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Monets "Die Rosentore von Giverny", 1913.

© Manfred Thomas

Interview | Barberini-Kurator Daniel Zamani: "Der Wunsch, das Flüchtige festzuhalten"

Daniel Zamani, Kurator der neuen Ausstellung im Barberini, über Monets Modernität, die museale Reise durch sein Werk und das Geheimnis der Seerosen.

Von Helena Davenport

Herr Zamani, was musste ein Ort haben, damit Claude Monet diesen zu seinem Motiv machte?
 

Bei Monet ist grundsätzlich spannend, dass es kein narratives Moment, keine historische Aufladung, keine symbolische Bedeutung bei den Orten geben musste. Es ging ihm vorrangig um die atmosphärische Umhüllung einer Landschaft. Er hat das ganz wunderbar formuliert, als er einem Besucher seiner Ausstellung mit den berühmten Getreideschobern 1891 erklärte, dass eine Landschaft für ihn eigentlich gar nicht als Landschaft existiert, sondern dass das, was das Sujet spannend macht, die verschiedenen atmosphärischen Bedingungen sind. Er wollte das Licht einfangen, das Gefühl für den Wind, die Grundstimmung einer Landschaft bei unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten. Entsprechend hat Monet in ganz Frankreich den verschiedensten Orten nachgespürt und dabei immer darauf geachtet, dass die Motive, die sich ihm boten, auch für das atmosphärische Spiel von Farbe und Licht gut geeignet waren.

Daniel Zamani, Kurator der Ausstellung "Monet. Orte" im Museum Barberini.
Daniel Zamani, Kurator der Ausstellung "Monet. Orte" im Museum Barberini.

© promo

Er ist teilweise sehr lange gereist. Was war denn die längste Reise, die er für ein Motiv auf sich genommen hat?

Monet ist wahnsinnig gern und viel gereist. Und diese Malausflüge waren für seine Arbeit sehr wichtig. Es gibt zahlreiche Werkreihen, die in ganz kurzer Zeit entstehen, wenn ihn eine bisher unbekannte Landschaft in den Bann gezogen hat. Gerade in den 1880er-Jahren bricht er zu zahlreichen, oft längeren Malausflügen auf. Venedig ist unter diesen Zielen wohl geographisch am weitesten von seiner Heimat entfernt, wobei er auch Norwegen bereist. Selbst wenn Monet eigentlich nur ein paar Wochen auf diesen Arbeitsausflügen verbringen wollte, ist er dann von den Orten oft so fasziniert, dass er mehrere Monate lang dortbleibt. Ein berühmtes Beispiel ist Bordighera an der italienischen Riviera, wo er zuerst nur drei Wochen verbringen will, dann aber rund drei Monate vor Ort bleibt, weil er so begeistert von dem gleißenden Licht des Südens ist. 1908 verbringt er ganze zehn Wochen in Venedig. Und nach London kehrt er sogar mehrfach zurück, weil er während der Zeit, die er 1899 dort verbringt, gar nicht alles motivisch umsetzen kann, was er sich vorgenommen hat.

Wie näherte er sich den Landschaften an? Er ging ja sehr strukturiert vor.

Genau. Was die Ausstellung sehr eindrucksvoll widerlegt, ist das große Klischee hinsichtlich der Impressionisten: ihre vermeintlich spontane Interaktion mit der Natur. Es war natürlich so, dass Monet die Motive innerhalb des Malakts sehr schnell umgesetzt hat. Es gibt auch Bilder von ihm, bei denen man sich sicher ist, dass er sie in einer einzigen Sitzung vor Ort umgesetzt hat. Aber er hat doch immer viel gedankliche Vorarbeit in die Kompositionen mit einfließen lassen. Wenn Monet eine für ihn neue Umgebung festhalten wollte, dann war sein Anfangspunkt eine ganz genaue Erkundung der Landschaft. Er hat verschiedene Blickpunkte ausprobiert, sich verschiedene Perspektiven überlegt. Und er hat die Orte häufig malerisch und motivisch erschlossen, indem er sie systematisch von verschiedenen Blickpunkten aus abgebildet hat. Es gibt da sehr eindrucksvolle Werkreihen, von denen es in der Ausstellung auch einige zu sehen gibt. Man kann als Besucher sehr gut nachempfinden, wie er die einzelnen Orte strategisch erkundet, gerade auch unter verschiedenen Lichteinflüssen und bei verschiedenen Wettersituationen.

Wie ist die Ausstellung aufgebaut?

