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Interview: „Alle Künstlernachlässe in einer Datenbank“

Thomas Kumlehn über die Bedeutung privater Nachlässe Brandenburger Künstler und den Schwierigkeiten bei deren Erfassung

Herr Kumlehn, Sie sind dabei, eine Datenbank für private Nachlässe von Brandenburger Künstlern einzurichten, die gleichzeitig auch unterstützen soll. Was wollen Sie mit diesem Service erreichen?

Private Künstlernachlässe sind ein wesentlicher Quellenwert für die jüngere Kunst- und Kulturgeschichte einer Region. Daher sollen sie nicht im Verborgenen liegen, sondern zugänglich werden für die Forschung, den Ausstellungsbetrieb, den Kunsthandel. Dabei wollen wir Hilfe leisten.

Thomas Kumlehn, geboren 1959 in Potsdam, studierte Kulturwissenschaften in Berlin. Seit 1994 ist Kumlehn freiberuflich als Kurator und Kulturwissenschaftler tätig.

Kümmern sich darum nicht die Museen?

Nein, eben nicht. Den Museen fehlt es an Personal, an räumlichen und finanziellen Kapazitäten, um regionale Künstlernachlässe aufnehmen, geschweige denn vor der Aufnahme erschließen zu können. Nachlässe, die im Museumsdepot eingelagert sind, werden, wenn überhaupt, nur im Hinblick auf eine Jubiläumsausstellung und auf der Basis einer externen Finanzierung erschlossen. Deshalb sind immer weniger Nachlasshalter an einem Besitzerwechsel beziehungsweise an einer Nachlassschenkung an ein Museum interessiert. Oder sie stellen an die Schenkung gebundene Bedingungen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir Potsdam: Da haben wir den Nachlass von Walter Bullert, der 1986 verstorben ist. Ein Künstler mit einem erstaunlich vielseitigen Werk der Grafik und Plastik. Für das 20. Jahrhundert ist er eine Potsdamer Lokalgröße. Seine Tochter, Elke Spuler-Bullert, ist daran interessiert, den Nachlass dem Potsdam Museum zu übergeben. Die Bedingung dafür ist aber eine Erschließungsverpflichtung des Museums. Und der Förderverein des Museums versucht derzeit, die dafür notwendigen Mittel einzuwerben. Bisher jedoch erfolglos.

Was genau heißt Nachlasserschließung?

Ein Nachlass ist das, was man vererbt bekommt. Wir unterscheiden den künstlerischen vom schriftlichen Nachlass. Bei den Nachlasshaltern der ersten Generation, den Töchtern oder Söhnen, sind die Nachlässe meist gut verwahrt. Sie können jedoch selten ohne fachliche Begleitung erschlossen werden. Mit Hilfe der digitalen Erfassung auf der Grundlage kunstwissenschaftlicher Standards verschafft man sich, wie bei einer Inventur, einen Überblick. Daraus entsteht ein Werkverzeichnis für all die Arbeiten aus der den Künstler prägenden Gattung. Im Falle Bullert halten sich Plastik und Grafik die Waage, und beide Gattungen wären hier sicher sinnvoll. Ein Werkverzeichnis enthält sowohl die Arbeiten des privaten Nachlasshalters wie auch die Arbeiten, die im Besitz von Museen, öffentlichen Institutionen oder privaten Sammlern sind und natürlich all jene Werke, um deren einstiges Entstehen man zwar weiß, deren Verbleib aber unbekannt ist. Dieses Werkverzeichnis macht natürlich deutlich, welche Arbeiten die Werkentwicklung und den künstlerischen Wert des jeweiligen Künstlers ausmachen. Das nennt man Kernbestand.

Und den übernimmt man dann?

Es geht um das Verkleinern des Nachlasses, um ihn über Generationen hinweg zu erhalten. Aber man kann nur sondieren, was man vorher erschlossen hat. Die anderen Werke könnten dann veräußert werden, ohne den Nachlass inhaltlich zu beschädigen. Doch wer soll denn was übernehmen?

Verraten Sie es uns!

Utopisch gedacht – würden wir unseren „mobilen Nachlass-Service“ gern mit einem „Kernbestandsarchiv“ verbinden, wie gesagt für das Land Brandenburg. Wir realisieren die Werkerschließung und die Sondierung des Kernbestandes, der wiederum im benannten Archiv für die Folgegenerationen bewahrt wird.

Und wie funktioniert das?

Wir entwickeln derzeit ein digitales Erfassungsprogramm, das die grundsätzlichen Operationen in Laienhand legt. Sei es die des unmittelbaren Nachlasshalters, eines Nachfahren, Freundes etc. All das begleiten wir fachlich und übernehmen die Ressorts, wie zum Beispiel die Provenienzforschung, die dem Laien schwer fallen. Das Programm wird natürlich mit den gängigen Erfassungsprogrammen kompatibel sein. Und wir bieten es kostenfrei an.

Mit wem arbeiten Sie da zusammen?

