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Matthias Brandt fungiert bei dem Festival als Writer in Residence.

© imago images/Mary Evans

Interview | Matthias Brandt: „Es gibt keine Fiktion“

Matthias Brandt ist Schauspieler, Autor und im Rahmen des Literaturfestivals Lit:Potsdam Writer in Residence in der Landeshaupstadt. Ein Gespräch über Schauspielen und Schreiben, den Reiz des Scheiterns - und Willy Brandt als Beispiel für die Generation der abwesenden Väter.

Herr Brandt, Sie kommen gewissermaßen als Stellvertreter Orhan Pamuks nach Potsdam. Wie gefällt Ihnen das? 

Ich habe mich darüber gefreut. Wenn ich eingeladen werde, pflege ich nicht nachzufragen warum. Natürlich ist es sehr bedauerlich, dass Orhan Pamuk nicht anreisen kann – aber ich habe mich über die Einladung nach Potsdam einfach gefreut. 

Die vom Festival Lit:Potsdam eingeladenen Writer in Residence sollen Potsdam kennenlernen. Sie sind Berliner. Ist Ihnen die Stadt da schon vertraut – oder liegt sie schon wieder zu nahe, um sie zu besuchen? 

Ich lebe in Kleinmachnow und bin daher noch näher dran. Ich bin zwar kein Alteingesessener, aber wenn die sagen: Ich fahre in die Stadt, dann meinen sie Potsdam. Insofern ist mir die Stadt nahe und in gewisser Weise auch sehr vertraut.

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Können Sie was anfangen mit der Preußenmetropole? 

Sehr viel sogar! Ich bin zwar gebürtiger Berliner, bin aber in einer wesentlich kleineren Stadt aufgewachsen, nämlich in Bonn. Und ich glaube, das ist eine Größe und Struktur, die der Potsdams ziemlich ähnlich ist. Wahrscheinlich fühle ich mich in so einer Struktur ganz wohl. Ich bin gerne da.

Das klingt, als wäre Potsdam fast eine Art zuhause – ein potenzielles zumindest.  

Ja, aber ich habe ein sehr schwach ausgeprägtes Heimatempfinden. Jedenfalls, was Orte betrifft. Das hat vielleicht auch mit meiner Theatervergangenheit zu tun. Die meisten Schauspieler wechseln ja sehr oft die Orte und müssen sich dann woanders wieder zurechtfinden. Ich bin gar nicht so sehr nach der Suche nach einem Zuhause, was Orte angeht.

In Potsdam lesen Sie zum einen aus Anna Seghers Roman „Transit“, an dessen Verfilmung Sie selbst beteiligt waren. Zum anderen aus Ihrem eigenen Roman „Blackbird“. Hatten Sie zu Anna Seghers als Autorin eine Nähe, bevor Sie den Film mit Christian Petzold gemacht haben? 

Den Roman kannte ich schon. Wir werden an dem Abend, den ich erfreulicherweise mit Christian Petzold zusammen machen kann, nicht nur über den Roman reden, sondern vor allen Dingen über Roman und Drehbuch. Wir setzen Passagen nebeneinander und ich werde mich mit ihm darüber unterhalten, wie es eigentlich zu so einer Adaption kommt und was das eigentlich ist. Worauf Ihre Frage vielleicht abzielt: Anna Seghers Roman ist ja in der DDR und in der Bundesrepublik sehr unterschiedlich rezipiert worden. In der BRD war er lange Zeit praktisch unbekannt – und es dauerte, bis er sich als eines der ganz wesentlichen Stücke der Exilliteratur durchsetzte. Das ist spannend, finde ich. Auch deshalb fand ich den Text gerade in diesem Festival interessant. Weil im Publikum vielleicht auch Menschen sitzen, die diese zwei unterschiedlichen Wahrnehmungen erlebt haben.

Ich bin gar nicht so sehr nach der Suche nach einem Zuhause, was Orte angeht.

Matthias Brandt

Was sind Sie selbst für ein Leser? Was wählen Sie, wenn Sie nicht projektgebunden lesen müssen? 

