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Sopranistin Annette Dasch

© Klaus Wedding promo

Interview mit Annette Dasch: „Die heimlichen Orgasmen in der Musik“

Am Freitag besingt Annette Dasch im Potsdamer Nikolaisaal das Glück. Vorher verrät die weltbekannte Sopranistin, was sie selbst glücklich macht und welche Rolle die Musik dabei spielt.

Von Helena Davenport

Frau Dasch, wann hatten Sie zuletzt Glück?
 

Heute Morgen. Ich wollte nämlich einen ICE Sprinter von Darmstadt nach Berlin nehmen. Doch als ich in Darmstadt am Bahnhof ankam – ich hatte da gestern ein Konzert – hieß es: „Der Zug hält hier nicht“. Der Zug hielt in Saarbrücken und als nächstes in Frankfurt – aus irgendwelchen Gründen. Typisch Deutsche Bahn! Dann habe ich nachgeguckt und sah, dass es noch eine Regionalbahn nach Frankfurt gab. Die hatte drei Minuten Verspätung, also habe ich sie noch erwischt und konnte meinen Sprinter in Frankfurt kriegen. Da hatte ich wirklich Glück!

Sie widmen dem Glück am Freitag im Potsdamer Nikolaisaal einen ganzen Abend, während draußen mehr oder weniger die Welt abbrennt. Warum?

Die Stücke, die wir spielen, stellen ja Fragen, die in diese Richtung gehen. Es ist kein Abend geplant, an dem wir die ganze Zeit nur von Happiness singen. Es geht nicht nur um das Glück, sondern auch um die Abwesenheit des Glücks beziehungsweise die Sehnsucht nach dem Glück. Das Glück hat schließlich viele Facetten.

Es kommt auch ein Stück aus Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ vor. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist unglaublich tragisch, auch düster. Warum haben Sie dieses Stück ausgewählt?

Weil es heißt „Glück, das mir verblieb“. Und ich finde, es ist mit das schönste Stück, das es gibt. Die Melodie ist sagenhaft gut komponiert und das haben wir gern zum Anlass genommen, das Stück für uns arrangieren zu lassen. Wir haben lauter für uns neue Stücke ausgewählt, die ja zunächst immer alle für uns arrangiert werden müssen. Dies muss man erst einmal in Auftrag geben – da überlegt man schon zweimal oder dreimal, welche Stücke man auswählt.

Wie kam es denn überhaupt zu der Idee, einen Abend zum Thema Glück zu gestalten?

Der Programmdirektor des Nikolaisaals, Michael Dühn, wollte gern, dass wir einen Abend speziell für den Nikolaisaal machen, und sein Schlagwort war: „bunter Abend“. Was heißt, dass er nicht wollte, dass wir beispielsweise Schumann, Mahler, Brahms aneinanderreihen. Obwohl er uns das freigestellt hat. Das Programm sollte aber auch ins zwanzigste Jahrhundert hineinreichen, außerdem seine unterhaltenden Anteile haben. Und ich brauche – wie ich nun einmal bin – dann immer ein Konzept, einen dramaturgischen Überbau, und habe mich gefragt: Was ist ein Thema, das in allen Epochen und allen unterschiedlichen Stilrichtungen beschäftigt? Dann kamen wir auf das Glück.

Zusammen mit dem Fauré Quartett aus Karlsruhe singt Annette Dasch Chansons und Operettenlieder.
Zusammen mit dem Fauré Quartett aus Karlsruhe singt Annette Dasch Chansons und Operettenlieder.

© promo/Tim Kloecker

Und welche Glücksformen besingen Sie?

Es geht los mit Liselott aus Künnekes Oper. Für sie ist es wie ein Mantra: „Glücklich am Morgen, glücklich am Abend, glücklich den ganzen Tag – das ist mein Wahlspruch.“ Am Anfang erleben wir also eine Frau, die sich das Glück selbst einhämmert, nach dem Motto: Ich soll glücklich sein. Dann kommen wir zur Barockmusik, die ganz anders ist. Fortuna war ja nicht immer nur eine positive Figur. Damals war es eher so, dass man Glück mit Hoffnung verband. Es folgt der absolute Liebesrausch bei Richard Strauss. Da sitzt das Glück in vielen Akkorden. Somit wird es dann, finde ich, auch immer gleich ziemlich erotisch. Man kommt schnell dahinter, wo in der Musik die heimlichen Orgasmen eingebaut sind. Im Zweiten Teil haben wir dann unter anderem einen unglaublich packenden Tango von Kurt Weill: „Youkali“. Das war sozusagen die heimliche Hymne der Résistance in Paris. Hier wird eine Utopie beschrieben, ein Land, in dem jeder frei ist, wo freundliche Menschen einander freundlich begegnen. Am Ende heißt es aber: „Mais c’est un rêve, une folie“ – Es gibt es nicht, das ist ein Traum.

Das zu akzeptieren, ist nicht leicht.

