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Kultur: Intensives Begegnen auf schmalem Grat „Made in Potsdam“: Zwei Premieren im T-Werk

Wie ein Hörsaal mutete die Bühne im T-Werk am Samstagabend an, als die französische Choreografin Malgven Gerbes ihre neueste Produktion „Cartographie“ zur Deutschlandpremiere brachte. Im Hintergrund zog sich eine mannshohe weiße Leinwand über die gesamte Bühne und davor standen ein Tageslichtprojektor und ein Mikrofon.

Wie ein Hörsaal mutete die Bühne im T-Werk am Samstagabend an, als die französische Choreografin Malgven Gerbes ihre neueste Produktion „Cartographie“ zur Deutschlandpremiere brachte. Im Hintergrund zog sich eine mannshohe weiße Leinwand über die gesamte Bühne und davor standen ein Tageslichtprojektor und ein Mikrofon. Malgven Gerbes begann ihre Aufführung beinahe so akademisch wie eine Vorlesung. Sie projizierte fast ein Dutzend schwarz-weißer Fotografien und das Skelett eines Wales auf die Leinwand, gab kryptische Erläuterungen zu den Bildern und nahm jedes von ihnen erst wieder weg, wenn sie einzelne Konturen daraus mit schwarzer Kreide auf die weiße Fläche übertragen hatte.

Schon nach kurzer Zeit bedeckte ein geheimnisvoll-komponiertes Gewirr von Linien die vorher leere Rückwand und die Tänzerin verfuhr danach fast ebenso mit dem schwarzen Bühnenboden zu ihren Füßen. Mit weißer Kreide entstand im Laufe der fast einstündigen Aufführung eine Abbildung äußerer und innerer Geistes- und Erfahrungslandschaften der Tänzerin. Malgven Gerbes begibt sich in „Cartographie“ auf eine Reise ohne vorher definiertes Ziel. Sie bewegt sich frei im Raum und erkundet dabei ihre Emotionen und Erfahrungen. Und was zwischenzeitlich wie ein ausgestellter Selbsterfahrungstrip wirkte, gewann nach und nach die Leichtigkeit und Schönheit eines authentischen Suchprozesses, der so oder ähnlich in jedem von uns stattfindet.

„Wenn ich mich im Unbekannten bewege, verändere ich mich“, sagte Gerbes und genauso konnte es dem Zuschauer ergehen, wenn er sich auf diese multimediale Reise ins (eigene) Selbst einlassen konnte. Allerdings hätte die Anwesenheit von ein wenig Humor und Dramatik diesen Identifikationsprozess noch beflügeln können.

Der zweite Teil des Doppelabends versprach schon in der Ankündigung eine intensive Begegnung mit Männlichkeit. Jefta van Dinther und Thiago Granato, die bereits zum fabrik-Saisonstart im vergangenen August Ausschnitte aus ihrem Duett präsentierten, zeigten jetzt die Deutschlandpremiere von „This is Concrete“. Auf der nahezu dunklen Bühne befanden sich sieben Lautsprecherboxen, aus denen sich ein wummernder elektronischer Klangteppich ergoss, der das, was die beiden Männer miteinander erlebten, dramaturgisch geschickt lenkte und immer enger miteinander verwob. Ihre geschmeidigen Körper vermischten sich während der zunehmend homoerotischen Begegnung so miteinander, dass Grenzen verschwammen. Ihre intensive Begegnung, die einen als Zuschauer, je intimer sie wurde, berührte und unfreiwillig zum Voyeur machte, verlief lange Zeit ruhig und mit langem Atem. Doch spätestens seit den innigen Küssen zwischen beiden waren bei mehreren Zuschauern Grenzen überschritten, sodass diese zügig den Saal verließen.

Dabei bot „This is Concrete“ dem Publikum auf einem zugebenermaßen schmalen Grat an, die Zeit mit etwas Ungewissem zu verbringen und die eigenen Erwartungen daran auszuhalten und zu überprüfen. Denn obwohl die Küsse zwischen den beiden jungen Männern ein überdeutliches erotisches Signal setzten, wurden im Verlauf der über weite Strecken wie in Zeitlupe verlaufenden Performance die Erwartungen an das, was möglicherweise noch folgen würde, immer wieder enttäuscht. Stattdessen fanden Jefta van Dinther und Thiago Granato kräftige und berührende Bilder, die menschliche Sexualität im Allgemeinen und männliche im Besonderen in ihrer Kraft und Flüchtigkeit darstellten. Und die einen, wie schon vorher Malgven Gerbes, mit der Begegnung mit dem Unbekannten und der eigenen Veränderung dadurch konfrontierten.

Nicht nur an dieser Stelle weckte das insgesamt viertägige Festival die Lust, sich gerade am Anfang eines neuen Jahres mit Choreografen und Tänzern auseinanderzusetzen, die noch am Beginn ihrer Entwicklung stehen. Es ist zu wünschen, dass „Made in Potsdam“ im Vorfeld der Tanztage eine ebensolche Strahlkraft wie diese entwickelt. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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