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Julia Diebel, Kommunikationsleiterin der Filmuniversität Babelsberg, ist die Sprecherin des neuen Kulturrats Brandenburg.

© Ottmar Winter PNN

Interview | Julia Diebel vom Kulturrat Brandenburg: „Kultur muss gestärkt aus der Krise hervorgehen“

Der neu gegründete Kulturrat Brandenburg will Kultur im Lockdown stärken. Wie soll das gelingen? Sprecherin Julia Diebel über die Not einer Branche und die Vision des Kulturfördergesetzes.

Frau Diebel, der neu gegründete Kulturrat Brandenburg hat sich ein großes Projekt vorgenommen: ein Kulturfördergesetz für Brandenburg. Warum?

Es gibt zwei große Vorbilder für diese Initiative: das Kulturfördergesetz in NRW und das Kulturraumgesetz für Sachsen. Im Prinzip geht es bei den Kulturfördergesetzen darum, dass der Kulturauftrag, der recht kurz in der Landesverfassung formuliert ist, konkretisiert wird. 

Das heißt, wie Kulturförderung im Einzelnen aussieht, wird gesetzlich niedergelegt. In NRW ist das mit sehr viel mehr Transparenz verbunden: Es gibt einen Kulturförderbericht, in dem steht, wohin die Förderung fließt, wer was warum bekommt. 

Viele Kulturschaffende befürchten, dass Haushalte in Zeiten knapper Kassen zuerst bei den freiwilligen Abgaben gekürzt werden – also bei der Kultur. Ist das Kulturfördergesetz auch eine Initiative dagegen?

Ich würde nicht sagen: dagegen. Ich würde eher sagen, dass die Krise gezeigt hat, wo die Schwächen des bisherigen Systems liegen. Wir wissen alle, dass die Pandemie Maßnahmen erfordert und ich denke, dass gerade die Kulturszene in Brandenburg mit viel Verständnis reagiert hat. 

Das zeigte auch die Pressemitteilung, die das Kulturministerium gemeinsam mit Theatern und Konzerthäusern zum „Brandenburger Weg“ veröffentlicht hat und auch die Reaktion auf die Initiative von Manja Schüle zu den digitalen Kulturkonferenzen. Nichtsdestotrotz trifft die Pandemie viele sehr hart. Die soziale Absicherung von freischaffenden Künstlern fehlt einfach. Bei einem Kulturfördergesetz geht es zudem darum: Wie kann man aus der Krise lernen? Wie kann man Kultur künftig stärken? 

Nun kann ein Kulturrat kein Fördergesetz beschließen, das wäre Sache der Politik. 

Politik sollte idealerweise das umsetzen, was im Interesse der Gesellschaft liegt. Dafür muss die Gesellschaft aber auch erst einmal die Chance haben, ein Interesse für die Belange der Kulturschaffenden zu entwickeln. Darum geht es dem Kulturrat: Wir wollen dafür sorgen, dass durch die Debatte um ein Kulturfördergesetz ein breiter Diskurs entsteht. 

Und intern geht es jetzt darum, sich zu sammeln, zu klären: Wo klemmt der Schuh? Wo kann man Verwaltungshandeln optimieren? Welche Instrumente kann man schaffen, damit die Vergabe mit Fördermitteln transparenter wird? Oder konkreter: Wäre es eine gute Idee, eine Mindestfördersumme für Kultur zu etablieren? Das wäre ein Wunsch des Kulturrates. Auch Förderzeiträume werden von vielen als zu kurz beschrieben. 

Im September wurde die Gründung des Kulturrates öffentlich. Welche konkreten Schritte stehen als nächstes an?

Als erstes brauchen wir einen Auftritt: eine Facebook-Seite gibt es, eine Webseite entsteht gerade, die ganz pragmatischen Dinge. Und dann wollen wir unsere beiden ersten großen Projekte angehen. Kürzlich habe ich mit den Berliner Akteuren zusammengesessen, die das Kulturfördergesetz schon ein paar Jahre länger auf der Agenda haben. 

Anfang Februar treffen wir uns mit den Kulturräten anderer Länder. Das Vernetzen ist jetzt ein großes Thema, der Austausch von Erfahrungen und Ideen. Das zweite Anliegen ist: Wie kann man künftig dafür Sorge tragen, dass sich in Gebieten, wo bis dato wenig oder keine Kultur stattfindet, eine Kulturszene entsteht? Und das heißt nicht unbedingt, dass die großen Potsdamer Orchester hier spielen sollen, sondern dass wir die Menschen vor Ort unterstützen wollen, selbst kulturelles Schaffen aller Art zu etablieren.

Kulturministerin Manja Schüle hat für 2021 Förderung für den ländlichen Raum in Höhe von einer Million Euro angekündigt. 

Ja, da ist glücklicherweise schon Bewegung da. Der Kulturrat will sich auch nicht in Konkurrenz zum Land stellen - im Gegenteil. Es geht eher darum, durch die Erfahrung der Kulturschaffenden selbst zu unterstützen und zu beraten, um in eine gute Zusammenarbeit zu kommen.