Es ist das Glück, wonach die Menschen sich sehnen, die in Not sind und die in repressiven Systemen leben. So kommt dann auch die Realität mit ins Programm. Vielleicht wird einem dann auch bewusst, dass eben doch gar nicht alles so schlecht ist. Wir haben auch ein bisschen Glück, dass wir da leben, wo wir leben, und zu dieser Zeit. Jedenfalls geht es mir so. Gerade in der Oper müssen wir uns ja in viele Rollen hineinversetzen – ich bin eigentlich total glücklich, dass ich heute lebe. Natürlich ist es unsere Verpflichtung, diese Welt so zu gestalten, dass sie lebenswert für alle ist. Aber da leisten wir ja mit der Musik unseren Beitrag, würde ich sagen.

Inwiefern ist das Theater denn der Realität verpflichtet? Was ist Ihre Meinung?

Sie haben vorhin Korngold angesprochen. Seine Realität sah so aus: Er musste vor den Nazis fliehen. Und dieser Sound, den dieser Typ geschaffen hat, geht uns bis heute ab. Dieser Sound, den er dann im Grunde als Filmmusik in Hollywood verkauft hat. Manchmal frage ich mich: Wie würde hier die Musikwelt aussehen, wie würden große zeitgenössische Werke klingen, wenn die Nazis die Musik jüdischer Komponisten nicht als „entartet“ verboten hätten, wenn sie die Juden nicht aus Europa vertrieben hätten. Ich finde, dass die Realität in das hineinreicht, was wir machen. Es hilft den Menschen, sich über die Realität Gedanken zu machen. Vieles steht im Programmheft, vieles sagen wir an. Sich davon berühren zu lassen, anfassen zu lassen – ich glaube, das hat ganz viel mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun.

Sie mussten wahrscheinlich immer sehr diszipliniert sein, um so weit zu kommen. Hatten Sie einmal das Gefühl, dass der Job Ihrem Glück im Wege steht?

Ja, so herum und auch andersherum. Klar ist es so – manchmal möchte man einfach feiern gehen. Oder man möchte mit anderen Dingen seine Sommer verbringen, als mit Opernproduktionen in Salzburg und Bayreuth. Andererseits ist es auch so, dass man dafür bezahlt. Wenn man sich nämlich nicht an die Disziplin hält, ist man auch nicht glücklich mit seinem Beruf, weil man dann gehandicapt ist. Das ist eine gute Frage – die Antwort darauf zu finden, ist eine Lebensaufgabe für eine Sängerin.

Ich habe gelesen, dass Sie Dachdeckerin werden wollten. Wie sind Sie denn von da aus zur Musik gekommen?

Es war eher umgekehrt: In meiner Familie wurde immer viel Musik gemacht. Deswegen hatte ich ein Bedürfnis nach Handwerk. Ich fand die Idee toll, etwas zu lernen, was man dann irgendwann fertig gelernt hat, es dann ausübt. Ich hatte damals schon den Riecher, dass es mit der Kunst anders ist. Da lernt man immer weiter und ist immer wieder angreifbar und immer wieder muss man sich weiterentwickeln. Das gilt wahrscheinlich auch für die Handwerker. Aber als ich 16 Jahre alt war, habe ich gedacht: Ist doch toll, nach drei Jahren kann ich alles, was ich können muss. Dann kann ich auf die Walz gehen, hier hin und da hin – weil ich mein Rüstzeug ja immer dabeihabe. Und Häuser gibt es überall, Dächer müssen überall gedeckt werden. Damals fand ich das sehr attraktiv und jetzt ist es wieder so: Je älter ich werde, desto attraktiver finde ich das. Manchmal stelle ich mir das für meine Kinder vor – vielleicht ist ein handwerklicher Beruf etwas Tolles.

Das hat ja auch etwas mit Freiheit zu tun.

Ja, genau.

Was macht Sie denn heute glücklich?

Das kann ich sehr präzise sagen, es gibt drei Dinge. Mich macht meine Familie sehr glücklich: ein Tag, an dem wir einfach Zeit verbringen. Mich macht auch total glücklich, gute Musik zu machen, mit tollen Kollegen. Das ist wirklich ein unbeschreibliches Glück, wenn man das Gefühl hat, man versteht sich, man hört sich. Man arbeitet mit Leuten an diesen sensiblen und teilweise nicht benennbaren Dingen und es gibt ein Einverständnis. Das ist beflügelnd. Das dritte ist Geselligkeit – mit Freunden sitzen, sprechen und lachen. Letzteres habe ich ein bisschen zu selten in meinem Leben – zwischen den beiden anderen Sachen.

Hat sich Ihre Vorstellung von Glück verändert?

Als ich jünger war, hatte ich ganz stark mit Sehnsucht zu tun. Das war mein stärkster Motor und eigentlich haben sich die Dinge nie erfüllt. Meine Sehnsucht blieb. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt überhaupt erst lerne, ab und zu glücklich zu sein, das also bewusst wahrzunehmen: Da ist jetzt ein Moment, genauso wie er ist, einfach pures Glück. Von da aus will ich nicht noch woanders hin, ich versuche nicht, den Moment zu sehr festzuhalten. Vielleicht habe ich es früher auch nicht so wahrgenommen, es ist ja auch immer die Frage, wie man die Dinge anguckt.

Das Gespräch führte Helena Davenport

Annette Dasch und das Fauré Quartett, Konzert am Freitag, 20 Uhr, Nikolaisaal

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