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Kultur: Im kalten Blau der Nacht

Die Ausstellung „Erkundungen“ in Matschkes Galeriecafé zeigt Bilder von Hubert Globisch und Heide Wilhelm

Es war schon später Nachmittag, als sie die Bischofskoppe wieder hinunter kraxelten. Die Wolken hingen schwer im steilen Bergmassiv, als wollten sie die Spitzen auseinandertreiben. Der Abstieg erwies sich in der zunehmenden Dunkelheit als noch beschwerlicher als der Aufstieg. Doch sie wollten ihn bis zur letzten Minute auskosten: diesen weiten, grenzenlosen Blick auf der Trennlinie zwischen Tschechei und Polen. Das bereits betagte Künstler- und Ehepaar Suse Ahlgrimm und Hubert Globisch nahm die Strapazen ebenso auf sich wie die jüngeren Kollegen aus der Fachkommission Kunsterziehung, mit denen sie regelmäßig von Potsdam aus in die Landschaft aufbrachen. Die Bischofskoppe war 1981 ihr Ziel.

Heute hängt dieser Berg in zwei sehr ähnlichen Interpretationen in der Verkaufsausstellung „Erkundungen“ im Galeriecafé Matschke: auf den Bildern des 1914 geborenen Malers Hubert Globisch und der um fast 30 Jahre jüngeren Kollegin Heide Wilhelm. Beide Künstler spürten damals in der Stille ihrer Ateliers unabhängig voneinander dem atemberaubenden Höhenerlebnis nach und tauchten es ins kalte Blau der Nacht. Das helle Mondlicht leuchtet die Ecken und Kanten und schroffen Linien gespenstisch aus: Während Globisch einige Sprengsel Orange ins Dunkel mischte, setzte Wilhelm der graublauen satten Düsternis ein leuchtendes Violett entgegen. Trotz ganz eigener Ausrichtung spürt man hier das Verbindende der Maler: die einvernehmliche Stimmungstiefe.

Es ist der Initiative des Potsdamer Kunstvereins zu verdanken, dass diese kleine Ausstellung in dem mehr auf Geselligkeit als auf Galerie orientierten Raum zustande kam. Doch eigentlich passt der Ort recht gut: Denn der 2004 verstorbene Hubert Globisch mochte dieses gesellige Miteinander. Oft waren Kollegen bei ihm zu Gast. Sie schätzten die familiären Gespräche und die Kochkünste seiner ersten Frau Anneliese, die 1980 starb. Und ebenso das anregende Beisammensein mit seiner zweiten Frau Suse. Heute verwaltet der Potsdamer Kunstverein den Nachlass von Globisch, der fast sein ganzes Leben in Potsdam verbrachte. An den Ort seiner frühen Kindheit in Oppeln, dem späteren Opole, zog es ihn auf den Malreisen immer wieder zurück. Manchmal ganz hoch hinaus, bis auf die Bischofskoppe.

Wilhelm hat auf Wunsch des Potsdamer Kunstvereins die Ausstellung kuratiert. Anfangs zögerte sie, fand die Latte viel zu hoch gelegt. „Was sollen zwischen den Kunstwerken von Hubert Globisch meine Bildchen?“, fragte sie bescheiden. Thomas Kumlehn vom Kunstverein redete ihr indes gut zu: „Du hast doch farbstarke Arbeiten!“ Und fürwahr: Ihre Collagen der Provence glühen geradezu im Stau der Hitze und stehen den verhaltenen Erdtönen der „Märkischen Erkundungen“ von Globisch leuchtend entgegen. Bei Globisch geht es auf den ersten Blick leiser zu. Doch seine Strukturen schälen Warm und Kalt, Hell und Dunkel, alle seelischen Höhen und Tiefen in großer Dichte und Kraft heraus. Wer sich in seine von Menschen geformten Landschaften vertieft, geht auf weite Reisen.

Rund um Matschkes gemütlichen Kachelofen und treppauf ins Obergeschoss gibt es ganz paritätisch 13 Arbeiten von Hubert Globisch und 13 Arbeiten von Heide Wilhelm. Die 75-Jährige wog äußerst bedacht dieses Zwiegespräch ab. Als sie die Bilderauswahl vornahm, spürte sie, wie eng sie sich noch immer verbunden fühlt mit ihren Nestoren Hubert Globisch und Suse Ahlgrimm, deren Schülerin sie in den 50er-Jahren am Helmholtz-Gymnasium war. Als Suse Ahlgrimm 1977 aufgrund einer Augenkrankheit den Lehrdienst aufgeben musste, übernahm Heide Wilhelm ihre Stelle als Kunsterzieherin. „Ich trat in große Fußstapfen und hatte Bedenken.“ Doch sie führte die Arbeit im Sinne ihrer Vorgängerin fort: In dieser besonderen Atmosphäre im Zeichenraum unterm Dach, in dem es Tee aus selbstgedrehten Tassen gab und immer auch das Positive in den Arbeiten der Schüler gesehen wurde. Zwei Jahre arbeitete Heide Wilhelm eng mit Hubert Globisch zusammen, der am Humboldt-Gymnasium unterrichtete. Obwohl diese beiden Schulen eher konkurrierten, gab es in der Kunsterziehung ein Miteinander. „Wir bereiteten das ganze Schuljahr gemeinsam vor, nicht unbedingt lehrplangetreu, aber in einem weiten kunstgeschichtlichen Bogen.“

Hubert Globisch, der als junger Mann sicher gern „nur“ Maler gewesen wäre, aber in der schweren Nachkriegszeit die Familie mit den zwei Kindern durchbringen musste, nahm auch baugebundene Aufträge an, die ihm ein Einkommen sicherten. Schließlich holte man ihn als Lehrer. Seine Schüler stellten ihm das beste Zeugnis aus. Und der feinsinnige Kunstpädagoge lernte auch von ihnen, von den frischen, unverfälschten Blicken. Globischs Werk ist von einem großen Atem durchdrungen, von einer Großzügigkeit, die nie am Detail kleben bleibt. Eine Malweise, die auch Wilhelm verfolgt, ohne sich direkt an Globisch zu orientieren.

Offensichtlich gibt es aber immer wieder geistige Schnittstellen. Als Wilhelm den Nachlass von Globisch durchstöberte, fiel ihr das Bild „Warten auf Godot“ von 1992 in die Hände. Das musste mit in die Ausstellung, auch wenn es keine Landschaft zeigt, sondern Figuren wie Schattenrisse – von einer bedrohlichen Intensität. Auch sie hatte gerade ein „explodierendes“ Bild zu Beckett gemalt: Nach dem Besuch der „Endspiel“-Inszenierung von Robert Wilson am Berliner Ensemble, die sie zutiefst verstörte. „Diese Endzeitstimmung, in die sich bei mir Gedanken an die AfD und Trump mischten, und in die ich mich nicht reinfinden will.“ Die „Erkundungen“ erzählen auch davon, vom Auseinanderbrechen und von Straßen ins Nirgendwo, die sich aus der Höhe manchmal noch deutlicher herausschälen.

Zu sehen bis 9. April, Dienstag bis Donnerstag von 15 bis 22 Uhr, Freitag bis Sonntag von 12 bis 22 Uhr, Galeriecafé Matschke, Alleestraße 10

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