Der Kulturrat Brandenburg geht auf die Initiative von Ulrike Liedtke zurück, SPD-Abgeordnete und Präsidentin des Brandenburger Landtags. Könnte das dem Kulturrat nicht schaden, in eine bestimmte politische Ecke gerückt zu werden?

Stimmt, der Kulturrat ist auf Initiative von Ulrike Liedtke hin entstanden, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Kulturrates ist. Sie hat zu einem ersten losen Netzwerktreffen in Brandenburg eingeladen. Ich selbst kam beim zweiten Treffen im Februar 2020 dazu. Der Kulturrat wurde also gegründet, bevor es die Krise gab. 

Ich für meinen Teil kann mit totaler Bestimmtheit sagen, dass ich weder einer Partei angehöre noch zugehörig fühle. Dafür würde ich auch nicht zur Verfügung stehen. Ich möchte nicht parteipolitisch agieren. Ulrike Liedtke vertritt den Landesmusikrat im Kulturrat, hat sich aus den Gründungsaktivitäten aber sofort zurückgezogen, nachdem sie das Projekt angestoßen hatte. 

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Sie sind zur Sprecherin des Kulturrats gewählt worden. Was treibt Sie selbst an?

Ich habe als Angestellte im öffentlichen Dienst zunächst die nötige Sicherheit, um sagen zu können: Ich kann was zurückgeben. Im Vergleich zu anderen Kulturschaffenden, von deren Wirken und Schaffen ich stark profitiere, bin ich in einer sehr günstigen Situation. Und ich habe ein großes Interesse daran, die Kultur hier im Land stark zu machen. 

Ich persönlich glaube auch, dass Kultur viel zu lange viel zu selbstverständlich war. Jeder hört gern Musik, schaut Filme. Aber niemand macht sich eine Vorstellung davon, wie aufwendig der Entstehungsprozess oder wie teuer zum Beispiel eine Filmproduktion ist. Diese Wahrnehmung zu ändern, ist die Chance der aktuellen Krise. Vielleicht ist gerade jetzt ein guter Zeitpunkt, um aktiv zu werden.

Wie viele Mitglieder hat der Kulturrat Brandenburg aktuell?

Wie viele Menschen das sind, ist schwer zu sagen, weil sowohl Einzelpersonen wie auch Verbände beteiligt sind. Es sind im Moment 30 Mitglieder. Das sind teils Institutionen, teils Einzelunterzeichner.

Sind auch die großen institutionellen Tanker mit dabei? Staatstheater Cottbus, Musikfestspiele, die großen Museen?

Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci sind dabei, der Brandenburgische Literaturrat, das Kunsthaus sans titre, die Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer (GEDOK). Das Staatstheater Cottbus und andere noch nicht, da muss man erst noch ein paar Gespräche führen. Dafür brauchen wir Zeit. Viele wissen noch nicht, dass es uns gibt. Und es gibt auch eine abwartende Haltung, nach dem Motto: Jetzt schauen wir erstmal, was die da machen. Das finde ich nachvollziehbar.

Viele Kulturschaffende sind Soloselbstständige, die noch immer sehr unzufrieden sind mit der Unterstützung, die sie bekommen – oder eben nicht. Auch auf Ihrer Agenda?

Ich glaube, das ist unglaublich wichtig. Es ist natürlich für uns als frischgegründeter Kulturrat schwierig, da jetzt konkret die Unterstützung zu liefern, die es bräuchte. Dazu gibt es uns einfach noch nicht lange genug. Aber die Soloselbstständigen sind genau die, für die man sich starkmachen muss. Wer in seinem Leben schon mal mit Förderinstrumenten zu tun hatte, weiß: Die sind oft sehr bürokratisch, das schreckt ab. Das ist ein Problem. 

Künftig wird man zudem intensiv darüber nachdenken müssen, wie eine soziale Absicherung von freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern aussehen kann. Ich habe da kein Patentrezept in der Hand, aber ich sage: Die Kultur muss gestärkt aus der Krise hervorgehen. Dazu gehört es, Instrumentarien dafür zu entwickeln, dass Kultur- und Kunstschaffende besser abgesichert werden.


Sie selbst arbeiten an der Filmuni Babelsberg. Inwiefern ist aus Ihrer Sicht die Filmbranche besonders getroffen?

Die Filmbranche ist ja unendlich differenziert. Es sind nicht nur die Produktionen, sondern auch die Kinos. Die schreibende Zunft ist involviert, die darstellende Kunst, die Szenografie, Bildende Kunst, Montage. Also: Der Filmbranche mit Blick auf Netflix geht es sicherlich gut. Aber jenseits dessen ist die Filmbranche so stark betroffen wie alle anderen Künste auch. 

Wie zeigt sich das genau?

