gab es Differenzen?

Nicht unbedingt, aber wir mussten uns über bestimmte Dinge natürlich vorher verständigen. Bei „Whistleblower“ war noch relativ klar, dass wir das nicht übersetzen, das wird ja einfach so verwendet. Bei „Leaks“ war das schon weniger klar, da haben wir diskutiert, ob wir das mit „undichte Stellen“ übersetzen oder nicht. Und dann ist es natürlich grundsätzlich so, dass jeder – nicht nur der Übersetzer, auch Sie – einen eigenen Wortschatz hat, bestimmte Wörter, die einem schnell auf der Zunge liegen, ein bestimmtes Empfinden für den Rhythmus von Sätzen. Aber wie erklärt man sowas dem anderen?

Trotzdem muss es sich ja nachher wie aus einem Guss lesen.

Ja, und wir haben uns auch sehr gut verstanden. Trotz mancher Unterschiede. Eike tendiert dazu, Franzens Sätze so, wie sie sind, nachzubilden. Während ich dazu neige, die Struktur aufzulösen, alle Wörter in die Luft zu schmeißen – und mit sehr viel mehr verbalen Konstruktionen wieder zusammenzusetzen. Und dann haben wir ja noch die sehr guten Rowohlt-Lektoren, die sich wirklich sehr reingekniet, sich viel Zeit genommen haben. Für die ist das ja auch ein wichtiger Titel. Da sollte schon alles sitzen.

Wo wir schon bei der Sprache sind: Franzens Sätze wirken diesmal – anders als noch bei „Korrekturen“ oder „Freiheit“ – ein bisschen leichter. Immer noch geschliffen und komplex, aber schneller.

Ich glaube, das ist auch im Original so. Wenn man aber als Übersetzer tiefer einsteigt, merkt man schon, dass die Sätze auch hier von großer Komplexität sind, und das ist eben der Reiz bei Franzen. Aber eventuell ist er noch versierter darin geworden, das leicht erscheinen zu lassen. Was vielleicht zu diesem Eindruck beiträgt, ist, dass er hier noch viel mehr schnelle Dialoge schreibt – das ist sein Ding, das kann er wahnsinnig gut – so zu schreiben, wie die Leute reden. Das ist oft sehr witzig, er hört offenbar sehr genau hin, wenn Menschen reden. Oder geredet haben. Die Dialoge im Deutschland der 1980er-Jahre sind schon anders als die zwischen Pip und ihrer Mutter.

Sehen Sie darüber hinaus noch eine Entwicklung bei Franzen, etwas, das sich über die Jahre bei ihm verändert hat?

Naja, „Unschuld“ hat sehr viel mehr Plot, mehr Handlung. Bei den „Korrekturen“ ging es ja eigentlich nur darum, dass die Mutter die Familie noch einmal zu Weihnachten beisammen haben will. Daran werden dann die Lebenszusammenhänge dieser fünf Menschen beleuchtet – aber das war ja keine stringente Handlung, sondern ein Bild dieser Familie. In „Freiheit“ war es ähnlich. Hier aber hat er sich – wie bei einem Krimi – eine komplexe Handlung mit verschiedenen Strängen ausgedacht, die er geschickt zusammenführt. Das macht diesen neuen Roman sicher für noch mehr Leute spannend.

Welches Franzen-Buch mögen Sie selbst am liebsten?

Mir gefallen die „Korrekturen“ am allerbesten. Danach kommt „Unschuld“. Das Besondere an Franzen ist aber, dass er es trotz des Plots schafft, das hohe literarische Niveau zu halten. Viele andere Bestseller sind ja schon auch gut geschrieben – aber keine hohe Literatur. Und viele anspruchsvolle Autoren erreichen nur wenige Leser. Franzen schafft beides zugleich.

Wie kam es eigentlich, dass Sie zur Übersetzerin dieses wirklichen Mega-Stars der Literatur geworden sind?

Ich weiß! Ein großes Glück eigentlich. Das hängt ursprünglich damit zusammen, dass ich mit Alexander Fest zusammen studiert habe, bis vor kurzem Rowohlt-Verleger. Bevor der zu Rowohlt kam, hatte er einen eigenen kleinen Verlag. Und irgendwann bekam er über eine Agentin einen kleinen Ausschnitt aus den „Korrekturen“ zugespielt. Franzen war damals ja noch ziemlich unbekannt, das heißt, ein kleiner Verlag wie der von Alexander Fest hatte da noch eine Chance, den Zuschlag zu bekommen. Und er sagte zu mir: ’Ich glaube, ich habe etwas Sensationelles gefunden.’ Und weil ich schon für seinen Verlag übersetzt hatte, kam das eben so, dass er mich mit der Übersetzung betraute. Und noch während ich daran saß, wurde es im englischen Original zum Weltbestseller. Da wurde der Verlag hier natürlich auch nervös. Das musste gut werden.

Gibt es eigentlich – nach so langer Zeit mit Franzen – auch Dinge, die Sie sprachlich an ihm nerven?

Das kann ich nicht sagen. Er schreibt ausgesprochen bewusst, nichts unterläuft ihm einfach so, es gibt keine Marotten. Allerdings finde ich manches richtig schwierig. Der Teufel steckt bei seinen Sätzen im Detail. Er spielt gerne mit Sprache, in den „Korrekturen“ hat er viele Experimente gemacht. Da schrieb er etwa „Younighted States of America“. Daraus habe ich die „Verunreinigten Staaten“ gemacht – mit „Nacht“ konnte man nichts anfangen. Da habe ich stundenlang überlegt. Aber: Diesen psychologischen Realismus – so kann man das nennen, was er macht: in die Figuren reingehen, ergründen, warum sie so handeln, wie sie handeln, warum sie so viel Schuld auf sich laden – das finde ich sehr überzeugend.

ZUR PERSON:

Bettina Abarbanell wurde 1961 in Hamburg geboren, hat in Tübingen und den USA studiert und lange in Frankfurt am Main gearbeitet. Nach Potsdam kam sie 1997 mit ihrer Familie. Ihr Mann, Stephan Abarbanell ist Kulturchef beim RBB. Er hat soeben seinen ersten Roman„Morgenland“veröffentlicht.

Als freie Übersetzerin arbeitet sie nicht nur mit den Texten von Jonathan Franzen, sie hat auch Scott F. Fitzgerald, Denis Johnson, Rachel Kushner und Elizabeth Taylor ins Deutsche übertragen. 2014 wurde sie mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

>>An diesem Samstag um 18 Uhr liest die Schauspielerin Nina Kunzendorf in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstr. 46/47, aus „Unschuld“

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