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Gesprächsbereit. Der Schauspieler Ketel Weber sowie Anna und Linus de Paoli, Produzentin und Regisseur.

© M. Thomas

Kultur: In naher Zukunft

Anna und Linus de Paoli waren Gast im Thalia

„Ich bin so traurig, weil das so ein wunderbarer Film ist“, sagte eine Zuschauerin am Montagabend, noch bevor die Filmdiskussion im Thalia-Kino begann. Ihre Stimmung rührte daher, dass außer ihr nur noch sieben weitere Zuschauer im Kino 2 saßen, um den Streifen „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“ von Anna und Linus de Paoli zu sehen. Dieser zwei Jahre alte Abschlussfilm der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin überzeugt vor allem durch seine großartige Schwarz-Weiß-Ästhetik und eine originelle Idee.

„Dr. Ketel“ ist eigentlich ein gefeuerter Krankenpfleger, der sich als selbst berufener Arzt aus Leidenschaft und Überzeugung um die Armen der Großstadt sorgt. Er überfällt nachts Apotheken, um die Medikamente denen zukommen zu lassen, die sich diese heute und in Zukunft kaum noch leisten können (werden). Dieser „Robin Hood für Kranke“ – gespielt von Ketel Weber – ist ein charismatischer Einzelgänger und lebt wie seine Patienten am unteren Ende der Gesellschaft und wie er nachts auf der Straße Projektile von Geschossen aus Körpern entfernt oder offene Beine versorgt, kennt man so nicht aus hiesigen Filmen.

Vorbild für Dr. Ketel war ihr eigener Vater, sagte die hochschwangere Anna de Paoli im Thalia, die für das Buch und die Produktion des Low-Budget-Streifens zuständig war. Ihm als Berliner Hausarzt mit 24-Stunden-Mission wollte sie ein Denkmal setzen und da sie mit ihrem Mann in der ehemaligen Praxis des Vaters in Neukölln wohnt, fielen beiden vor der eigenen Haustür gar nicht wenige Menschen ins Auge, die medizinisch schlecht versorgt sind. Bilder von Obdachlosen, Migranten und Alten mit Behinderungen spiegeln im Film dokumentarisch die Folgen der heute schon gegenwärtigen Zwei-Klassen-Medizin.

Doch das Ganze ist Fiktion, denn schon am Beginn, wo Dr. Ketel fast wie Superman inszeniert ist, wird darauf verwiesen, dass das Geschehen „in naher Zukunft“ spielt. Und in der „zeitlosen Architektur“ von Neukölln, die in vibrierenden Schwarz-Weiß-Bildern, wie der ganze Film, eingefangen ist, kommen auch surreale Elemente gut zur Geltung. Und: Es gibt einen weiteren Handlungsstrang, der wie dessen Protagonistin fast wie vom Himmel gefallen zu sein scheint. Die Profilerin Louise, gespielt von der Grande Dame des britischen Independent-Kinos Amanda Plummer kommt Ketel auf die Spur und so viel sei verraten: Sie versteht seine ungewöhnliche Mission.

Im Filmgespräch erzählte Linus de Paoli, wie es ihnen gelungen ist, Frau Plummer für ihr Projekt zu begeistern und man ist immer wieder überrascht, wie unkompliziert Stars sein können. „Wir sind Freunde inzwischen“, sagt er, und dass ihre einzige Bedingung für den einmonatigen Dreh in Berlin eine Badewanne, in der man rauchen könne, gewesen sei. Gast im Thalia war auch der Hauptdarsteller. Ketel Weber erzählte, dass er selbst in einer ähnlichen Situation wie seine Patienten im Film gewesen sei. Er lebte jahrelang ohne Krankenversicherung und es dauerte sehr lange, bis eine Diabetes-Erkrankung, die ihn massiv beeinträchtigte, diagnostiziert werden konnte.

Außerdem erzählte er auch, wie sich beim Spielen der Spagat zwischen Laiendarstellern und Professionellen wie Hermann Beyer für ihn anfühlte. Leider, das wurde von den Zuschauern einhellig bedauert, wird dieser Streifen in naher Zukunft nicht im Fernsehen zu sehen sein, obwohl der rbb bereits mehrfach positiv über ihn berichtete. Aber Regisseur Linus di Paoli wird im kommenden Jahr in den USA drehen, weil über „Dr. Ketel“ ein amerikanischer Produzent auf ihn aufmerksam wurde. 

Zu sehen heute um 14.30 Uhr sowie am morgigen Donnerstag und Freitag, jeweils um 14.45 Uhr, im Thalia, Rudolf-Breitscheid-Straße 50

Astrid Priebs-Tröger

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