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Im Kleid aus der Vergangenheit. Anja Ranjewskaja (Melanie Straub) möchte am liebsten die Zeit zurückdrehen. Doch auch wenn sie in ihrem Kleid wie aus dem 19. Jahrhundert wirkt, die Wirklichkeit hat sie längst eingeholt. Lopachin (Raphael Rubino, l.) und Trofimow (Jon-Kaare Koppe) haben nicht wenig Anteil daran.

©  HL Böhme

Kultur: Im Hamsterrad Vergeblichkeit

Wenn die schönsten Träume platzen: „Kirschgarten - Die Rückkehr“ im Hans Otto Theater

Die Vergeblichkeit ist es ja, die alles Sein bestimmt. Damit wir über diese Erkenntnis nicht verzweifeln, keimen in uns unerklärlicherweise immer wieder Hoffnung und Naivität. Wer das nicht glaubt, der braucht nur Anton Tschechows Komödie „Der Kirschgarten“ lesen. Wer es dann noch immer nicht glauben möchte, der sollte ins Hans Otto Theater gehen und sich „Kirschgarten – Die Rückkehr“ anschauen. Geschrieben von John von Düffel, uraufgeführt am Freitag im fast ausverkauften Saal.

Da betritt Anja Ranjewskaja das einstige Gutshaus ihrer Familie. Ein heruntergewohntes Drecksloch, nur noch ein fauler Zahn von einem Gebäude (Bühne: Alexander Wolf). Aber diese Anja, sie strahlt, als würde sie einen Palast betreten. Sie strahlt, denn sie hat die einzige Gewissheit auf ihrer Seite, die in dieser Welt zählt und aus vier Buchstaben besteht: Geld! Niemand im Publikum muss Tschechow gelesen haben, um zu erkennen, dass diese Gewissheit platzen wird wie eine Seifenblase. Aber noch darf Anja träumen. Und wie sie träumt, so hoffnungsvoll und so naiv, das ist reinste Poesie. Ihre Träumereien beobachten derweil zwei Menschentiere, zwei Hundemänner ganz genau. Der eine, Trofimow, ein Dackel, ein Schoßhündchen mit hechelnder Zunge wie auf ein Leckerli wartend. Der andere, Lopachin, ein durchtriebener und kreuzgefährlicher Straßenköter, der die Zähne fletscht. Mit dem Schwanz wackeln beide.

Tschechows „Der Kirschgarten“ ist ein Lied über Abschied, Vergeblichkeit und die Kunst des Nichterkennenwollens. Um 1900 sind Mutter und Tochter Ranjewskaja aus Paris auf das Familiengut zurückgekehrt. Doch ist es eine Rückkehr in den eigenen Untergang. Der blühende Kirschgarten ist wie ein Spiegelbild des russischen Landadels: schön anzusehen, aber nutzlos. Am Ende wird das verschuldete Gut zwangsversteigert. Der Kirschgarten soll abgeholzt werden, den Ranjewskajas bleibt nur die Abreise in eine ungewisse Zukunft. John von Düffels „Kirschgarten – Die Rückkehr“ ist ein Lied über das hörbare Platzen von Träumen, über Wiederkehr und Abschied, über Vergeblichkeit und den Fluch Familie. Anja, Urenkelin der ehemaligen Gutsbesitzerfamilie Ranjewskaja, kehrt in den 90er-Jahren aus den USA nach Russland zurück, um das Versprechen ihrer Großmutter zu erfüllen, das diese beim Abschied vom Gut ihrer Mutter gab: den Kirschgarten irgendwann wieder aufzubauen und zum Blühen zu bringen.

Die aktuellen Bezüge in „Kirschgarten – Die Rückkehr“ auch auf Potsdam in den Nachwendejahren sind deutlich. Die Rede ist von blühenden Landschaften, es geht um Ansprüche auf ehemaligen Grundbesitz und die daraus resultierenden Konflikte, und es gibt eine Kirschblütenkönigin. Die heißt Dunjascha (Elzemarieke de Vos) und torkelt zum Auftakt fröhlich betrunken mit ihrem Freund Sascha (Alexander Finkenwirth) in das heruntergekommene Gutshaus, das dem kleinkriminellen Lopachin als Bleibe und Firmensitz dient. Derb und rüpelhaft geht es hier zu, wenn das einfache Volk auftritt. Wild und turbulent und hanebüchen wie in den überdrehtesten Szenen bei Shakespeare. In diese verdrehte Welt treten Anja und ihr Bruder Gajew wie zwei Fabelwesen. Neugierig beschnuppert von den einheimischen Wilden, die dann schnell ihre Chancen wittern.

