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Joerg Waehner kannte Pop-Art-Gründer Andy Warhol schon, als er selbst noch Jugendlicher war – aus dem Westfernsehen. 

© Ottmar Winter

Im Konsum-Rausch: Joerg Waehner bietet die DDR zum Verkauf an

Waren aus einer vergangenen Welt, in den Farben der Pop-Art: Die Schau im Potsdamer Kunsthaus sans titre ist auch eine Verbeugung vor Andy Warhol. 

Potsdam - Die Ausstellung von Joerg Waehner im Kunsthaus sans titre ist farbenfroh bis zum Anschlag. „Freude am Einkauf. Kunst aus dem Konsum“ jubiliert sie schon im Titel. Wobei „Konsum“ mit kurzem U zu lesen ist, wie die staatlich geführten Supermärkte in der DDR, die freilich nicht Supermärkte, sondern Kaufhallen genannt wurden. Alles Vokabeln aus dem Orkus der Geschichte – aber Joerg Waehner bespielt sie ohne Staub und Nostalgie-Seufzer. Im Gegenteil, er zeigt die Waren dieser verschwundenen Welt so bunt wie sie nie waren: in den Farben der Pop-Art.

Ein Foto in dieser Schau zeigt Joerg Waehner in Warhol-Camouflage: mit Sonnenbrille, hellem, gescheiteltem Haar. Gleichsetzen will er sich nicht, „das wäre vermessen“. Aber die Warhol-Kostümierung erlaubt dem Mann, der sich selbst als schüchtern beschreibt, maximal präsent zu sein – und gleichzeitig gut verborgen.

Joerg Waehner wurde 1962 in Chemnitz geboren – damals: Karl-Marx-Stadt. Andy Warhol, den Vater der Pop-Art, entdeckte er früh schon für sich. Im Westfernsehen. Waehner erinnert sich, wie er Warhol und Joseph Beuys als Jugendlicher vom Bildschirm abfotografierte. Die Staatssicherheit wird früh auf Joerg Waehner aufmerksam. Er wird mit 19 verhaftet, wegen Verdachts auf Republikflucht – absurd, nennt Waehner das heute. Damals ist es Ernst. Er muss wegen mangelnden Beweisen freigelassen werden, wird aber zum Dienst in der Nationalen Volksarmee verpflichtet. Gerne hätte er am Leipziger Literaturinstitut studiert, daraus darf auch nichts werden. Stattdessen lernt er Schriftsetzer. „Immerhin nur ein paar Buchstaben vom Schriftsteller entfernt.“

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Durch das Schreiben durch die NVA-Zeit gerettet

Durch die Zeit bei der NVA Anfang der 1980er Jahre rettet sich Joerg Waehner durch das Schreiben: Aus den heimlich gemachten Notizen entsteht später der Tatsachenroman „Einstrich-Keinstrich“. Joerg Waehner ist ein geradezu manischer Sammler. Notizen, Zettel, Fotos, alle Zeugnisse erlebten Lebens hebt er auf, alles ist potenziell Material. Im sans titre sind künstlerisch überformte Tickets aus der Metro in Tokio zu sehen, signierte und gerahmte Fotos von dem Dramatiker Heiner Müller, dem Kosmonauten Siegmund Jähn und dem Devisenbeschaffer der DDR Alexander Schalck-Golodkowski – alle in einer Ecke.

Auf den ersten Blick ist „Freude am Einkauf“ in diesem gleichberechtigten Nebeneinander eine bodentiefe Verbeugung vor Warhol. Schon über der Eingangstür hängt ein Mao-Bild, wie ihn einst Warhol schuf – allerdings stammt die Vorlage für Waehners Motiv von einer Briefmarke, die die DDR 1951 drucken ließ, um die chinesisch-deutsche Freundschaft zu feiern. Weiter hinten, in Anlehnung an Warhols „Death and Desaster“-Serie: ein „Trabi Desaster“, in knalligem Rot und Blau.

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Die ironische Grundierung all dieser DDR-Reminiszenzen ist natürlich faustdick. Im Zentrum des Ausstellungsraumes stehen drei vergrößerte Objektboxen der DDR-Marken „Sonja“ (Margarine), „Spee“ (Waschpulver) und „Imi“ (Starkreiniger). Die Wand im Hintergrund ist mit 100-Mark-Scheinen tapeziert (lauter Karl-Marx-Köpfe). Waehner nennt sie „Toilettentapete“: „Weil man sich dafür nichts kaufen konnte.“ Die Skulptur „Überholen ohne einzuholen“ zeigt aufgestapelte Campbells-Dosen (denen Warhol zu Ruhm verhalf), oben eine Freiheitsstatue. Daneben die DDR-Entsprechung: eine Dose „First Class“-Kaffee aus dem Intershop, oben drauf ein Fernsehturm in Gold. Der Fernsehturm ist höher.

Der goldene Fernsehturm überragt die Freiheitsstatue.
Der goldene Fernsehturm überragt die Freiheitsstatue.

© Ottmar Winter

Von der Staatssicherheit beobachtet

In dem Ganzen nur popkulturell verpackte Ostalgie zu sehen, wäre leicht. Und weit verfehlt. Es gibt in Waehners Warhol-Camouflage eine Fallhöhe, die sich erst erschließt, wenn man genauer in seine Biografie schaut – auf die Ausstellung bezogen heißt das: tiefer in die Verkaufsvitrine. Es liegt dort, neben der „Konsum-Decke“ (Preis 160 Euro), ein Materialbuch, das letztes Jahr erschien. Zu sehen sind Fotos von Waehners Werdegang: Pionierausweis, Zeugnisse, Fotos. Ein Foto zeigt die Skizze seines Kinderzimmers, mit genau bezeichneter Position von Bett, Schreibtisch, Zimmerpflanze.

Eine Wand mit 100-Mark-Scheinen tapeziert.
Eine Wand mit 100-Mark-Scheinen tapeziert.

© Ottmar Winter PNN

Die Skizze hat die Staatssicherheit angefertigt. Sie befragte Waehner nicht nur, sie beobachtete ihn auch. Akribisch, bis in die größte Intimität. Mit „Freude am Einkauf“ guckt Joerg Waehner jetzt zurück. Was Waehners vielleicht größte Rache an diesem Staat und seinem Apparat ist, ohne dass er das Wort selbst benutzen würde: Wie konsumierbar die DDR hier geworden ist. Sie kann keinem mehr wehtun. Aber wer will, kann über ihre Überbleibsel herzlich lachen.  

Bis 27. Februar im Kunsthaus sans titre

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