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Von wegen Nostalgie. Wenn junge Leute aus ganz Europa die sibirische Stadt Krasnojarsk entdecken.

©  Beni Maltry/KunstWerk

Kultur: „In der Tiefe“ einer fremden Stadt

„Kras, Kras, Krasnojarsk“: Eindrücke aus Sibirien im „KunstWerk“

„Kras, Kras, Krasnojarsk“ steht auf der Einladungskarte. Diese zeigt sechs mit russischem Schick ausgestattete junge Frauen, die in der Karosse eines abgewrackten Shiguli posieren und zwei junge Männer an einem Seil. Ziehen sie die Karre aus dem Dreck oder hindern sie die Frauen an ihrem selbstbewussten Vorwärtsdrang? Im Hintergrund des inszenierten Fotos sind üppiges Grün, ein ramponierter Schuppen und in der Ferne Neubauten zu sehen. Die Titelzeile lässt einiges ahnen von dem, was 15 junge Leute im August vergangenen Jahres drei Wochen lang in Krasnojarsk, der drittgrößten Stadt Sibiriens, 4000 Kilometer östlich von Moskau erlebt haben.

Robert Segner, Nathalie Fribourg und Irina Maslennikowa gehören zu den Weitgereisten zu dem deutsch-russischen Kunstprojekt in der Millionenstadt am Jenissej, deren Ergebnisse ab Samstag in der Ausstellung „Kras, Kras, Krasnojarsk“ im „KunstWerk“ zu sehen sind. Sie waren überwältigt von den extremen Gegensätzen der sibirischen Metropole. Stalinistische, sozialistische und moderne Architektur, dicht am Fluss zusammengeballt und die unermessliche Weite der Taiga drum herum. Unzählige Überbleibsel der untergegangenen Sowjetunion, kitschig-knallige Werbung in der grauen Stadt und schicke Parallelwohnwelten, die man dort „kleines Deutschland“ nennt.

Fasziniert waren die Jugendlichen, die nicht nur aus Potsdam, sondern auch aus Bulgarien, Spanien, Frankreich und Polen gekommen waren, von einem gigantischen Gebäudekomplex im Stadtzentrum von Krasnojarsk. „Geist des Kommunismus“ hat den der russische Volksmund getauft und der oberirdisch siebenstöckige und unterirdisch vierstöckige Komplex, der nie fertiggestellt wurde, rottet seit 20 Jahren vor sich hin. Die Jugendlichen zog seine besondere Aura an und sie wurden in den vielen Etagen fündig. Sie benutzten Kellerräume, die sie rot anstrichen, als Projektionsfläche, um ihre Fundstücke aus der Sowjetära zu inszenieren. Neben Postkartenmotiven mit Revolutionsführern sind das auch alte Kinderschuhe, Zeitungsausschnitte und andere Spuren des untergegangenen Sozialismus.

Die Potsdamer Gruppe arbeitete in den drei Wochen auf ein Ziel hin. Sie war gemeinsam mit 15 russischen Jugendlichen aus Krasnojarsk zur Teilnahme an der IX. internationalen Museumsbiennale der Stadt, an der junge Künstler aus Europa, Asien und Amerika teilnahmen, eingeladen. Zum Thema „In der Tiefe“ sollten Kunstwerke unterschiedlichster Genres erschaffen und drei Tage aktiv präsentiert werden. Zur Kürze der Zeit gesellten sich Sprachbarrieren – nur zwei aus der Potsdamer Gruppe können Russisch – und auch prägnante kulturelle Unterschiede. Irina Maslennikowa stellte schnell fest, dass sie als junge selbstbewusste Frau dort nicht viel zu sagen hat, dass immer noch sehr hierarchisch gedacht und gehandelt wird und dass die meisten Menschen sehr auf Formalitäten bedacht sind und kaum spontan handeln in der Öffentlichkeit.

So hat sie mit Passanten von der Straße in zwei Tagen ein Tanzprojekt kreiert, das sie „Burning Butterflys“ nannte und in dem sie einen Fisch verkörpert spielte, der fliegen will. Sie organisierte einen Flashmob im Stadtzentrum, bei dem sie vorbeikommende Fußgänger einbezog, die erst wie ein Ameisenhaufen durcheinander wuseln sollten, um dann aus der Masse Einzelne herauszuholen, die ihre Individualität zeigen durften. Irina Maslennikowa versteht solche Aktionen auch als pädagogische und politische Arbeit und sieht ihr eigenes Herkunftsland überaus kritisch. Der entstandene Kurzfilm ist jetzt in der Ausstellung zu sehen.

Doch es sollen noch sehr viel mehr und ganz unterschiedliche Exponate in den zwei Etagen gezeigt werden. Im Eingangsbereich vermitteln raumgreifende und postkartenkleine Fotos einen ersten Eindruck von der Architektur Krasnojarsks. Auf dem Boden wird ein Stadtplan installiert, der auch zeigt, wo sie über die ganze Stadt in Privatunterkünften gewohnt haben. Dann kann man in einem Kinozimmer Filmeindrücke studieren und sich daneben vom Geist des nachgebauten „Roten Zimmers“ inspirieren lassen.

Ein optisch besonders schönes Objekt ist das Tagebuch der Französin Marion, die die Atmosphäre der ganzen drei Wochen in Texten und gezeichneten Bildern eingefangen hat. Die obere Etage im „KunstWerk“ ist hingegen ganz der Malerei vorbehalten. Dort werden Bilder gezeigt, die die Reiseeindrücke der Teilnehmer ganz „in der Tiefe“ verarbeiten.

Ausstellungseröffnung am kommenden Samstag, dem 14. Januar, um 19 Uhr im „KunstWerk“, Hermann-Elflein-Straße 10. Die Ausstellung ist bis zum 19. Februar, mittwochs bis sonntags, 15 bis 19 Uhr zu sehen

Astrid Priebs-Tröger

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