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Bettina Jahnke, Intendantin des Hans Otto Theaters Potsdam.

© Andreas Klaer

Interview | HOT-Intendantin Bettina Jahnke: „Uns ist danach, ernster zu werden“

Drei Jahre Intendanz, aber nur anderthalb live: Wie geht Bettina Jahnke in ihre vierte Spielzeit am Hans Otto Theater? Am Freitag feiert „Das Imperium des Schönen“ Premiere.

Frau Jahnke, Sie sind jetzt drei Jahre in Potsdam, aber nur die Hälfte davon gab es Livebetrieb auf der Bühne. Schauspielerin Ulrike Beerbaum sagte, die fühle sich noch wie am Anfang. Geht Ihnen das auch so?
Absolut. Uns fehlen anderthalb Jahre. Das ist ein ganz seltsames Gefühl. Uns fehlt diese Zeit, in der wir uns begegnet wären, in der Arbeit und in den Proben. Wir sind im vierten Jahr, fühlen uns aber gar nicht so, als wären wir jetzt völlig angekommen – oder als wüssten wir, wie es geht. Es ist immer noch aufregend, erfrischend.

2018 sagten Sie: In der dritten Spielzeit weiß man dann, was für ein Theater eine Stadt braucht. Sie wissen das noch nicht?
Gar nicht. Corona hat uns komplett aus der Kurve gehoben. Nicht nur uns, sondern die ganze Gesellschaft, die ganze Stadt. Die Pandemie hat jeden Einzelnen verändert. Wir sind gerade dabei, wieder zu entdecken, wer wir sind – und ob wir überhaupt noch die sind, die wir vor der Krise waren. Ich persönlich bin auch noch beim Entdecken: Wie geht das Leben jetzt wieder? Ich habe schon während der Krise immer gesagt: Wir werden verändert aus ihr hervorgehen. Und jetzt ist man dabei wirklich zu begreifen, dass wir anders geworden sind. 

Inwiefern sind wir anders geworden?
Fragiler. Ich schaue mit einer größeren Demut auf das Leben. Eine ganz schmerzliche Erfahrung war der Umgang der Politik mit Kunst und Kultur. Viele Kulturschaffende haben sich zurecht sehr aufgeregt, dass wir vonseiten der Bundespolitik so vergessen wurden zu Beginn der Pandemie. Das hat mir gezeigt, wie fragil Kunst und Kultur sind. Dass wir ohne Publikum unseren Beruf nicht ausüben können. Man dreht sich so oft in der eigenen Blase, im eigenen Schaffen, und das Publikum kommt erst ganz am Ende. Aber wenn es am Ende nicht kommt, bleibt die Frage: Wofür machen wir das eigentlich?

Das Hans Otto Theater strahlt über den Tiefen See.
Das Hans Otto Theater strahlt über den Tiefen See.

© Andreas Klaer

Wie aber reagieren Sie als Intendantin programmatisch auf all das? Zu beobachten waren jüngst zwei Dinge: mehr Komödien – und, das Motto der aktuellen Spielzeit, die Wiederentdeckung der Sinnlichkeit.
Die Komödien waren wirklich Zufall. Das war keine Programmatik. Wir wollen und müssen jetzt wieder spielen, um wirtschaftlich wieder bessere Zahlen zu bringen – und natürlich, um wieder vorzukommen. Weil wir damit nicht bis zum September warten wollten, haben wir zwei fertige Premieren aus der vergangenen Spielzeit sofort im August gespielt. Ich habe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge gemacht. 

Woher das weinende Auge?
Zum einen: Natürlich wollten wir wieder spielen. Zum anderen aber ging dadurch das Programmatische, das „Heilige“ der Eröffnungsinszenierung verloren – und wir eröffneten mit „Der Vorname“, einem Stück, das für diese Position nie gedacht war. Im Gegenteil ist uns eher danach, politischer und ernster zu werden. Fokussierter. Was ist die Essenz, was ist uns wirklich wichtig? Deswegen war es das jetzt auch an Komödien in dieser Spielzeit. Jetzt kommen „Die Stützen der Gesellschaft“ von Ibsen, „Vor Sonnenaufgang“ von Ewald Palmetshofer und „Michael Kohlhaas“ von Kleist. Ein Schwergewicht nach dem anderen.

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Als „Genie und Verbrechen“ im Juni nach sieben Monaten Stille Premiere hatte, blieben Sitze frei. Müssen Sie die Sorge haben, dass das Publikum wegbleibt?
Sorge wäre zu groß gesagt, aber es beunruhigt mich. Wenn ich mit Zuschauern oder auch mit dem Förderkreis spreche, höre ich: „Wir kriegen die Schlagzahl, die wir vorher im Kulturverbrauch hatten, gar nicht mehr hin.“ Weil sie das Bedürfnis gar nicht mehr so haben und die neu entdeckte Freiheit auch erst einmal misstrauisch sehen. Da ist eine neue Angst, und infolge des Lockdowns auch eine neue Innerlichkeit. Das merke ich auch bei mir selbst: Man geht sorgsamer mit seiner Zeit um. Dazu kommt die Unsicherheit: 2G, 3G? Testen oder nicht?

"Ohne Kunst wird es still": Eine Aktion von Schauspielern und Mitarbeitern des HOT.
"Ohne Kunst wird es still": Eine Aktion von Schauspielern und Mitarbeitern des HOT.

