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Kultur: Immer weiter fließen

13 Frauen zwischen 42 und 62 beim Tanzen

Sie stehen am vorderen Bühnenrand und schauen erwartungsvoll. Einige umarmen Freundinnen, die am Freitagabend zur Premiere des Tanzprojektes „Get out!“ in die fabrik gekommen sind. Keinesfalls wirken sie angespannt, obwohl die allermeisten zum ersten Mal auf einer Bühne stehen. Nein, die Stimmung, die von dieser Gruppe Frauen im Alter zwischen 42 und 62 Jahren ausgeht, ist entspannt und kraftvoll zugleich. Man fühlt sich willkommen und ist gespannt auf das, was im zweiten Frauentanzprojekt der Choreografinnen Sabine Chwalisz und Malgven Gerbes zu sehen sein wird.

Wie auf Kommando entfernt sich die Gruppe und das Publikum bleibt zunächst vor leerer Bühne sitzen. Anstelle der Akteurinnen selbst sind aus dem Off nur ihre Stimmen, Husten, Wispern und dann intensive Atemgeräusche zu hören. Sind das Probengeräusche? Drehen die Frauen Runden auf dem Sportplatz? Doch ehe man Antwort auf diese Fragen findet, kommt die Gruppe locker von draußen hereingerannt und setzt das auf der Bühne fort.

Dieser „Schwarm“ von Frauen ist wunderbar anzuschauen in seiner Geschlossenheit, in seiner Eleganz und Stärke. Und kaum hat man sich an der Gruppe satt gesehen, entdeckt man, wie viele unterschiedliche Gangarten, Tempi, Temperamente und Charaktere in ihr vereinigt sind. Allesamt gestandene Frauen: erdige, luftige, feurige und wässrige. Manche wirken rein äußerlich wie junge Mädchen, andere haben bereits die Majestät des Alters, wieder andere sind scheinbar alterslos burschikos oder ebenso fragil.

Der erste Teil des Tanzprojektes lebt vollständig von der Improvisation der Darstellerinnen, die die Beziehung zu den anderen und zum Raum erkunden. Bald darauf teilt sich die Gruppe in zwei kleinere – als sei das das Signal zum Entdecken der eigenen Individualität. Jede vergewissert sich ihrer eigenen Kraft und Sinnlichkeit. Besonders berührend ist der Moment, als sich eine ganz grün Gekleidete, die äußerlich wie ein junges Mädchen wirkt, von der Gruppe absondert, und allein im Vordergrund zuerst ein wenig schüchtern, dann trotzig und aufbegehrend ihren Weg sucht. Die Gruppe im Hintergrund ‚hält‘ und beargwöhnt sie dabei.

Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? Scheint sie zu fragen, und das fühlt sich für eine Frau jenseits der Vierzig sehr anders und manchmal doch genauso wie in der Pubertät an. Die Projektteilnehmerinnen bekamen zur Selbsterfahrung von Sabine Chwalisz und Malgven Gerbes ganz unterschiedliche Arbeitsaufgaben gestellt. Eine war, allein einen mehrstündigen Spaziergang zu unternehmen, dabei fremde Menschen zu treffen und überraschende Dinge zu finden, die berühren und verändern. Resultate dieser Selbsterkundung wurden im zweiten Teil der Aufführung gezeigt, wobei mit Texten und Requisiten gearbeitet wurde. Doch die Intensität und Poesie des Vorherigen wurde nicht erreicht.

Stattdessen hätte man sich noch mehr solche Szenen wie das Frauenpaar auf dem Boden gewünscht, dass ganz unterschiedliche Assoziationen auszulösen vermochte. Das Offene, Improvisierte und Suchende ihrer Bewegungen wirkte insgesamt passender als der Versuch, genreübergreifend zu arbeiten. Schade, dass es so kurz war, sagte eine Zuschauerin. Und dem ist nur hinzuzufügen, dass man diesen Frauen, die im Fluss des Lebens immer weiter fließen, wirklich gern länger gefolgt wäre. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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