Die Ausstellung ist als eine Art Reise durch Monets gesamtes Werk angelegt. Sie nimmt den Besucher an die Hand. Sie beginnt chronologisch mit dem ersten dokumentierten Gemälde Monets von 1858 und endet bei seinen späten Seerosenbildern. Darüber hinaus ist die Schau nach einzelnen Orten unterteilt, die Monets Werkentwicklung bestimmt haben. Wir fangen in einem Raum an, der dem Frühwerk gewidmet ist, seiner Erforschung der Normandie und des Waldes von Fontainebleau. Danach folgen größere Themenräume, die Monets Wohnorten gewidmet sind, darunter auch Paris. Und wir enden mit dem Spätwerk und Monets Garten in Giverny. Dieser Garten ist ja schließlich das alleinige Thema seiner letzten Arbeiten.

Es werden insgesamt mehr als 100 Exponate gezeigt. Wie lange hat es gedauert, diese Schau auf die Beine zu stellen?

Es sind rund 110 Gemälde. Die Ausstellung hatte einen sehr langen Vorlauf – ihr Ausgangspunkt liegt bei der Eröffnungsausstellung des Museums Barberini 2017, bei der wir bereits Leihgaben aus dem Denver Art Museum gezeigt hatten. Die Direktorin des Museums Barberini, Ortrud Westheider, und Christoph Heinrich vom Denver Art Museum haben damals überlegt, ob man nicht die Werke Monets aus der Sammlung von Hasso Plattner mit Arbeiten aus dem Bestand in Denver zusammenbringen und mit zahlreichen Spitzenwerken aus internationalen Museen und Privatsammlungen ergänzen könnte. Im selben Zuge haben die beiden den thematischen Fokus der Schau herausgearbeitet: Durch das Thema Orte wagen wir uns ja jetzt auf eine ganz neue Art und Weise an Monet und seinen künstlerischen Werdegang heran.

Was gibt es zu sehen? Können Sie Beispiele nennen?

Wir schöpfen ja aus einer ungemeinen Fülle. Ich finde es großartig, dass weltbekannte Gemälde dabei sind, beispielsweise „Raureif“ von 1880 aus dem Musée d’Orsay oder „Die Tuilerien“ von 1876 aus dem Musée Marmottan Monet, beide in Paris. Das sind richtige Ikonen der Malerei des 19. Jahrhunderts, die in den jeweiligen Sammlungen sonst feste Wände haben. Wir zeigen aber auch sehr viele Werke aus Privatbesitz und Arbeiten, die ganz selten nach Europa reisen. Unter anderem sind auch Leihgaben aus der National Gallery of Australia zu sehen oder aus dem National Museum of Western Art in Tokio. Ich hoffe, dass das Publikum in Deutschland die Chance nutzt, all diese Arbeiten bei uns in Potsdam zu sehen.

Wann haben Sie persönlich Ihren ersten Monet gesehen?

Das erste Bild, an das ich mich erinnern kann, war auf einem Kalenderblatt abgedruckt: die berühmten „Mohnblumen“ aus dem Musée d’Orsay.

Was fasziniert Sie an Monet?

Der Impressionismus hat mir schon immer sehr am Herzen gelegen, auch während des Studiums. Die erste Ausstellung, bei der ich beruflich mitarbeiten durfte, war „Monet und die Geburt des Impressionismus“, als ich 2015 mit meinem Volontariat am Städel Museum in Frankfurt angefangen habe, bei dem damaligen Sammlungsleiter Felix Krämer. Was mich damals schon ungeheuer fasziniert hat, war die wahnsinnige Modernität des Impressionismus, die man als Laie den Arbeiten vielleicht gar nicht unbedingt sofort ansieht. Sie zeichnet sich erst so richtig ab, wenn man sich überlegt, dass die Akademie im 19. Jahrhundert noch sehr stark ist, dass man ein Motiv nicht einfach so umsetzt, wie man es unmittelbar sieht. Monet kehrt dieser ganzen kunsthistorischen Tradition den Rücken zu und erforscht reale Orte situativ: Er möchte sie so darstellen, wie er sie empfindet. Und das ist etwas unheimlich Modernes – denn ein ganz besonderes Kennzeichen der Moderne ist ja gerade der Wunsch, das Ephemere, das Flüchtige in der Natur festzuhalten und eben auch Motive, Landschaften und Orte bildwürdig zu machen, die keine symbolische oder historische Bedeutung haben. In dem Sinne kann man Monets Beitrag zur Entwicklung der Moderne und auch der zeitgenössischen Kunst gar nicht hoch genug einschätzen.

Haben Sie ein Lieblingsbild in der aktuellen Ausstellung?