Mit der Kunsthistorikerin Dr. Liane Burkhardt arbeite ich zusammen. Wir haben das Programm gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam und der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) Berlin entwickelt. Das ZZF bot uns das Bildatlas-Programm zur Nachnutzung an und wird die entstehende Datenbank „Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg“ auf ihrem Server betreiben. Der Bereich Museumsmanagement der HTW unterstützt uns bezogen auf die erwähnte Kompatibilität. Die gesamte Anpassungsarbeit im Sinne der beschriebenen Praxisnähe ist unser Part. Gern könnten auch die erschlossenen Nachlässe aus den Brandenburgischen Museen in die Datenbank eingehen, die das Adjektiv „privat“ dann nicht mehr benötigen würden. Übrigens eine Vision von Jörg Sperling, Kustos im Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus.

Wie viele solcher Nachlässe gibt es im Land Brandenburg?

Wir haben im Land Brandenburg 86 private Nachlässe ermittelt, die es noch zu erschließen gilt, darunter von Hans-Otto Gehrcke in Ferch oder von der Fotografin Marie Goslich in Geltow, von Eckhard Böttger in Finsterwalde oder von Klaus Kehrwald bei Oranienburg. Wir reden übrigens dabei hauptsächlich von Künstlern, die im analogen Zeitalter gelebt haben. Die heutige Generation kümmert sich zumeist selbst um die Erfassung ihrer Werke: im Vorlass.

Und wie finanzieren Sie sich?

Wie gesagt, sind wir der Ansicht, dass die öffentliche Hand dieses Nachlass-Vorhaben mit fördern sollte. Denkbar wäre die öffentlich geförderte Einrichtung einer Koordinierungsstelle für private Künstlernachlässe im Land Brandenburg. Als juristischer Status für unseren mobilen Nachlass-Service sehen wir einen gemeinnützigen Verein.

Gibt es da schon Signale zur Unterstützung?

Wir sind seit über einem Jahr mit dem Kulturministerium und dem Fachbereich Kultur und Museen der Potsdamer Stadtverwaltung im Gespräch. Aber die Thematik musste der Verwaltung erstmal – ich betone – grundsätzlich vermittelt werden. Dort bestand die Meinung: privat ist privat, öffentlich ist öffentlich. Und wir wurden mit der Frage konfrontiert: Warum sollte die öffentliche Hand private Nachlasshalter unterstützen? Trotz zahlreicher Referenzen von Museumsleitern. Für uns aber sollen diese privaten Nachlässe zu einem wichtigen Bestandteil des zugänglichen Kulturguts werden und nicht unbekannt bleiben. Eine öffentliche finanzielle Unterstützung erhalten wir bisher nicht.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, diesen Service-Gedanken zu entwickeln?

Die Idee kam uns bei der Vorbereitung zur Ausstellung „100 Jahre Kunst ohne König. Privates und öffentliches Sammeln in Potsdam“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 2009, in der wir oft mit privaten Nachlässen in Berührung gekommen sind. Hinzu kam die Arbeit im Potsdamer Kunstverein, dem ich angehöre. Der bemüht sich seit seiner Gründung, Künstlernachlässe in die Ausstellungstätigkeit einzubeziehen. Insbesondere mit dem Nachlass von Hubert Globisch, den der Verein 2006 von der Witwe Suse Globisch-Ahlgrimm übereignet bekam, ist er die Verpflichtung eingegangen, diesen Nachlass zu bewahren, zu erschließen und das Lebenswerk des Potsdamer Landschaftsmalers auch zu vermitteln.

Also öffentlich zu machen?

Ja, man sorgt dafür, dass der verstorbene Künstler mit seinen Werken im Gedächtnis bleibt: in Form von Katalogen und Ausstellungen. Von Hubert Globisch hat der Kunstverein 2007 eine Monografie mit Werkverzeichnis herausgegeben, anlässlich einer Wanderausstellung durch drei deutsche und vier polnische Städte. Globisch verlebte seine Vorschulzeit in der Landschaft an der Glatzer Neiße, womit ihn zeitlebens „geheime Fäden verbinden“, um ihn zu zitieren.

Welchem Nachlass widmen Sie sich derzeit?

Persönlich kümmern wir uns derzeit um die Werke des 2006 verstorbenen Malers Philipp Schack, dessen Nachlass bei den Eltern in Ackermannshof, im Landkreis Märkisch Oderland, liegt. Auch Erika Bauer aus Geltow ist an uns herangetreten. Sie ringt seit langem erfolglos damit, ein Verzeichnis des Nachlasses von Hans-Otto Gehrcke zu realisieren. Es gibt so vieles, was schlummert. Es geht ja nicht nur um die Nachlässe, die vornehmlich nach 1949 im Territorium der DDR entstanden, sondern auch um den Nachlass von Künstlern, die nach der Wende hier her gezogen sind, wie beispielsweise der renommierte Maler Johannes Geccelli, der 2011 in Jühnsdorf in Teltow-Fläming starb. Auch dieses Werk gehört in die Datenbank, die wir aufbauen möchten.

Das Gespräch führte Heidi Jäger

www.private-kuenstlernachlaesse-brandenburg.de

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