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Führt durch die Proben. Matthias Salge ist der musikalische Leiter der Potsdamer Orchesterwoche, in der Laienmusiker jedes Jahr zum gemeinsamen Musizieren auf Hermannswerder zusammenkommen. Das Eingeübte präsentiert das Orchester in vier Konzerten.

© Andreas Klaer

Kultur: Inselidylle mit straffem Probenplan

Das Laienorchester der Potsdamer Orchesterwoche bereitet sich auf seine vier Konzerte vor

Von Helena Davenport

Schüler und Internatsbewohner sind ausgeflogen und hier und da werden Ausbesserungsarbeiten vorgenommen. So viel verraten die Baustellengeräusche, die zu hören sind, sobald man Herrmannswerder betritt. Zu dem entfernten Dröhnen und dem Vogelgezwitscher hat sich aber noch etwas anderes gemischt: Max Bruchs dritte Sinfonie ist zu hören. Seit vergangenem Samstag ist die Potsdamer Orchesterwoche (POW) wieder zu Gast auf der Halbinsel. Gerade findet die Vormittagsprobe im Tagungshaus statt. 70 Laienmusiker – so viele wie in keinem Jahr zuvor – haben sich zusammengefunden und proben für ihre Konzerte, die vom heutigen Donnerstag bis Sonntag in Potsdam und Umgebung stattfinden. Neben der Sinfonie von Max Bruch sind außerdem die Ouvertüre aus Franz Schuberts Rosamunde „Die Zauberharfe“ sowie Johann Sebastian Bachs Musikalisches Opfer zu hören.

„Wir genießen diese Idylle hier alle sehr. Gerade ich, als Berlinerin. Aber wir haben auch einen straffen Probenplan“, erzählt Josephine Ibe, die seit vergangenem Jahr Vorsitzende des Vereins Potsdamer Orchesterwoche ist. Dieser gründete sich 1992, um die Finanzierung der Orchesterfreizeit sicherzustellen. Die Geschichte der POW reicht bis in die 70er-Jahre zurück. Dietrich Schönherr wollte ein Orchester für kirchenmusikalische Aufführungen zusammenstellen – er wollte musizieren, ohne durch die DDR kontrolliert zu werden. 1981 wurde er als Kantor in der Inselkirche und als Musiklehrer im benachbarten Gymnasium eingestellt. Und so wurde Herrmannswerder 1982 der feste Treffpunkt des Laienorchesters. 2011 musste Schönherr die musikalische Leitung aus gesundheitlichen Gründen an den Musiklehrer Matthias Salge abgeben.

Bis Mittwoch wurde täglich acht Stunden lang geprobt – ein Härtetest für jeden, der das nicht gewohnt ist. Der Tag startet mit einer kleinen Andacht, dann folgen ab 9.30 Uhr die Registerproben. Anschließend darf sich jeder zwei Stunden lang ausruhen, bis zur Probe in voller Besetzung. Nach dem Abendbrot findet noch ein letzter Block bis 21 Uhr statt. Wer auf Herrmannswerder untergebracht werden konnte, erfrische sich kurz und komme dann wieder zum Steg, erzählt Josephine Ibe. Um den Tag gemeinsam mit den anderen, einem Glas Bier oder Wein ausklingen zu lassen. Manchmal werde trotz Mücken bis Mitternacht musiziert, schwärmt die Vereinsvorsitzende.

Natürlich gebe es mal eine Auseinandersetzung und jeder habe einen Tag, an dem einfach alles zu viel ist. Das sei in einer so heterogenen Gruppe mit Teilnehmern im Alter von 16 bis 84 Jahren auch normal. „Aber am Ende sind wir eine eingeschworene Gruppe“, sagt Ibe. Die 37-Jährige ist Musiktherapeutin und Flötistin. Vor vier Jahren nahm sie zum ersten Mal an der POW teil. „Als Therapeutin weiß ich eigentlich, wie wohltuend Musik ist. Aber mir selbst habe ich dieses Erlebnis eine Zeit lang verwehrt. Hier habe ich wieder erfahren, wie es ist, von Musik erfüllt zu sein“, sagt sie.

Werner Letz fehlte seit 1982 nur ein einziges Mal. Der ehemalige Tierarzt nahm sich jedes Jahr eine Woche Urlaub. Es gebe doch nichts Schöneres, als hier seinem Hobby nachzugehen. „Das Gelände ist weitläufig. Man kann auch baden gehen. Ich denke, keiner hat ein Problem damit, zwischendurch einen Ruhepunkt zu finden“, erzählt der 79-Jährige.

1994 sei es etwas enger auf der Insel gewesen, als es noch die Sowjetische Besatzungsmacht gab. Während der Proben in der Schulaula habe man den Morgenappell gehört, berichtet Letz. Der Hornist wohnt in Potsdam, spielte dort lange im Sinfonieorchester. Obwohl er nie einen langen Heimweg hatte, übernachtete er während der POW, falls es Platz gab, auf der Halbinsel. „Es wäre natürlich schöner, wenn alle hier übernachten könnten“, sagt Letz. Die Hoffbauerstiftung hat der Freizeit wieder Zimmer in ihrem Internat zu einem geringen Preis zur Verfügung gestellt. Allerdings sind es in diesem Jahr nur 29 Schlafgelegenheiten. Das Internat hat sich verkleinert, einige Räume werden als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Deswegen pendeln die Potsdamer und auch einige Berliner. Andere, die von weiter her kommen – es sind auch Teilnehmerinnen aus Zürich und Prag dabei – haben sich in Pensionen eingebucht oder nächtigen im Inselhotel. Mit den Einnahmen des Vereins können nur die Kosten für die Noten gedeckt werden. Deswegen ist die POW auf Spendengelder angewiesen. Die Teilnahmegebühr, die bei 70 Euro liegt, soll so gering wie möglich gehalten werden, damit niemand ausgeschlossen wird. „Teuer wird es, wenn wir Profis brauchen“, erzählt Werner Letz. Wenn sich für eine Instrumentengruppe zu wenige Laien anmelden, müssen Musiker gebucht werden. In diesem Jahr spielt ein Posaunist gegen eine Aufwandsentschädigung mit. Außerdem müssen öfter Instrumente geliehen werden oder ein Auto für den Transport des Schlagwerks.

Anja Zühlke spielte 2016 zum ersten Mal in der POW mit und flitzte in den Pausen zu ihrem Arbeitsplatz. Die 37-Jährige arbeitet in der Verwaltung der Fachhochschule. Dieses Jahr hat sie Urlaub. „Obwohl ich seit dreißig Jahren Trompete spiele, bin ich hier öfter nervös“, erzählt die Potsdamerin. Sie spiele sonst auch in einer Bigband oder im Blasorchester. „Aber im Sinfonieorchester gibt es Stellen, an denen du plötzlich allein zu hören bist.“

Für Nachwuchs sind die Musiker immer dankbar: „Wir hoffen, dass sich das Orchester ein wenig verjüngt“, sagt Werner Letz und betont: „Die Zeit hier ist zwar intensiv, aber ganz ohne Zwang.“

Das Orchester spielt heute um 19.30 Uhr in der Klosterkirche Lehnin. Das vollständige Programm ist online unter www.pow-online.de zu sehen

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