Das habe ich nicht unbedingt bei Projekten, an denen ich mitarbeite, aber das Bild, das mir bei dieser Ausstellung vielleicht am meisten am Herzen liegt, ist wohl „Der Bahnhof Saint-Lazare“ von 1877 aus der National Gallery in London. Das ist ein zauberhaftes Gemälde, mit dem Monet die Gattungsgrenzen zwischen Interieur und Landschaft entzerrt, indem er den Blick durch die Dachstruktur dieser hochmodernen Bahnhofsanlage in Paris in die Darstellung miteinbezieht und damit auch die umliegende Umgebung zeigt. Es schwingt ein Gefühl der Offenheit mit. Und der Fokus auf die Eisenbahn ist natürlich auch eine Anspielung auf Monets eigenes Metier. Schließlich hat es ihm ja nur das neue Schienennetz möglich gemacht, die verschiedensten Landschaften mobil und vor Ort zu erforschen.

Können Sie umreißen, inwiefern sich Monet im Hinblick auf die Orte entwickelt hat?

In der Ausstellung decken wir die gesamte Bandbreite seines Schaffens ab, die über sechs Jahrzehnte hinwegreicht. Man sieht, wie Monet im Frühwerk noch stark im Fahrtwasser von Künstlern wie Camille Corot oder Charles-François Daubigny arbeitet, großen Vorreitern des Realismus also, deren Werke er bei seinem Besuch des Pariser Salons 1859 entdeckt hatte. Man sieht dann aber auch, wie er langsam zu einer ganz eigenen, viel radikaleren Bildsprache findet. In den späten 1860er-Jahren und frühen 1870er-Jahren hellt sich Monets Palette auf, die Oberfläche wird skizzenhafter, der Pinselstrich wird immer deutlicher sichtbar. Eine weitere wichtige Entwicklung ist dann in den 1890er-Jahren das Aufkommen der Seriengemälde, die er mit den berühmten Getreideschobern einleitet. In diesen Serien malt Monet nicht mehr Variationen der gleichen Landschaft oder der gleichen Topografie, sondern er versucht, ein einziges Motiv ganz systematisch in großangelegten Werkgruppen festzuhalten. Bei den Getreideschobern sind es ja beispielsweise 25 Variationen und das von einem ganz banalen, unspektakulären Sujet. Genau das ist letzten Endes die durchschlagende Entwicklung in Monets Spätwerk, die dann mit den Seerosenbildern kulminiert, von denen insgesamt etwa 250 Arbeiten dokumentiert sind.

Was ist das Besondere an den Seerosen?

Der Garten, den Monet in Giverny gestaltet, insbesondere der Wassergarten, den er ab 1893 anlegt, ist eigentlich eine komplex inszenierte Malkulisse. Es gibt wunderschöne Beschreibungen von Zeitzeugen, die den Garten auch als Kunstwerk an und für sich würdigen. Er war ein installatives Environment, wenn man so will. Und Monet legt den Garten ja auch so an, dass er möglichst vom frühen Frühjahr bis zum späten Herbst jeden Farbton der Palette vorfinden kann. Man sieht in der Ausstellung sehr eindrucksvoll, wie Monet in den Darstellungen des Seerosenteichs oder der Japanischen Brücke ein ganz freies Spiel von Form und Farbe entfaltet, das die Errungenschaften des abstrakten Expressionismus um Jahrzehnte vorwegnimmt. Es entstehen Bilder, in denen er die gesamte Landschaftstradition des 19. Jahrhunderts hinter sich lässt. Monet wendet sich von den Perspektivregeln der Malerei ab und nutzt die Oberfläche des Teichs quasi als metaphorische Dopplung der Leinwand. Die Wasserfläche ist nur noch Reflexion. Dadurch wird er zu einem der ganz großen Wegbereiter der Abstraktion im 20. Jahrhundert.

Man kann sich also beim Anblick der Wasserfläche verlieren.

Genau. In den ersten Darstellungen von 1893 hat Monet teilweise noch das Ufer in die Komposition mit einbezogen, etwa herabhängende Zweige, sodass sich der Betrachter ansatzweise räumlich orientieren kann. Und in den späteren großformatigen Darstellungen, von denen wir in der Retrospektive zwei wunderbare Beispiele zeigen können, gibt es überhaupt keine Vegetation mehr außerhalb des Teichs. Bereits zeitgenössische Kritiker hatten beobachtet, dass man in diesen späten Arbeiten Monets letztlich alle perspektivischen Bezugspunkte verliert. Es handelt sich um eine radikale Entgrenzung der Malerei.

Das Interview führte Helena Davenport

Daniel Zamani, 1986 in Kaiserslautern geboren, ist promovierter Kunsthistoriker. Er studierte Kunst- und Architekturgeschichte in Cambridge und Museologie an der École du Louvre in Paris.

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