zum Hauptinhalt

Kultur: „Ich wollte Geschichten erzählen“

Ein Gespräch mit der Potsdamer Autorin Angela C. Contzen über scheinbar vergessene Mythen und Symbole

Um welche Symbolik geht es in Ihrem Buch?

Die Symbole stammen immer aus dem religiösen Bereich. Heute ist das vielen Menschen nicht mehr bewusst. Man kennt die Zeichen, aber man weiß nicht mehr, woher sie stammen. Daher skizziere ich zuerst die geschichtliche Entwicklung unserer abendländischen Kultur von Babylon, Ägypten, Griechenland, von Judentum, Gnosis und Christentum.

Können Sie ein Beispiel geben?

Heute werden Symbole und Verkehrszeichen oft verwechselt. Symbole sind immer Bilder, die zwei verschiedene Ebenen haben, eine äußere und eine innere, eine sichtbare und eine unsichtbare. Zum Beispiel der Berg: Als Symbol wird der Berg ein Sinnbild für das Höhere oder Göttliche. Der Berg ist Sitz der Götter oder im Alten Testament steigt Mose auf einen Berg und empfängt dort die zehn Gebote des Gottes – also man muss, wenn man sich dem Höheren nähern will, auf einen Berg steigen. Oder das Kreuz – es wird ein Symbol, weil es diese beiden Ebenen hat, die irdische und die himmlische, mit denen wir im Westen vertraut sind.

Ein Lexikon allein der Symbole haben Sie aber nicht geschrieben?

Ich wollte Geschichten erzählen und beschreiben, in welchem Zusammenhang das Symbol mit unserem alltäglichen Leben steht. Darum habe ich versucht, diese ganze Symbolik den Monaten und den Jahreszeiten zuzuordnen.

Ist das nicht etwas willkürlich?

Nein, denn die natürlichen jahreszeitlichen Bilder und die religiösen Bildern korrespondieren in allen Kulturen miteinander. Alle religiösen Feste, auch die, die wir heute noch feiern, stehen in Zusammenhang mit dem Jahreskreislauf. Wir feiern es vielleicht nicht mehr in der Weise, in der es mal gedacht war, aber es existiert ja noch, es strukturiert unseren Kalender.

Inwieweit sind diese alten Symbole und Bilder noch wirksam in der Moderne? Wir leben ja in einer säkularen Welt, wo diese Symbole für viele Menschen keine Bedeutung mehr haben.

Scheinbar. Nehmen wir zum Beispiel die Filme. Der Film erreicht ja heute am meisten Publikum. Womit spielen die Hollywood-Produktionen, die großen Blockbuster, Filme, die die ganze Welt bewegt haben, wie „Herr der Ringe“, „Star Wars“, „Matrix“, „Avatar“ oder auch unzählige Teufelsfilme? Sie spielen mit dieser ganzen alten Symbolik, mit Gut und Böse, mit der Verführung und dem Kampf dagegen, mit der Natur und mit der Zerstörung der Natur.

Würden Sie sagen, dass in den modernen Blockbustern die Symbole wieder erscheinen und alte Geschichten neu erzählt werden?

Absolut. Zum Beispiel „Matrix“, der Film einer ganzen Generation. Da gibt es einen Erlöser, der Neo heißt, die Raumschiffe heißen Gnosis, Logos und Nebukadnezar. Es gibt nur eine einzige Stadt, die noch menschlich ist, die heißt Zion. Oder bei „Avatar“. Da steht im Zentrum der Seelenbaum, über den alle Seelen miteinander verbunden sind – ein altes jüdisches Motiv. Der Baum selber ist ein altes jüdisches und auch christliches Symbol – denken Sie an die zwei Bäume, die im Garten Eden der Genesis stehen, der Baum des Lebens und der Erkenntnis von Gut und Böse.

Diese Filme prunken natürlich auch mit moderner Filmtechnik und gigantischen Vermarktungsstrategien.

Darum geht es nicht. Diese Filme wären nicht so erfolgreich, wenn sie nicht mit diesen Bildern arbeiten würden. Es sind große mythische Erzählungen, in denen jeder einzelne Mensch wichtig ist. Beim „Herr der Ringe“ wird es ganz deutlich. Da sind es die kleinen Hobbits, die eigentlich nur auf dem Sofa sitzen, Pfeife rauchen, Bier trinken, also unbedeutende Gestalten im Hinblick auf Helden und Könige und Zauberer. Aber sie sind bedeutend für das Ganze.

Können diese Filme den Menschen heute einen Sinn geben, so wie einst die alten Mythen?

Absolut. Die mythischen Bilder erwachsen aus einer Sehnsucht und Hoffnung des Menschen. Folgendes ist geschehen: Mit der Aufklärung wurde die Macht der Kirche gebrochen, die sehr lange das Monopol auf diesen geistigen Diskurs, auf diese Symbole hatte. Heute haben sich viele Menschen von der Kirche getrennt. Und haben, wie man so sagt, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Heute meinen wir, dass wir keine geistigen Bilder mehr haben.

Würden Sie da zustimmen?

Nein, keineswegs. Unsere Wurzeln liegen in der westlichen Kultur, da kommen wir her. Wir haben heute eine globalisierte Welt, in der wir uns bewegen müssen. Aber wir brauchen auch ein Zuhause.

Das Gespräch führte Babette Kaiserkern

Angela C. Contzen: Die Symbole des Westens – Von den Bildern, die unser Denken prägen. Berlin 2010, 412 Seiten, 24,95 Euro

Angela C. Contzen, 1953 in Bielefeld geboren, hat an der dortigen Universität Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert und arbeitet seit 1990 als freie Journalistin und Autorin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false