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Britisches Understatement, begnadeter Musikvermittler und Charmeur. Howard Griffith leitete elf Jahre das Staatsorchester Frankfurt (Oder) und eroberte auch die Herzen seines Potsdamer Publikums. Nun sagt der Maestro: „Fini!“

© Thomas Rabsch

Howard Griffiths' Abschied von Potsdam: Ausgereizt!

Er überträgt seine Musikalität auf andere, verpasst Romantikern eine Schlankheitskur und engagiert sich für Crossover. Chefdirigent Howard Griffiths verabschiedet sich heute vom Potsdamer Publikum.

Potsdam - „Vertragt euch gut!“, beschwor die einstige Frankfurter Bürgermeisterin Katja Wolle vorm Antrittskonzert des neuen Staatsorchester-Chefdirigenten Howard Griffiths alle Beteiligten. Seit 2007 haben sie sich elf spannende Spielzeiten lang daran gehalten. Zweimal hat der Maestro seinen Vertrag als Generalmusikdirektor und künstlerischer Leiter des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt (Oder) verlängert – doch nun ist endgültig Schluss. Warum eigentlich?

Das Publikum liebt ihn, liegt ihm förmlich zu Füßen. Es ist von seinem unwiderstehlichen Charme, seinen originellen Moderationen in britischer Understatement-Diktion, seiner ungebremsten Entdeckerlust gegenüber Altvertrautem wie neu Entstandenem fasziniert. O-Ton des Meisters: „Spitzenschüler war ich nie, aber bei Musik immer gut drauf!“ Und seine Gattin Semra ergänzt: „Du hast die Musikalität in Dir drin, die Du auf andere Leute übertragen kannst!“ Wie wahr. Und daher ist das Bedauern über seinen Weggang bei den Musikfreunden in Frankfurt und in Potsdam gleichermaßen groß. Denn er hat ihnen über die Jahre hinweg unvergessliche Stunden bereitet.

„Auch Dirigenten haben ein Verfallsdatum – wie bei einem Lebensmittel“

Beim Ins-Herz-Schließen waren allerdings die Frankfurter schneller, während die auf ihre Kammerakademie eingeschworenen Potsdamer eine längere Anlaufphase benötigten, sich dann aber umso intensiver vom Maestro bezaubern ließen.

„Auch Dirigenten haben ein Verfallsdatum – wie bei einem Lebensmittel“, sucht Howard Griffiths die Untröstlichen zu trösten. Seinen Potsdamer Abschied absolviert er heute Abend im Nikolaisaal. Im Anschluss an das Konzert mit Werken von Edward Elgar, Tang Jiangping, Antonin Dvorak und der Blockflötensolistin Michala Petri wird er zur Party im Foyer erwartet. Übrigens ist es die zweite „Eheauflösung“ zwischen ihm und einem Orchester. Die erste Mesalliance mit dem Zürcher Kammerorchester fand nach zehn Jahren ihren Abschluss. „Weil ich die enge Beziehung für ausgereizt hielt, obwohl wir gemeinsam viel erreicht hatten“, meint Howard Griffiths, „so auch jetzt wieder: Fini!“

Geboren wurde Howard Griffiths 1950 im englischen Hastings, ein Seebad an der Straße von Dover und bedeutsamer Ort durch die Schlacht bei Hastings anno 1066. Damals besiegte Wilhelm der Eroberer, Herzog der Normandie, den angelsächsischen König Harold II. und begründete damit die Herrschaft der Normannen auf der britischen Insel. Jahrhunderte später betritt ein junger Mann von dort das Royal College of Music in London, um Bratsche zu studieren. Kaum fertig geworden, wurde ihm 1976 durch das British Council ein Stipendium zugesprochen, um bei George Hurst das Dirigieren zu erlernen.

