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Kultur: Improvisationen aus der Tiefe

„Unterirdisch Sello Lenné“: Fragiles beim Konzert im „Quendel“

Wozu braucht man eigentlich Konzerthallen? Weg damit, Musik braucht Luft und Raum und Freiheit, keine Fesseln, keine Menschenzwänge! Solche Ideen hätten einem glatt zufallen können beim dreizehnten Konzert der Reihe „Unterirdisch Sello Lenné“ am Mittwoch. Thomas Kumlehn und Frank Zimmermann organisieren dieses fast schon unterirdische Werk bereits im dritten Jahr im Subterrain der Gaststätte „Quendel“, Sello-/Ecke Zimmerstraße. Obwohl „im tiefen Keller“, ist sie doch der „frei improvisierten Musik“ gewidmet. Ein weiß getünchter, gar nicht großer Raum, zwei Gucklöcher nach draußen, eine Handvoll Stühle, wacklige Barhocker. Wenn da zehn Leute Platz finden, ist es gar nicht so schlecht, hundert wären problematischer. Der junge Gitarrenvirtuose Gareth Mitchell aus London machte mit einer zwanzigminütigen Improvisation den Anfang. Neben seinem Instrument, das womöglich bei Jimi Hendrix in die Schule gegangen ist, benutzte er auch seinen Laptop und eine wohlklingende Tenorstimme, die es fast bis zum Diskant hinauf schaffte. Aus elektronisch-indifferentem Rauschen hoher Frequenzen entwickelte er ein fast äthernahes, meist auf vier Viertel gesetztes Klanggebilde, dem Thomas Kumlehn auf der Querflöte nur suchend begegnen konnte. Der Brite zog seine Harmonien gleichsam aus diesem unbekannten Geräusch heraus, ordnete sie lyrisch, brach sie, versah sie mit Stimme und Wort, um zuletzt alles wieder darin versinken zu lassen. Toll.

Bei dem Potsdamer Gitarristen Olaf Mücke, jetzt auch als begabter Kontrabassist unterwegs, durfte das Publikum den Anfang frei wählen. Ohne Bogen, aha! Nun improvisierte dieser Mann mit seinem Schwarzhütchen quasi mit Händen und Füßen drauflos, bis es seine Art hatte. Kontrabässe sind zwar alte Herren, die nicht mehr alles von sich preisgeben, aber was man hier hörte, schien nach den Figuren von Himmel und Erde zu fassen. Aus der Tiefe nach oben, von oben herab, beharrlich wiederkehrend, massig, dazu der leichtfüßige Rhythmus, den auch das Holz tragen sollte, obwohl der Bogen es schlug. Kraft war da drin, Phantasie und natürlich alle verfügbare Begabung. Sogar ein paar Takte vom Rock’n’Roll. Schlager auch?

Nach kurzer Pause dann das Hauptstück, eine Total-Improvisation im Quartett. Die Themensuche beginnt mit Frank Zimmermann am Cello. Dann forschte jede Stimme für sich. Auffallend schnell werden sich Cello und Kontrabass einig, sie spielen fortan ensemble. Die Querflöte (Thomas Kumlehn) drängt mit Trillern und Überblastönen zur Dissonanz, setzt sich aber nicht durch. Gibt auf, ordnet sich ein. Im Hintergrund kraftvolle Gitarren-Akkorde und Vocalises aus Britannia. Das alles sucht und findet sich, streut divertiment, ordnet sich neu. So entsteht schließlich eindrucksvoll etwas Ganzes: unikat, fragil, unwiederbringlich. Und schön. Das klingt, das hat Macht, hat einen phantastischen Rhythmus. Unter den Glanzpunkten dieses gar zierlich abklingenden Opus waren eine schier endlose Fermate von Thomas Kumlehn, verrückte Cello-Glissandi, sogar Kehllaute asiatischer Abkunft – tja, auch das will eben beim freien Improvisieren heraus!

Solche Augenblicke, das Leben, die Gegenwart, hält niemand fest. Ein wunderbarer Abend also, eher sanft statt wild, mehr den Harmonien als Dissonanzen zugetan. Doch „unterirdisch“? I wo. Chapeau nun, den Herren im Keller!Gerold Paul

Nächstes Konzert in Quendels Keller am 11. März.

Gerold Paul

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