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Das Leben hat sie beide angezählt. Jojo (vorne, Florian Lenz) und Leo (Roland Kuchenbuch) müssen sich in „Das Herz eines Boxers“ zusammenraufen – um dann festzustellen, dass sie so grundverschieden gar nicht sind.

© Göran Gnaudschun

Kultur: Immer wieder aufstehen

„Das Herz eines Boxers“ in der Regie von Remo Philipps feierte Premiere in der Reithalle

Boxen heißt Angriff, aber auch Verteidigung, Boxen heißt Sieg, aber auch Niederlage. Wer das Herz eines Boxers hat, kann nicht nur austeilen, sondern vor allem einstecken und wieder aufstehen, nachdem er zu Boden gegangen ist. Ein Boxer macht immer weiter. Boxen heißt kämpfen. In Lutz Hübners preisgekröntem und häufig aufgeführtem Jugendtheaterstück „Das Herz eines Boxers“, das in der Inszenierung von Remo Philipp am Montagabend in der ausverkauften Reithalle seine gelungene Premiere feierte, steigen zwei Generationen in den Ring. Ein alter und ein junger Mann, die der Zufall zusammengeworfen hat, die nichts miteinander anzufangen wissen und sich nicht leiden können. Bis sich zwischen dem Senior und dem Jungspund ein immer offenerer geführter verbaler Schlagabtausch entwickelt, in dessen Verlauf sich beide aber mehr und mehr schätzen lernen und merken, dass sie so grundverschieden gar nicht sind, hat sie das Leben doch beide angezählt. Gegenseitig beflügeln sie sich nun, helfen einander wie Verbündete. Das Vertrauen, das sie langsam zueinander finden, macht sie schließlich stärker, als es jeder für sich vorher war.

Vorher ist da nur der von Roland Kuchenbuch glänzend in Szene gesetzte Leo, ein alter Mann, der mit ausgebeulter Jogginghose und Brustbeutel um den Hals apathisch in einem Rollstuhl sitzt. Und Jojo, der von Florian Lenz stark gespielte Jugendliche, der im legeren, modisch bunten Outfit mit einer großen Aluleiter schwungvoll ins Zimmer tritt und sogleich lautstark herumpöbelt, jedoch nur in Leos leere Miene blickt, so, als interessiere den das alles gar nicht mehr. „Ich renoviere dir die Bude und du versuchst, mir nicht im Weg zu stehen, klar!“, blafft Jojo den Alten an, und da er noch immer keine Antwort bekommt, beginnt Jojo, nachdem er die Lust am Veralbern seines Gegenübers verloren hat, sich den Frust von der Seele zu reden.

Um den Boss seiner Gang eine Gefängnisstrafe zu ersparen, habe er die Bewährungsstrafe wegen eines Mopeddiebstahls auf sich genommen und müsse nun Arbeitsstunden in einem Altersheim ableisten. Wie ein Idiot stehe er jetzt da, stößt Jojo wütend aus und ist kurz darauf, als Leo plötzlich mit seinem ersten gesprochen Satz Jojos Charakter lobt – „Du hast ja richtig Charakter.“ –, wie von einem gut gezielten Haken getroffen. Von diesem Moment an steigt nicht nur die hörbar fröhliche Begeisterung, sondern auch die Konzentration der überwiegend jugendlichen Zuschauer im Saal. Denn fortan stehen sich zwei ebenbürtige, wortgewitzte und überaus spielfreudige Kontrahenten gegenüber.

Erstreckt sich die Handlung des Stücks schon, wie beim Boxkampf, über sieben Runden, zwischen denen jedes Mal laute, trocken knallende Hip-Hop-Loops erklingen, so gleicht auch die Bühne selbst einem Boxring ohne Seile. Ein starker, wirkungsvoller Minimalismus, der Martin Scherm da mit seinem Bühnenbild gelungen ist: Umgeben von dunkelroten Stoffbahnen, welche die Tapeten andeuten, die im Verlauf des Stücks von Jojo durch hellblaue ausgetauscht werden, konzentriert sich das gesamte Geschehen mit seinen vielen szenischen Wendungen auf einen einzigen Raum, ein flaches quadratisches Podest, auf dem sich die beiden Akteure umtänzeln und ihr dialogisches Kampfspiel treiben. Oft muss man dabei schmunzeln, wie sich Leo und Jojo gegenseitig aus der Reserve locken und fühlt mit, wenn sie allmählich, jeder für sich, ihre Sorgen und Probleme offenbaren. Eine Weile lang ist es Leo, der nach Punkten zu führen scheint. Es ist beeindruckend, mit welcher Genauigkeit Roland Kuchenbuch, der von 1970 bis 2008 Ensemblemitglied des Hans Otto Theaters war, in seiner Gastrolle brilliert. Bis hin zur Sprechweise gelingt ihm die Verkörperung eines alten erfahrenen Mannes, der auf oft scherzhaft ironische Weise einem jungen Heißsporn den Spiegel vorhält, der ihn abbringt von lächerlichen und unsinnigen Rachegedanken, ihm aber auch wertvolle Tipps gibt, wie man sich seiner Angebeteten nähert. Doch auch Jojo entdeckt die wunden Punkte seines Gegners, den er immer besser kennenlernt und respektiert, seitdem er weiß, dass Leo ein ehemaliger Boxer ist und insgeheim Pläne schmiedet, aus dem Altersheim, diesem „Rentnerknast“ zu fliehen. Man ist schlichtweg begeistert von der enormen Energie, mit der Florian Lenz diesen einerseits unausstehlichen, großmäuligen und doch auch wieder charmanten, gutherzigen Halbstarken spielt. Gerade diese Ambivalenz seiner Figur transportiert der 30-jährige Schauspieler, der schon auf mehreren deutschen Theaterbühnen, aber auch in verschiedenen TV- und Kinofilmen zu sehen war, auf höchst gekonnte Weise. Und ist am Ende, nachdem er von Leo gelernt hat, dass man beim Boxen wie auch im Leben stets in Bewegung bleiben muss, schließlich selbst derjenige, der dem alten Mann zeigt, wie man nach K.-o.-Schlägen wieder aufsteht. Denn erst durch Jojos energische und erfindungsreiche Initiative gelingt Leos Flucht. Es ist vor allem dieses viel belachte Finale, das zeigt, welch ein gutes Team die beiden Gegner inzwischen geworden sind und wie nahe die Möglichkeit eines respektvollen Miteinanders von Jung und Alt liegen kann. Eine Botschaft, die in dieser guten, erfreulich unverkrampften Inszenierung und dank der Leistung zweier hervorragender Schauspieler zielsicher, jedoch gänzlich unsentimental und ohne erhobenen Zeigefinger, sondern vor allem humorvoll, elegant und unaufdringlich, ja fast nebenbei vermittelt wird.

Wieder am Donnerstag, dem 8. Mai, 18 Uhr, Freitag, dem 9. Mai, 10 und 18 Uhr sowie am Freitag, dem 16. Mai, 18 Uhr. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 11 8

Daniel Flügel

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