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Intersonanzen Potsdam: Schrill und irr

Es knarzt, es quietscht und irgendwo surren auch noch Mücken: So hört es sich an, wenn ein russisches Quintett bei den „Intersonanzen“ spielt.

Potsdam - Eigentlich ist der Titel des Musikfestivals „Intersonanzen“ irreführend: Die neue Musik ist grundlegend dissonant. Das brandenburgische Fest neuer Musik fand in der vergangenen Woche im Kunsthaus Sans Titre statt – und hatte am Freitag außergewöhnlichen Besuch: das „moscow Contemporary Music Ensemble“, kurz MCME. Ein bemerkenswertes, fast erschütterndes Konzert, welches das russische Quintett um Ivan Bushuev (Querflöte), Oleg Tantsov (Klarinette), Vladislav Pesin (Violine), Ilya Rubinshtein (Cello) und Mikhail Dubov (Flügel) dort zelebrierte – und das nach einem mehrstündigen, fehlgeleiteten Flug und einem abendlichen Gewitter über der Stadt.

Das Gewitter war jedoch egal: Denn der Donnerschlag fand im schwitzigen Interieur des kahlen Kunsthauses statt – eine geradezu wahnwitzige Vorstellung jenseits musikalischer Erwartungen, die eines Wolkenbruchs nicht bedurft hätte. Und mittenmang dieses Kammerorchester, dessen Komponisten mit im Saal saßen. Etwa Irina Emiliantseva: Deren Stück „Mirage“ ist ein Konglomerat schriller Geräusche, knarzendes Cello, quietschende Violine, eine verstörende Geräuschkulisse in permanenter Eskalation.

In „Eine kurze Geschichte der Demokratie“ von Henry Mex dominiert bedrohliche Schwere in monotonen Crescendi, der Wahnsinn trieft aus jeder Note. Sind diese hektischen Eskapaden überhaupt komponiert? Und was hat das Ganze mit Demokratie zu tun? Oder dessen Referenz an Stephen Hawking? Die Metaebene verschwimmt im Tinnitus. Völlig irre, abgefahren. Mex hat im Anschluss an diese Uraufführung sichtlich Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. Ein Teufelskerl.

Man möchte schreiend hinausrennen, friert aber fest

„Über Linien und Unter Punkten“ – der Name ist bei Andreas S. Staffel Programm. Ein schmerzhaftes Geräusche-Ping-Pong mit sirenenhaften Glissandi, die wie nächtliche Mücken klingen. Pechschwarz, böse. Von nokturner Schönheit. Sergej Slonimskys „Minipartita“ dann ein brutaler Abgesang auf Bach: Die Klarinette dröhnt, die Stile wirbeln durcheinander, das Trommelfell vibriert – und plötzlich singt das Kammerorchester. Man möchte schreiend hinausrennen, friert aber fest. Genial.

Als die Uraufführung des Stückes „Heimat“ von Helmut Zapf, das im Rahmen des Interstip des Landes Brandenburg für dieses Ensemble komponiert wurde, erklingt, schlägt der Blitz in das Gebäude – oder knapp daneben. Heimat als bedrohliches Konzept? Zapfs Heimat klingt wütend, vorwurfsvoll – mit vermolltem Flügel, mahnendem Cello, kreischender Violine. Eine Gänsehaut, die sich partout nicht abstreifen lässt.

Da bleibt die mutige Soundcollage „Listen to me – I’m on your way“ von Sabine Vogel und Theo Nabicht im Anschluss nur blasse Makulatur, leider. Avantgardistische Konzeptlosigkeit, die wie der Schweiß auf der Haut auf der Metaebene verdampft. Der Rausschmiss hätte der Opener sein müssen. 

Oliver Dietrich

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