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Kultur: Im Osten auch manch'' Neues

30 Jahre Freygang: Jubiläums-Konzert

Im Jahre 1977 prangte zum ersten Mal der Bandname Freygang auf einer Konzertankündigung für einen kleinen Ost-Berliner Club. Sie erspielten sich eine treue Fangemeinde und im Gegensatz zu vielen Ost-Rock-Bands, die hart an der Grenze zur Zensur spielten, gingen Freygang oft einen Schritt weiter. Für den Magistrat von Berlin war das einen Schritt zu weit, so dass in den 80ern Repressalien und Auftrittsverbote gegen die Band erlassen wurden. Während einige Bandmitglieder ihre künstlerische Freiheit mit dem Ausreiseantrag suchten, hielt Bandgründer André Greiner-Pol in Ost-Berlin die Stellung und den Kopf während der zwangsverordneten Spielpausen mit Schwarz-Taxi-Fahren über Wasser.

Aber auch nach der Wende sahen Freygang ihre Existenzberechtigung und konnten im Jahr der Wiedervereingung einen Auftritt mit den Rolling Stones im Olympia-Stadion an Land ziehen. Vielleicht sieht man in der nächsten Stones-Doku den Matchbox „Wolga“ den Greiner-Pol Jagger zu diesem Anlass schenkte.

Kürzlich ist auch ein Buch mit allen Noten und Texten erschienen, damit man „die Titel in bester Songtradition am Lagerfeuer spielen kann“, wie die Band verkündet. Beim Publikum im gut gefüllten Lindenpark sitzen die Texte. Mittvierziger dominieren das nachträgliche „Geburtstags-Konzert“, doch auch einige jüngere Zuschauer haben den Weg in den Lindenpark gefunden, obwohl deren Geburtsstunde weit nach der von Freygang liegen muss. Gute musikalische Erziehung wahrscheinlich.

Freygang selbst haben sich Ende der 90er eine Frischzellen-Kur verpasst und Brian Bosse (Gitarre) und Maik Smolle (Schlagzeug) sind nicht nur durch ihre Dreadlocks als „Frischlinge“ bei Freygang zu erkennen. Ihr musikalisches Input ist nicht zu unterschätzen und lässt den Sound nicht verstauben oder gar einrosten.

Greiner-Pol betritt die Bühne ganz in schwarz und mit Piraten-Dreispitz. Vor der Totenkopf-Fahne steht seine „Seeräuber Jenny“, Tatjana Besson, neben dem Ruhepol Egon Kenner an der Gitarre. Besson wird zu späterer Stunde ihren Bass gegen den Platz am Mikro eintauschen und mit rauchig-rockender Stimme einige Songs vortragen. Erst einmal versucht aber Ober-Pirat Greiner-Pol die schüchtern wippenden Potsdamerinnen und Potsdamer zu wecken. Bei ihrer eingedeutschten Cover-Version der Rolling Stones-Nummer „Gimme Shelter“, umgetextet als „Gib mir Deckung“, ist die Stimmung noch verhalten. Zufriedene Gesichter vielerorts, doch richtig euphorische Jubiläums-Jubel-Laune macht sich noch nicht breit. „Rette mich aus dieser Stadt / Hol mich raus aus diesen Mauern.“ Ein zeitloser Text über Freiheit, das Publikum wird aktiver. Ein Dutzend Zuschauer kreist und tanzt schon vor der Bühne. Allerlei Einflüsse durchströmen den bluesigen Rock von Freygang: die Stones natürlich, aber auch Punk der 70er, The Clash, The Doors und Hendrix-Linien.

So bleiben Freygang vielseitig und als Greiner-Pol aus voller Kehle den „Berlin“-Song vom Album „Der Wind hat sich gedreht“ intoniert, ist der Platz vor der Bühne mit einem rotierenden und singenden Pulk gefüllt. Bis nach Mitternacht wird gefeiert – so macht die Geburtstagsfeier Spaß. Christoph Henkel

Christoph Henkel

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