Die Bezüge zu Tschechow sind nicht nur in den gleichen Namen offensichtlich, auch im Spielverlauf gibt es immer wieder reichliche Anspielungen. Wie Tschechow interessiert John von Düffel der Mensch in seinen Verhältnissen, ob er agiert oder doch nur reagiert. Der Bezug dieser Menschen zur eigenen Vergangenheit, den Prägungen durch die Familie, die hier nur zu einer Erkenntnis führen: dass sich alles immer nur wiederholt im Hamsterrad der Vergeblichkeit. Regisseur Tobias Wellemeyer hat es sehr gut verstanden, seine Schauspieler dieses Korsett der Vergeblichkeit überstreifen zu lassen, dieses ewige und so menschliche Spiel mit Hoffnung und Naivität. Nur gelegentlich schlägt er dabei über die Stränge, wenn es im alten Gutshaus gruseln soll und dann tatsächlich das Licht flackert, schaurige Geräusche vom Band kommen und ein Geisterjunge seinen Auftritt hat. Überflüssiges Theater, das hier nur stört. Denn das Spiel seiner Schauspieler ist stark genug und braucht derartige Knalleffekte nicht.

Melanie Straubs Anja wird vor allem vom Traum ihrer Urgroßmutter getragen, der Traum vom wiedererblühenden Kirschgarten. Sie ist keine taffe Geschäftsfrau aus den Staaten, die nur ihr Geld gewinnbringend anlegen will. Aber auf ihrem Kirschgartentraumstrahlen liegt von Anfang an ein Schatten. Es ist ein Schatten des Todes, der wie ein Familienfluch wirkt. Denn wie schon ihre Ururgroßmutter verlor sie ihren kleinen Sohn durch einen Unfall. Melanie Straub spielt diese Anja mit hauchdünner Schale. Ein zartes Wesen, das sich immer mehr in sich zurückzieht, je unwahrscheinlicher ihr Kirschgartentraum wird. Ihren Bruder Gajew, herrlich snobistisch gespielt von Bernd Geiling, hat das Leben zynisch werden lassen. Und er wird scheinbar von Dämonen getrieben, die selbst er nicht einmal richtig zu kennen scheint.

Ihnen gegenüber stehen der Lokalpolitiker Trofimow und Lopachin. Jon-Kaare Koppe spielt diesen Trofimow mit herzerweichender Naivität, der seine schmale Brust herausstreckt, wenn er das typische Politikergefasel von sich gibt und dann so unsicher, so verklärend und schüchtern-romantisch Anja anhimmelt. Koppe in dieser Inszenierung zu erleben, das ist immer wieder ein Genuss. Doch den stärksten Eindruck an diesem Abend hinterlässt Raphael Rubino.

Sein Lopachin hält von Anfang an die Fäden in der Hand. Ein Nachfahre von Tschechows Lopachin, der, als Kaufmann zu Geld gekommen, damals das Gut gekauft hat und den Kirschgarten abholzen ließ. Der Wendezeitlopachin hat nun nicht wie sein Vorfahre das Ziel, vom Adel akzeptiert zu werden. Er weiß um die Vergeblichkeit. Er stammt von Bauern ab, warum soll er das leugnen? Er hat diese Bauernschläue und einen alles durchschauenden Blick. Nach außen gibt er sich gelegentlich kumpelhaft, täppisch wie ein zu großer Bengel, dem alles nur Spaß ist. Aber unter diesem gewaltigen Körper brodelt es mächtig. Wie Rubino diese Ambivalenz Lopachins spielt, das ist wirklich furchteinflößend. Ein Bär von einem Kerl, der sich naiv-verspielt gibt, jeden Moment aber zum tödlichen Schlag ausholen kann. Wenn es sein muss, lässt er sich auch von Gajew verprügeln. So lange das Spiel nach seinen Wünschen läuft, ist ihm alles recht. Zum Ende hin, kurz bevor Anja und ihr Bruder das ehemalige Gut wieder verlassen, scheint Lopachin auf einmal seine menschliche Seite zu zeigen. Und nicht nur Anja, auch wir, die Zuschauer, fallen auf diese Regung herein. Aber die Hyäne lacht schon wieder. Höhnisch, aber lautlos. Dieser Lopachin, dieser Abgrund Mensch, wie ihn Raphael Rubino uns zeigt, das ist wirklich fürchterlich grandios.

Wieder am Samstag, dem 15. Februar, um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse

Dirk Becker

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