Zunächst war er freischaffender Dirigent

Später setzte er diesbezügliche Erkundigungen in Zürich und Paris fort. Als er noch Bratschist im Orchester der Oper Zürich war, merkte er bald, dass er an seinem Pult nur begrenzte Wirkmöglichkeiten hatte. Das Beobachtungsergebnis von der Arbeit vieler Dirigenten: „Das kann ich selber viel besser machen!“ Zudem interessierte ihn die Komplexität einer Partitur genauso stark wie die Übermittlung einer musikalischen Botschaft. Doch dazu bedurfte es einer entsprechenden Position: „Also wurde ich Dirigent!“

Sein Karrierestart vollzog sich als „Einspringer“ und zwar in einer Aufführung von Orffs „Carmina Burana“ am Opernhaus in Ankara. Als Semra, die aus Istanbul stammt und ebenfalls in London Bratsche studiert hatte, eine Stelle in Zürich bekam, verließen sie die Türkei und leben seit 1981 in der Schweiz. „Zunächst war ich freischaffender Dirigent, leitete unter anderem die Northern Sinfonia of England, gastierte bei einigen führenden europäischen Orchestern.“ Heute ist er von Madrid bis Taipeh weltweit tätig, sorgt für umjubelte Staatsorchesterauftritte beim „Choriner Musiksommer“, produziert Silberscheiben am laufenden Band. Viele Raritäten oder in Vergessenheit geratene Werke sind darunter.

Queen Elizabeth II. ernannte ihn zum „Member of the British Empire“ 

Den großen Romantikern verordnet er allerdings eine weitgehend bekömmliche Schlankheitskur und erweitert des Orchesters Repertoire um englische Klassiker. Und spannende Crossover-Offerten mit Didgeridoo und Sheng, Jodlerin und Alphorn, türkischer Musik und Zigeunerklängen. Zudem leitet er die „Strings of Zurich“, hat sich die „Camerata Schweiz“ zu seinem Kreativpartner geformt. Als ob den rastlosen Taktstockmeister und faszinierenden Musikkommunikator das alles nicht ausfüllte, hat er zudem die künstlerische Leitung des deutsch-polnischen Festivals „Musikfesttage an der Oder“ und die der Orpheum Stiftung Zürich übernommen. Diese spürt herausragende Jungtalente auf, die durch die Zusammenarbeit mit erfahrenen Dirigenten und renommierten Orchestern unschätzbare musikalische Impulse für ihre Karriere erhalten. Schöner Nebeneffekt: die Potsdamer und Frankfurter Musikfreunde können exzellent ausgebildete, gestaltungsintensive Solisten erleben.

Darüber hinaus setzt sich Howard Griffiths, den Queen Elizabeth II. 2006 wegen seiner Verdienste um die Musik zum „Member of the British Empire“ ernannt hatte, intensiv für die Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche ein. Er ist maßgeblicher Initiator umfangreicher Educationprojekte mit jährlich mehreren hundert Mitwirkenden aus zahlreichen Schulen diesseits und jenseits der Oder, um ihnen einen sinnlichen Zugang zur Welt der klassischen Musik zu eröffnen.

Musikbücher für Kinder

Darüber hinaus hat er drei faszinierende Musikbücher für Kinder geschrieben, von Fabian Künzli fantasievoll vertont: „Die Hexe und der Maestro“, „Die Orchestermäuse“ und „Das fliegende Orchester“. In diesen und anderen CD-Hinterlassenschaften können die Musiker davon künden, was sie von Griffiths alles gelernt haben: ein kammermusikalisch leichtes und transparentes Spiel, bei dem Vibrato nur als passendes Ausdrucksmittel dient – schon klingt und leuchtet es.

Glücklich wird Howard Griffiths, der trotz zahlreicher Offerten keine feste Position mehr anstrebt, auch darüber sein, nunmehr in seinem nobel gelegenen Haus in Hanglage mit Traumblick auf den Zürichsee mehr Zeit für sich und Gattin Semra zu haben (die Kinder sind aus dem Haus), mehr Muße zum Partiturstudium, Bücherlesen, Wandern und zur Gartenarbeit zu finden. Bis wieder der Flieger abhebt: zum nächsten Gastauftritt.

Das 9. Sinfoniekonzert am heutigen Samstag um 19.30 Uhr im Nikolaisaal mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt (Oder) unter Leitung des scheidenden Chefdirigenten Howard Griffith ist bereits ausverkauft

Peter Buske

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