Das kann ich eigentlich kaum beantworten. Man hat natürlich bestimmtes Favourites – bei mir ist das die angelsächsische und amerikanische Literatur. Was nicht heißt, dass ich das ausschließlich lese. Ich habe ja den großen Luxus gehabt, dass ich, weil ich nicht studiert habe, immer das lesen konnte, was ich wollte. Ich musste nie irgendwas abarbeiten oder mir einen Kanon einverleiben. Dafür bin ich dankbar, dass ich als Unstudierter lesen darf.

Unstudiert, aber sehr belesen. Das glaubt man jedenfalls, aus den autobiografischen Erzählungen über den jungen Matthias Brandt zu lernen: dass Sie immer eine große Nähe zu Literatur und Sprache hatten. Stimmt das? 

Das Lesen war für mich immer wichtig und existenziell. Eine Art der Versenkung, die damit verbunden ist, die mir immer irrsinnig viel bedeutet hat, die nicht vergleichbar ist mit irgendetwas anderem. Es ist eine Form des Bei-Sich-Seins, die ich nicht habe, wenn ich mir einen Film oder ein Theaterstück ansehe. Manchmal vielleicht noch, wenn ich mir Musik anhöre. Lesen ist für mich immer wichtig gewesen, um meine inneren Verhältnisse in Ordnung zu bringen. Und in Ordnung zu halten.

Das Lesen war für mich immer wichtig und existenziell.

Matthias Brandt

In einer Erzählung in „Raumpatrouille“ versteckt sich der Junge, der Sie mal waren, beim Auftritt mit der Schulklasse vor dem alten Heinrich Lübke in der hintersten Reihe. Um nicht aufzufallen, „weil ich das mehr scheute als irgend etwas sonst“. War der Schauspielberuf, den Sie später ergriffen, eine Flucht nach vorn? 

Ich glaube nicht, dass es da einen klaren Zusammenhang gibt. Meine Erfahrung ist ja, dass sich das Leben sehr stark über seine Widersprüche entwickelt. Oder weil die vielversprechendsten Dinge, die man macht, daraus entstehen, dass man etwas trotzdem macht. Weil einem etwas eben nicht nahe liegt oder leicht fällt. Die Vorstellung, dass ein Schauspieler im Privaten eine extrovertierte Persönlichkeit sein sollte, stimmt ja bekanntlich nicht. Ich kenne viele Schauspieler, die im Privaten nicht gern im Mittelpunkt stehen oder lieber gar nicht gesehen werden.

Sie haben eine starke eigene Stimme als Autor. Wie war das für Sie als Schauspieler, so lange nur fremde Texte zu sprechen, bevor 2016 Ihr literarisches Debüt erschien?

Für mich stellt sich das ein bisschen anders dar und fühlt sich auch anders an. Mein erlernter Beruf ist Schauspieler. Und auch wenn ich einen Text schreibe, sind bei mir die künstlerischen Kriterien ganz wesentlich geprägt durch die schauspielerische Arbeit. Insofern habe ich beim Schreiben das Gefühl, dass sich das gar nicht so sehr von dem unterscheidet, was ich sonst mache. Es ist nur ein anderes Medium. Aber ich lege die gleichen Maßstäbe an. Und es sind die gleichen Interessen, die mich leiten.

Was heißt das genau? 

Das, was ich schreibe, funktioniert ja ganz stark darüber, sich in die Figuren zu begeben. Und weniger darüber, ein großes Panorama aufzumachen. Insofern ist das Schreiben und Spielen nichts, was nebeneinander stünde – geschweige denn in Konkurrenz zueinander. Das eine ergibt sich aus dem anderen. Die Schauspielerei ist aber immer der Ausgangspunkt, das Zentrum von dem was ich mache.

Das, was ich schreibe, funktioniert ja ganz stark darüber, sich in die Figuren zu begeben. Und weniger darüber, ein großes Panorama aufzumachen.

Matthias Brandt

Das Schreiben ist also kein sanfter Übergang ins Autorendasein? 

Absolut. Das so zu formulieren wäre mir eher unheimlich. Dafür mache ich das andere, das Schauspielen, auch zu gerne. Ich habe ja auch gar keinen Grund, mich entscheiden zu müssen.

Beim Spielen und beim Schreiben treibt Sie das gleiche Interesse an, sagen Sie. Interesse wofür? Dafür wie der Mensch tickt? 

