zum Hauptinhalt
Stephanie Senges Installation „Fächer-Moribana“, bestehend aus Fächer, Hundeleine und Messer.

© Andreas Klaer

Ikebana im Potsdamer Kunsthaus: Blumenstrauß mit Rückenbürste

Künstlerin Stephanie Senge fordert mit ihrer Schau im Kunsthaus zu mehr Wertschätzung von Konsumgütern auf.

Von Helena Davenport

Potsdam - Damit der Alltag läuft, braucht man die passenden Werkzeuge. Das passende Essbesteck beispielsweise, in westlichen Ländern einen Löffel mit langem Stiel für die Suppe am Mittag, einen kleineren für den gezuckerten Nachmittagskaffee. Man braucht verschiedene Schwämme für verschiedene Oberflächen, verschieden große Kaffeefilter für verschiedenartige Maschinen. Man benötigt die richtigen Kosmetikartikel, die richtige Haarbürste und den richtigen Badezusatz – zur Entspannung, gegen Erkältung, für Winterabende. Es ist so schön einfach zuzugreifen, im Handumdrehen ist alles im Einkaufskorb. Jemand anderes hat sich bereits Gedanken gemacht und alles perfekt arrangiert.

Genauso hat es Stephanie Senge für den Besucher des Kunstvereins Kunsthaus gemacht. Allerdings nicht in langen Gängen mit hohen Regalen und weißem Neonlicht, sondern in Form ihrer Ausstellung „Konsum Erkenntnisse“, die Mitte September eröffnet hat und noch bis zum 3. November zu sehen ist. Fernab der typischen Konsumwelt – wobei sich darüber streiten ließe –, trifft der Konsument hier auf seine Lieblinge. Auf ein Arrangement aus Schere, Nagelknipser, Wimpernbürste und Pinzette beispielsweise – die vier Gegenstände ragen wie die Blätter eines Fächers aus ihrem hölzernen Untergrund. Einen Gürtel hat die Münchner Künstlerin, 1972 geboren, zusammen mit zwei Bürsten – die eine für den Rücken, die andere für den Abwasch – in einer Kaffeekanne drapiert. Die glatt gestrichenen weißen Steinchen, die der Komposition Halt geben, zeugen von Sorgfalt. 

Verspielt. Ein Gürtel wird bei Senge zu einer Schlange, die es zu beschwören gilt.
Verspielt. Ein Gürtel wird bei Senge zu einer Schlange, die es zu beschwören gilt.

© Andreas Klaer

Ikebana heißt die japanische Kunst des Blumenarrangierens, die Senge 2005 in Tokyo erlernt hat und mittels der sie seitdem Konsumgütern zu mehr Aufmerksamkeit verhilft. Denn um Dekoration geht es bei der traditionellen Technik, die bis ins 6. Jahrhundert zurückreicht, nicht allein. Jeder Handgriff muss sitzen, jeder Winkel ist entscheidend, Ziel ist ein harmonisches Zusammenspiel von Farbe und Form, zielführend die Meditation. Der Mensch holt sich die Natur ins Haus und kommt darüber zur Ruhe – so die Kurzversion.

Senge hat die Gegenstände, die man im Alltag einfach greift und nutzt, deren Design und Gestaltung man aber nur selten Beachtung schenkt, zu besonderen und unbedingt notwendigen Teilen eines Ganzen gemacht. Denn anders als in einem Supermarkt, kommen die Güter nicht in hundertfacher Ausführung daher. Stattdessen regiert im Ausstellungsraum der ausgetüftelte Minimalismus – auf ihren schwarzen Podesten in unterschiedlichen Höhen muten Senges Objekte wie Akzente im Raum an. Befreiend kann der Anblick wirken, man möchte sich auf die ebenfalls schwarze Bank niedersinken lassen und die Augen schließen. So schön ruhig ist es hier, so schön leer ist der Raum, in dem drei Wände in jeweils einer der drei Grundfarben gestaltet wurden. Rot, Gelb, Blau – so schön einfach.

Gegensätzlich. Cornflakes vor einem Werk des Schweizer Malers Camille Graeser.
Gegensätzlich. Cornflakes vor einem Werk des Schweizer Malers Camille Graeser.

© Andreas Klaer

In dem Buch „Der starke Konsument“, erschienen 2013 im Verlag für Moderne Kunst, ruft die Künstlerin dazu auf, beim Einkaufen Ikebana zu machen, sich dadurch von Werbung und Manipulation zu befreien. In Zeiten, in denen hunderte Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren schwimmen, kommt Senges Wertschätzungsstrategie wie gerufen. In der Ausstellung selbst hat sich ihre Kunst allerdings ziemlich schnell erschöpft. Auch aufgrund des strikten ästhetischen Prinzips. Senge sei bloße Konsumkritik zu einfach, sie sei vielmehr eine „Konsumkünstlerin“, heißt es im Text zur Ausstellung. Mit dem Tempo der aktuellen Konsumwelt kann sie aber leider kaum mithalten, jedenfalls erscheint es etwas unpassend, dass die jüngsten Arbeiten in der Schau von 2015 sind. Der geübte Konsument fordert Nachschub.

In diesen jüngeren Arbeiten, die allesamt an den Wänden hängen, kommt noch ein weiterer Gedanke zum Tragen: der Gedanke des Konstruktivismus. Senge hat die Arbeiten von Malern des Konstruktivismus aus dem deutschsprachigen Raum kopiert und unmittelbar mit Konsumgütern verknüpft. Den für Jo Niemeyer typischen Rechtecken in Blau, Rot, Gelb und Schwarz, mit denen er die Proportionen eines Würfels wiedergibt, hat sie zum Beispiel eine Packung Vileda-Schwämme hinzugefügt. Und im Zentrum einer Josef-Albers-Kopie thronen drei Tetesept-Badezusätze. Was Ikebana und Konstruktivismus vereint, ist ein klares Gestaltungsprinzip, das Suchen und Darstellen eines Systems, das alles zusammenhält, die Rückbesinnung auf klare, einfache Strukturen. Die mit Schrift und Formen überfrachtete Vileda-Packung wirkt da wie pure Ironie. Senge entlarvt hier nicht nur das schlechte Produktdesign, sondern ebenfalls den Konsumenten, der es nicht hinterfragt. Ihre Potsdamer Ausstellung gibt Denkanstöße, lädt zur Klarheit ein, schleudert den Besucher aber auch schnell wieder zurück in die übervolle Realität.

>>Stephanie Senge, „Konsum Erkenntnisse“, im Kunstverein Kunsthaus, Ulanenweg 9, Ausstellung bis zum 3. November, Künstlergespräch am 13. Oktober

Zur Startseite