© Andreas Klaer

Die Saison heißt „Die Sinne spielen“. Zurück zur Essenz dessen, was Theater ist?
Als wir überlegt haben, wie wir wieder starten, wussten wir weder, wann, noch wie, noch in welcher politischen Situation das geschehen würde. Ergo haben wir uns gefragt: Was haben wir am meisten vermisst? Und das ist, die Sinne wieder zu leben. Das hat auch den Schauspielern am meisten gefehlt: Nähe, Berührungen, Sinnlichkeit.

Was dazu führt, dass diese Spielzeit nach „Haltung“, „Offenheit“ und „Toleranz“ als erste einen völlig unpolitischen Titel hat.
Absolut. Obwohl Nähe und Abstandhalten heutzutage auch schon wieder politisch sind. Für uns stellt sich für die kommende Spielzeit die Frage: Brauchen wir überhaupt noch einen Titel? Ein Motto fokussiert, macht den Raum aber auch klein. Im Moment haben wir das Gefühl, wenn wir ihn zu sehr verkleinern, können wir nicht denken. Wir haben eher den Wunsch spontaner, freier zu sein.

Was heißt spontaner? Kleinere Formate ausprobieren?
Das heißt spontaner auf die veränderte gesellschaftliche Situation mit neuen Stücken zu reagieren. Vielleicht mehr in den Stadtraum zu gehen. Wie wir das mit der „Bühne auf Zack“ jetzt auch machen. 

Schauspielerin Franziska Melzer sagte im Winter: „Seitdem Berührungen untersagt sind, will ich eigentlich nur noch dionysisches Theater.“ Ist Nähe auf der Bühne wieder erlaubt?
Auf der Bühne spielen wir weitestgehend ohne Abstände. Die drei K – Kämpfen, Küssen, Kuscheln – sind erlaubt, wenn alle Beteiligten geimpft, genesen oder getestet sind. 

Sind denn alle Beteiligten geimpft?
Wir haben Rahmenbedingungen geschaffen, die ein Spielen auf der Bühne ohne Abstände ermöglichen. Den Impfstatus meiner Mitarbeiter:innen darf ich nicht öffentlich machen. 

Erleben Sie am Haus ähnliche Konflikte um das Impfen, wie es sie draußen gibt?
Die Sehnsucht nach Normalität auf der Bühne ist sehr groß. Und auch die Bereitschaft, alles dafür zu tun, ist sehr groß. Das hat auch was mit dem Geist des Hauses zu tun. Man darf nicht vergessen, dass wir hier eine sehr liberale und offene Stadt sind. Das sieht an anderen Theatern ganz anders aus. Aber natürlich gab und gibt es auch bei uns Diskussionen, die wir offen und ehrlich miteinander führen.

Nun könnten Sie im Publikumsverkehr 2G einführen, aber Sie wollen bei 3G bleiben.
Das hat damit zu tun, dass wir ein öffentlich gefördertes Haus sind. Ich tue mich damit schwer, einen Teil der Gesellschaft auszuschließen und die damit die Spaltung der Gesellschaft zu befördern. Die Politik stellt es uns frei, zu entscheiden – und ich verurteile niemanden, der sich für 2G entscheidet. Aber als Stadttheater der Landeshauptstadt müssen wir offen sein für alle.

Und das Argument, dass dann mehr Leute kommen dürfen, reizt Sie nicht? Sie haben selbst gesagt, wie schwer es ist, vor halb leerem Saal zu spielen.
Ich weiß nicht, ob wirklich mehr Zuschauer kämen – oder ob wir nicht genau dadurch auch wieder Publikum verlieren würden. Im Moment haben wir etwa 200 Leute im Großen Haus mit Abstand und ohne Maske am Platz, und die Rückmeldungen sind eher positiv. Sicher ist ein Wermutstropfen dabei, aber erst einmal bleiben wir bei 3G.

Der Nikolaisaal will das Publikum dazu befragen. Haben Sie ähnliche Pläne?
Wir sind dabei nach einer Form zu suchen, wie wir unser Publikum dazu befragen können.

Paul Böhm entwarf das Gebäude gemeinsam mit seinem Vater Gottfried Böhm.
Paul Böhm entwarf das Gebäude gemeinsam mit seinem Vater Gottfried Böhm.

© picture alliance / Ralf Hirschbe

Heute feiern Sie mit einem Stück von Nis-Momme Stockmann Premiere, im Spielzeitheft steht: Vier Menschen, die exemplarisch für die Weltgesellschaft stehen. Das müssen Sie bitte erklären!
Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. In „Das Imperium des Schönen“ fahren zwei Brüder mit ihren Familien nach Japan und in dem Fremden kommt das Eigene zur Explosion – es fehlt einfach an einem Miteinander. Wie schafft man es in einer Konfliktsituation, Toleranz zu üben? Wie integriert man eine von außen kommende Frau – die neue Freundin des jüngeren Bruders – in die Familie? Will sie überhaupt integriert werden? Dazu kommt noch die Begegnung mit der uns fernen Kultur Japans und die Frage: Wie nähere ich mich einem fremden Land und seinen Besonderheiten?

Frau Jahnke, was meinen Sie: Wenn wir in einem Jahr wieder zusammensitzen, werden wir die Pandemie hinter uns haben? 
Nein, das glaube ich nicht. Wir müssen lernen, damit zu leben.

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