Da sind die kleinen Produktionsfirmen, die im ersten Lockdown gar nicht drehen konnten. Auch unsere Studierenden leiden, weil Produktionen verschoben werden mussten. Jeder Dreh unter Corona-Bedingungen ist wahnsinnig viel kostenintensiver: Wenn nicht fünf Menschen in einem Auto sitzen können, muss ich fünf Autos mieten. 

Und wie drehe ich Kussszenen? Klassische Kinoauswertungen können nicht stattfinden – und damit werden Filme ja eigentlich ins Leben gehoben. Von vielen Kinos, vor allem Programmkinos, wissen wir nicht, ob sie die Krise überleben. Dazu kommen die Probleme derer, die im Hintergrund arbeiten: Bühnenbauer, Tonagenturen, Catering-Firmen und viele mehr.


Das große Studierenden-Festival Sehsüchte fand 2020 hybrid statt, das Jubiläum 2021 ist auch so angedacht.

50 Jahre Sehsüchte, was für ein Event! Dass das jetzt auch – hoffentlich nur in Teilen – ins Digitale verschoben wird, tut mir unendlich leid, vor allem für die so ungemein engagierten Studierenden. Natürlich kann man Filme auch online sehen, ein Festival so machen. Aber schön? Schön ist das nicht. Ich hoffe ganz stark, dass es wirklich zumindest hybrid stattfinden kann. 

Was beobachten Sie bei den Studierenden? Beginnen sie ihre Zukunft in einer Branche anzuzweifeln, die gerade so stark leidet?

Das habe ich zum Glück noch gar nicht gehört. Der Unterricht wird so gut es geht ins Digitale verlegt, das ist für alle nicht ideal. Filmproduktion lebt ja von Gemeinschaft. Ich glaube, ganz viele sind einfach nur genervt. Aber ich spüre bei den Studierenden eine ganz große Lust, ihre Filme fertig zu machen, sich mit den erforderlichen Restriktionen auseinanderzusetzen. Zu machen, was eben geht. 

Der riesengroße Protest ist bei mir noch nicht angekommen. Sehr gefreut hat mich vielmehr, dass ein Film, der im Lockdown entstanden ist, mehrfach ausgezeichnet wurde: Jannis Alexander Kiefers Zoom-Satire „Meeting“. Man sagt ja immer, aus jeder Krise entsteht etwas Gutes.


Dazu zählt KulturMachtPotsdam, wo Sie auch aktiv sind. Wie können die beiden Netzwerke sich gegenseitig beflügeln?

Ich finde die Zusammenarbeit und die Dynamik, die da entsteht, großartig. Es ist eine Gemeinschaft von Leuten entstanden, die sich vorher teilweise noch gar nicht kannten. Es gibt eine große Lust, etwas zu machen, in dieser Krisensituation aktiv zu werden.

KulturMachtPotsdam ist ja momentan sehr stark darauf ausgerichtet, am 13. März eine große künstlerische Aktion zu planen. Das ergänzt sich sehr schön mit dem, was der Kulturrat vorhat. Das eine ist das Praktische, wofür es die kurzen Wege und institutionelle Power braucht. So eine Power wie in Potsdam für das ganze Land zu entfalten, benötigt viel Zeit. Der Kulturrat kann es sich demgegenüber erlauben, etwas längerfristiger und auch kulturpolitischer zu denken.


Gemeinsam haben Sie in einem Offenen Brief an die Kanzlerin um Unterstützung für die Kultur im Lockdown geworben.

Darin zeigt sich, wie eng wir zusammenarbeiten. Es war eine Reaktion auf eine ähnliche Initiative in NRW, die sich Follower in allen Bundesländern wünschte. Wir haben sofort gesagt: Wir Brandenburger sehen das auch so. Das fasziniert mich persönlich an dieser Krise am meisten: Wie es zu Seilschaften und einer Solidarität kommt, die in gemeinsamer Aktivität mündet. Das habe ich so noch nie erlebt. Da, wo man früher eher versucht hat, das eigene Interesse zu verfolgen, fragt man sich heute: Wo sind wir ein Wir?

Nur: Wird diese Energie auch andauern, wenn die Pandemie vorbei ist?

Das wird die große Aufgabe sein. Ich glaube, dass der Kulturrat hier auch ein Medium sein kann, um eine solche Gemeinschaft aufrecht zu erhalten. Es werden vielleicht nicht alle dauerhaft dabeibleiben. Aber die Erfahrung, zusammen etwas machen zu können, das überdauert. Und wenn ich selbst etwas dazu beitragen kann, tue ich das gerne. 

Julia Diebel wurde 1970 in Frankfurt am Main geboren und absolvierte ein Studium der Politikwissenschaft, Romanistik und Slawistik in Mainz. Sie arbeitete unter anderem für den Suhrkamp Verlag und den Südwestrundfunk. Darüber hinaus war sie als freischaffende Literaturkritikerin, Texterin und Übersetzerin tätig, sowie im Bereich der Festivalorganisation. 2011 übernahm sie den Bereich von Kommunikation und Marketing an der Filmuniversität Babelsberg. 

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