Interesse, wie er tickt – und für Widersprüche. Auch in der schauspielerischen Arbeit habe ich immer ein großes Interesse für Dinge, die nicht funktionieren. Weil ich glaube, dass das Leben  im Wesentlichen aus Geschehnissen besteht, bei denen etwas nicht funktioniert. Mehr jedenfalls als andersherum. Das ist nichts Schlimmes, finde ich. Dazu gilt es eine Haltung zu entwickeln. Was mir entgegenkommt: Dieses Nicht-Funktionieren hat immer ein sehr großes komisches Potenzial. Und ich mag da gerne hinschauen. Ich habe Leute und Figuren gerne, bei denen Sachen nicht klappen.

Wie der Teenager Motte, der Protagonist in Ihrem Roman „Blackbird“.  

Ja! Figuren, die immer alles hinkriegen, würden mich gar nicht dazu reizen, mich mit ihnen dauerhaft zu beschäftigen. Gustav Gans ist ja auch die langweiligere Figur als Donald Duck.

„Blackbird“ erzählt verschiedene Facetten des Scheiterns, wenn man so will. Einmal die peinlichen, urkomischen Dinge, die Motte in der Annäherung an seine Angebetete Jaqueline passieren. Zum anderen geht es um das absolute Scheitern schlechthin, den Tod von Mottes Freund Bogi. Was war der Impuls für den Roman? 

Sowohl in „Raumpatrouille“ wie auch in „Blackbird“ beschäftige ich mich mit Lebensphasen, die von meiner jetzigen ziemlich weit weg sind. Warum interessiert mich das eigentlich? Ich glaube, auch das hat nicht zuletzt  mit meinem Schauspielerberuf zu tun. Kindheit und Jugend sind Lebensphasen, in denen Sie gewissermaßen emotionale Grunderfahrungen in ihrer Reinform machen. Es ist immer wahnsinnig interessant jemandem zuzusehen, dem etwas zum ersten Mal passiert. Und bei Kindern ist ja so toll, dass sie das, was sie empfinden, immer total empfinden. Bis zu dem Moment, wo etwas anderes interessanter ist. Was das totale Gegenteil sein kann. Das ist etwas, wonach man als Schauspieler auch sucht. Als Schauspieler eine Gleichzeitigkeit von Emotionen zu behaupten funktioniert nicht. Man kann nur versuchen, eine möglichst schnelle Abfolge gegenteiliger Aggregatzustände herzustellen. Dafür sind Kinder ein ideales Studienobjekt. Die Anbindung an die Kindheit ist für Schauspieler sehr wichtig, weil dort sehr viel Spielmaterial zu finden ist.

„Blackbird“ aber ist ein Jugendroman. Er beschreibt die Zeit danach. 

Das Erwachsenwerden besteht ja darin, dass Empfindungen immer mehr ineinander fließen und gleichzeitig stattfinden. Und dann gibt es die Phase zwischen dem Zustand der reinen Emotionen und dem Erwachsensein. Wo man große Schwierigkeiten hat, mit dieser Gleichzeitigkeit, der Widersprüchlichkeit  zurechtzukommen. Das schien mir erzählerisch reizvoll.

Gab es für die Figur des todkranken Bogi in „Blackbird“ auch eine autobiografische Blaupause – oder ist der Roman, anders als „Raumpatrouille“, reine Fiktion? 

Ich glaube, es gibt gar keine reine Fiktion. Oder anders: Es gibt vielleicht überhaupt keine nicht-autobiografische Literatur. Der Autor hat ja nur sich. Worauf soll man sonst zurückgreifen als das eigene Innere? Wahrscheinlich ist sogar „Game of Thrones“ autobiografisch. Selbst wenn es eine Figur wie Bogi also nicht eins zu eins so gab, ist dem Autor aber offensichtlich etwas ähnliches schon einmal begegnet. Sonst könnte und wollte er davon nicht erzählen.

Ich glaube, es gibt gar keine reine Fiktion. Oder anders: Es gibt vielleicht überhaupt keine nicht-autobiografische Literatur.

