zum Hauptinhalt

„Im Gespräch mit Luther“: Wie Reformator Luther es mit der Erotik hielt

Sünde oder keine Sünde, das ist die Frage: Zumindest die evangelische Kirche hätte sich in der Hinsicht viele Diskussionen sparen können, hätte sie einfach auf Martin Luther gehört.

Von Sarah Kugler

Es ist eine Frage, die (einige) Christen seit Generationen umtreibt: Ist fleischliche Lust eine Sünde? Eine von Gott auferlegte Prüfung, der es zu widerstehen gilt? Zumindest die evangelische Kirche hätte sich in der Hinsicht viele Diskussionen sparen können, hätte sie einfach auf Martin Luther gehört: „Die Natur des Fleisches hätte Gott weglassen können, wäre sie ihm zuwider gewesen.“ So oder so ähnlich soll er sich geäußert haben, wie Historikerin und Luther-Expertin Elke Strauchenbruch am Mittwoch in der Stadt- und Landesbibliothek erklärte.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Im Gespräch mit Luther“ referierte sie über „Luther und die Erotik“. Es war die letzte Veranstaltung zum Themenjahr Stadt trifft Kirche. Mit dem, was wir heute unter Erotik verstehen, hatte der Vortrag erwartungsgemäß wenig zu tun. Schließlich geht es zeitlich um das 16. Jahrhundert, Luther plädiert für den Sex in der Ehe, Freudenhäuser will er abschaffen. Allerdings – und das ist fast modern – aus rein pragmatischen Gründen. Moderne Verhütung und damit verbundener Schutz vor Geschlechtskrankheiten war noch nicht erfunden, Syphilis eine tödliche Gefahr. Durch das Konzentrieren auf einen Geschlechtspartner wollte Luther die Verbreitung der Krankheit eindämmen, wie Strauchenbruch erklärte. Ansonsten habe er gegen Freudenhäuser nichts einzuwenden gehabt, eventuell als Student auch selbst eines besucht. Luther also als Verfechter der fleischlichen Lust?

Durch Briefe sei zumindest belegt, dass er sich bis ins hohe Alter auch körperlich nach seiner Frau gesehnt hat. Fakt ist außerdem, dass er sich intensiv mit der menschlichen Anatomie, den Geschlechtsorganen und ihren Funktionen auseinandergesetzt hat. So beschrieb er laut Strauchenbruch detailliert den männlichen Samenerguss und führt aus: „nächtliche Befleckungen“ seien keine Sünde. Auch feuchte Erlebnisse beim Reiten oder Ähnlichem seien ganz natürlich.

Erstaunlich modern sind auch seine Einstellungen zum Verhältnis von Mann und Frau. Nicht nur, dass er dem Geburtsvorgang höchsten Respekt aus- und windelwaschenden Männern Männlichkeit zuspricht. Seiner eigenen Frau, der ehemaligen Nonne Katharina von Bora, wollte er nach seinem Tod völlige Selbstständigkeit zugestehen. In seinem Testament verfügte er, dass sie ohne Vormund walten und die Kinder erziehen dürfe. Durchsetzen konnte er sich damit nicht: Sein Wille wurde angefochten, Katharina bekam einen Vormund. Vor allem die Fähigkeit, Söhne korrekt zu erziehen, wurde Frauen damals aberkannt, wie Strauchenbruch erklärte. Überhaupt wurde es nicht gerne gesehen, dass Luther sich offen zu sexuellen Belangen äußerte. Eine Tischrede etwa, in der er von Zitzen an der Brust und dem „Löchlein zwischen den Beinen“ der Frau sprach, ist von seinen Studenten wesentlich unpräziser widergegeben worden.

Warum es aber wichtig ist, an Luthers relativ unkomplizierten und vor allem offenen Umgang mit Sexualität zu erinnern, wurde am Mittwochabend deutlich. Auf die Frage, wie die evangelische Kirche heute zu Sexualität oder gar außerehelichem Sex stehe, antwortete Potsdams Superintendent Joachim Zehner in vorgestanzten Kirchenphrasen: Man solle die Ehe hochhalten und der Heilige Geist habe den Menschen die Gabe gegeben, sich im Griff zu haben. Völlig zu Recht forderte ein Zuhörer klarere Standpunkte in dieser Hinsicht. Denn eine erneute Sündendiskussion braucht nun wirklich niemand. Sarah Kugler

Zur Startseite