Matthias Brandt

Beide Bücher haben eine Gemeinsamkeit: den abwesenden Vater. War Ihr eigener Vater Willy Brandt auch eher ein Gast zuhause? 

Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ich glaube, dass es ein Phänomen ist, das in meiner Generation sehr verbreitet war: die abwesenden Väter, die schweigenden Väter. Das mag in meinem Fall besonderes Interesse wecken, weil mein Vater ein sehr bekannter Mann war. Aber ich glaube, das ist eigentlich austauschbar. Die Biografien der Männer dieser Generation konnten sehr unterschiedlich sein, aber gemeinsam war ihnen ein sehr starkes Für-sich-Sein. Ein Nicht-gerne-Reden.

Und dann gab es die, die immer zuhause waren: die Mütter. 

Ja. Ich habe einen Freund, der in einem Reihenhaus aufgewachsen ist. Mutter, Vater, drei Söhne. Dann wurde der Vater irgendwann arbeitslos und man stellte fest, dass es für den Vater im Haus überhaupt keinen Raum gab. Es war nicht vorgesehen, dass er da den ganzen Tag irgendwo rumhängt. Er saß dann den Großteil des Tages tatsächlich im Auto vor dem Haus. Eine andere Form des abwesenden Vaters.

Ihre eigene Mutter war viel prägender für Sie als der Vater, haben Sie mal gesagt. Kommt von ihr der Humor, der sich so stark Bahn bricht im Schreiben? 

Mein Vater hatte durchaus auch Humor. Aber mit meiner Mutter habe ich viel mehr Zeit verbracht. Humor spielte bei uns zuhause immer eine Rolle. Es war eine wichtige Form der Kommunikation. Damit lässt sich ja durchaus auch einiges bewältigen. Ich glaube aber auch, dass mir der skandinavische Einfluss meiner Mutter sehr gut getan hat. Dass man grundsätzlich immer gewusst hat: Es gibt auch andere Arten zu denken und auf die Welt zu schauen. Das ist mir sehr früh vermittelt worden.

Sie haben Ihre Kindheit als glücklich beschrieben. Eine Kindheit, die von der Position des Vaters gar nicht so sehr berührt wurde. 

Die Kleinstadt Bonn war dafür ganz gut. Ich habe im Nachhinein das Gefühl, dass mein Aufwachsen ziemlich normal war. Ich konnte mich relativ frei bewegen.

Wie haben Ihre Eltern das geschafft, dass Sie sich als Kind normal fühlen konnten? 

Einerseits schaffen das die Eltern, glaube ich – andererseits schafft das ein Kind aber auch alleine, indem es bestimmte Dinge einfach ausblendet. Dass es sich sagt: Der Mann auf dem Plakat ist einer, der mit meinem sonstigen Leben gar nichts zu tun hat. Dafür haben Kinder eine große Begabung. Sie sind irre Pragmatiker, das finde ich bewundernswert. Sie gucken sich eine Situation an und haben ein starkes Talent dafür, sich diese so zurechtzubauen, dass es für sie am besten ist. Es ist unheimlich schade, dass man dieses Talent später weitgehend verliert. Ich habe das als Kind eben auch gemacht: Das, was an diesem Leben schön war, habe ich mir rausgenommen. Und das, was daran nicht so schön war, habe ich versucht so klein wie möglich zu halten. Es war aber auch eine andere Zeit, was Prominenz anging. Man wurde insgesamt mehr in Ruhe gelassen.

Sie haben ein Buch über Kindheit geschrieben, eines über Jugend. Die Frage liegt nahe: Wird das nächste Buch eins über das Erwachsensein? 

Das müsste wohl schon so sein. Wobei das keine Fortsetzung in chronologischem Sinne sein muss. Aber das eine habe ich jetzt ausführlich behandelt. Und jetzt muss ich gucken, was kommt.

Lit:Potsdam dauert bis 9.8. Matthias Brandt liest am 6.8. um 20 Uhr im Schirrhof aus dem Roman "Transit" und spricht mit Regisseur Christian Petzold über das Drehbuch zum Film. Am 8.8. um 20 Uhr liest er in der Schinkelhalle aus "Blackbird". Für beide Veranstaltungen gibt es nur noch wenige Restkarten an der Abendkasse.

Lena Schneider

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